Die Wunde des Betrugs

Kapitel 34 - Das Kind

(Drei Jahre später)
"Schwanger?", fragt Charlie ungläubig und starrt mich an.
"Ja.", sage ich und grinse ihn an. "Das ist doch toll!"
"Krass! Einfach krass!"
"Freust du dich etwa nicht?", frage ich unsicher.
"Doch doch, das ist es nicht. Oh mein Gott, ich werde Onkel!", flüstert er und stützt sich an die Wand.
"Und ich Patin!", jubele ich. "Schau doch nicht so schockiert.", sage ich.
"Seit wann weißt du das schon?"
"Dass Scarlett schwanger ist? Sie weiß es seit gestern und ich seit vorhin."
"Und Bill?", fragt er.
"Noch nicht. Sie sagt es ihm, wenn er wieder aus Peru zurück ist.", erkläre ich.
"Ich bin sicher, das wird eine riesen Überraschung.", sagt er. Aber irgendetwas an seiner Stimme lässt mich aufhorchen.
"Charlie, warum freust du dich nicht darüber?"
"Natürlich freue ich mich darüber. Wie kommst du darauf, dass es anders ist?"
"Instinkt.", sage ich schlicht.
"Wieso kann man dir eigentlich nie etwas recht machen?", fragt er genervt.
"Weil ich es hasse, wenn man mich anlügt. Und es tut mir leid, aber ich weiß es nunmal. Ich weiß, dass du mich anlügst."
"Ich lüge dich nicht an. Wieso glaubst mir das nicht einfach? Vertraust du mir nicht? Ist es das?", sagt er laut.
"Nein.", sage ich leise aber bestimmt. Ich werde mich garantiert nicht auf einen Streit einlassen. Wir werden das wie erwachsene Menschen bereden.
"Hör auf damit!", ruft er und fährt sich durch die Haare. "Du machst mich wahnsinnig!"
"Tut mir leid."
"Az, bitte! Ich kann... Hör auf damit!", sagt er laut. "Hör auf, so zu tun, als wäre ich nicht sauer!"
"Du hast doch gar keinen Grund, sauer zu sein, wenn du mir die Wahrheit sagst. Worüber regst du dich dann auf?", frage ich ihn. Er fährt sich wieder durch die Haare und seufzt kurz.
"Ok...", sagt er und atmet ein paar Mal tief ein und aus. "Ich... Ich brauch frische Luft." Dann nimmt er seine Schlüssel und verschwindet. Hinter ihm fällt die Tür ins Schloss. Seufzend lasse ich mich auf die Couch fallen und streiche mir die Haare aus dem Gesicht. Ich weiß genau, dass es ihn nervt, wenn ich ihn frage, was los ist, bevor er bereit dazu ist, es mir zu sagen. Und ich will ihn auch nicht dazu drängen, aber die Frage "Was ist los?" rutscht mir einfach sofort raus, sobald ich sicher bin, dass ihn etwas belastet. Es ist diese innere Stimme in mir, die mir immerzu sagt, dass ich allen Menschen helfen muss. Charlie hat mir schon sehr oft gesagt, dass das unmöglich ist, aber ich kann es einfach nicht lassen, es wenigstens zu versuchen. Dazu kommt noch die Eigenschaft, dass ich einfach in Menschen lesen kann, wie in einem Buch. Bei ihm klappt das nicht immer, was ungewohnt für mich ist, aber oftmals liege ich richtig mit meinen Vermutungen. Und geradeeben war ich mir sicher, dass etwas nicht stimmt. Und ich habe eben nachgefragt. Dass das ein Fehler war, wird mir erst jetzt klar. Aber er ist schon weg.

--- Seine Sicht ---
Wütend hole ich aus und schlage auf den Boxsack ein, der mitten in der großen leeren Trainigshalle hängt. Sie gehört zum Drachenreservat, in dem ich arbeite. Um diese Uhrzeit ist keiner mehr da, weshalb ich alleine bin. Aber das ist mir gerade recht so. Ich habe absolut keine Lust, jetzt mit jemandem zu reden, so wütend bin ich. Nicht auf Az - wie ihr wahrscheinlich denkt - sondern auf mich selbst. Und auf diesen Arzt. Er hat alles kaputt gemacht. Mit einem einzigen Satz, der mein ganzes Leben verändern wird. Wie können einfache fünf Wörter nur so eine Macht haben? Und Azure weiß von nichts. Ich bringe es nicht fertig, ihr das zu sagen. Es würde ihren Traum vom Leben zerstören. Wieder schlage ich so fest ich kann zu. Meine Hände tun höllisch weh, aber ich höre trotzdem nicht auf. Ich wünschte, ich könnte das Problem einfach wegprügeln. Aber das ist unmöglich. Ein letztes Mal schlage ich auf den Sack ein, der mit einem dumpfen Knall zu Boden fällt.