david/thirty-six

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Behutsam nehme ich Valerias Hand und ziehe sie somit von meinem Motorrad runter. „Komm wir müssen da lang" sagt sie leiser und mit rauer Stimme in meine Richtung.

Eigentlich wollte ich mit ihr wieder zu meinem Lieblingsplatz den ich ihr ja schon einmal gezeigt habe, jedoch hielt sie mich davon ab und sagte mir ein anderes Ziel. Und so kommt es das wir mit meinem Motorrad zu einem Waldrand fuhren und jetzt in Richtung Waldmitte gehen.

„Hast du schonmal das Gefühl von Freiheit verspürt David?" Habe ich? Was genau ist Freiheit eigentlich? Jeder dachte doch schonmal ‚Ich spüre Freiheit'. War es jedoch wirklich die grenzenlose Ungebundenheit oder nur eine Illusion? Eine Einbildung? Und wenn es die echte war, wie fühlte es sich an? Fühlt man sich wie ein fliegender Vogel oder doch nur wie eine Welle auf dem weiten Meer die Sekunden später wieder unterdrückt wird? Was genau spürt man denn jetzt bei Freiheit? Kann das jemand beantworten? Und wenn ja, wer sagt mir das es nicht wieder nur eine Illusion der Peron war?

„Gibt es die Freiheit den überhaupt?" Intensiv schaue ich Valeria an, diese schaut aber nur starr geradeaus. „Was glaubst du denn?" Vorsichtig nicke ich mit meinem Kopf, was Valeria lächeln lässt. „Es gibt sie tatsächlich. Mann muss sie nur finden. Jedoch findet man sie nicht, wenn man gezwungen nach ihr sucht, sondern nur wenn man sie unbedingt braucht und nicht mehr weiter weiß. Dann kommt sie nämlich und die findest sie schließlich automatisch"

Perfekt zum Ende ihres Satzes hin, treten wir aus dem Wald und vor uns präsentiert sich die komplette Downtown von Seattle unter einem unbeschreiblichen Sonnenuntergang. Schockiert von diesem Ausblick nehme ich zunächst nicht mal die lauten Wassergeräusche wahr, bis ich aus meiner Schockstarre falle und den großen Wasserfall rechts neben uns erblicke. „Wie hast du das hier gefunden?"

Verträumt schaue ich von dem Ausblick zu Valeria, die gedankenverloren auf Seattle schaut. Einige Minuten vergehen bis sich das hellblonde Mädchen plötzlich aus ihrer Starre löst, sich hinsetzt, neben sich klopft und mich erwartungsvoll ansieht. Verwirrt komme ich ihrer stillen bitte nach und lasse mich neben ihr nieder.

„Ihr erzähle dir jetzt auch etwas von mir David. Hier ist mein ‚eigentliches' Zuhause. Vor 8 Jahren, kurz bevor meine Mutter starb, waren wir hier in Seattle im Urlaub, da meine Mutter unbedingt mal wieder ihre Geburtsstadt sehen wollte. Eines Tages traf sich mein Dad mit einem seiner Geschäftspartner und meine Mom und ich hatten daher Zeit für uns beide. Kurzerhand beschloss sie dann mir ihren Lieblingsplatz zu zeigen und eine Stunde später standen wir dann genau hier wo wir gerade eben sitzen. Unglaubliche 6 Stunden saßen wir hier und haben uns den Sonnenuntergang und noch viele andere Sachen angesehen. Mein Dad hatte uns tatsächlich 30-mal angerufen, weil er sich um uns sorgen machte, da es dunkel wurde und wir immer noch nicht Zuhause sind." Während der Erzählung bildete sich auf Valerias Gesicht langsam ein winziges Lächeln, jedoch lief im nächsten Moment eine Träne über ihre rechte Backe.

