Chapter 66

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Solche Träume hatte ich auch in der folgenden Woche noch öfter.
Die meisten Details sind immer anders, Krankenhaus, Wetter, Zeit... Aber das Ende bleibt gleich. Die beiden Babys sehen immer haargenau gleich aus und jedes Mal empfinde ich nichts.
Dieses Mal ist es sogar noch weiter gekommen...
Ich wache also schweissgebadet auf und muss mich erstmal sammeln. Wir sind im Bus und wahrscheinlich auch schon in Oldenburg angekommen. Mit einem Blick auf mein Handy stelle ich fest, dass es kurz vor fünf Uhr ist. Ich stütze mich also hinter mir ab und versuche, meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen.
"Süsse, was ist los?" murmelt Wincent neben mir und dreht das Licht ein klein wenig heller.
"Ich hab nur schlecht geträumt" antworte ich.
Wincent setzt sich nun erst recht auf und schaut ebenfalls einmal kurz auf sein Handy, bevor er mir beruhigend über den Rücken streichelt.
"Was ist denn los?" flüstert er und zieht mich an seine Brust.
In den letzten Tagen habe ich alles einfach immer runtergeschluckt, aber jetzt brechen wirklich alle Dämme.

-SICHT WINCENT-
Okay, was ist denn jetzt auf einmal los? Etwas überfordert halte ich Mira einfach fest. Zwar ist es doch schon nicht das erste Mal, dass sie schlecht träumt und ich musste sie deshalb auch schon ein paar mal beruhigen, aber so schlimm war es noch nie. Sie ist gerade einfach