„2 Wochen später passierte dann der Unfall in Spanien. Als mein Dad davon erfuhr war er natürlich erleichtert das mir nichts passierte, aber auch zutiefst erschüttert das die Liebe seines Lebens gestorben ist. Meine Mutter war nicht nur Dads Frau, nein. Sie war seine Seelenverwandte, seine Ruhe, sein Zuhause und seine zweite Hälfte" Immer mehr Tränen strömen aus ihren Augen sodass sie sie mittlerweile schon mit ihrem Ärmel wegwischt.

„Am nächsten Tag haben es dann auch die Eltern von meiner Mom und die meines Dads gewusst und natürlich waren auch diese zu tiefst erschüttert. Die Eltern meiner Mom waren auch unendlich froh das ich Lebe und haben mich minutenlang umarmt- ganz im Gegenteil zu den Eltern meines Dads. Diese haben meine Mom abgöttisch geliebt und als sie von ihrem Tod erfuhren haben sie sich die Augen aus den Augenhöhlen geheult, was natürlich verständlich ist. Als sie jedoch hörten das ich auch beim Unfall dabei war und noch dazu überlebt habe ist der Hass von ihnen auf mich geboren worden. Immer und immer wieder gaben sie mir die Schuld an dem Tod meiner Mutter. Als sie schließlich bei uns im Haus einzogen, um meinen Dad mit mir behilflich zu sein, wurden die Beschuldigungen immer öfter und mehr. Jeden Tag sagten sie mir ich wäre mit nur 9 Jahren eine Mörderin und das Tagein und Tagaus" Ihre Mine wechselt urplötzlich von Traurig auf Wütend, sodass ich überrascht meine Augenbraue hochziehe.

„Ich hatte ein offensichtliches Trauma von dem Unfall, doch anstatt mich in eine Therapie zu geben, meinte meine geliebte Großmutter sie müsse mich einfach nur anders erziehen und dann würde das schon wieder besser werden. Seit ich 10 Jahre alt bin wurde ich also mehr von meinen Großeltern erzogen als von meinem Vater, jedoch hatten die beiden die falsche Erziehungsweiße bei mir. Sie unterdrückten und verfälschten mich und meine eigene Entwicklung und stattdessen erzogen sie mich mit Hass. Ich hatte noch nicht mal ein Mitspracherecht bei irgendetwas in meinem Leben. Und so kam es das ich eben mit 15 total abrutschte und mit dem Trinken und Rauchen anfing- was ihnen natürlich gar nicht passte. Dann kam ich mit meinem Ex zusammen und hörte mit beidem wieder auf, eine Persönlichkeit hatte ich aber immer noch nicht. Als wir dann nach Seattle zogen konnte ich das erste Mal Ich selber sein und gerade eben habe ich das erste Mal seit 8 Jahren wieder das Gefühl von Freiheit. Und das an der stelle wo ich es das letzte Mal hatte" Schockiert sehe ich immer noch Valeria an, die gefühlskalt in die Weite sieht.

„Wer bist du?" frage ich einfach nur. „Na die die jeder sehen will. Die die meine Großeltern sehen will. Einfach Valeria Parker. Jeder meint ich habe eine große Persönlichkeit, aber die habe ich nicht. Nur eine verfälschte" erklärt sie mit gebrochener Stimme.

„Und wer willst du gerne sein?" „Eine ständige freie, unabhängige, geliebte Person. Die wirkliche Valeria Parker. Einfach Ria" Ihre Stimme ist nur noch ein Hauch aus nichts und in ihren Augen warten schon die nächsten Tränen auf ihren Einsatz.

„Warum bist du es dann nicht?" „Ich weiß es nicht. Ich weiß einfach nicht wie ich es machen oder schaffen soll. Ich will doch einfach nur mein altes Ich haben!" schreit sie mit rauer Stimme und bricht schließlich weinend auf meiner Schulter zusammen.


Dieses Kapitel hat mich echt viel Mühe gekostet und deswegen hoffe ich natürlich das es euch gefällt! :)

Das foto habe ich übrigens selbst gemacht. Wie findet ihr es? :))

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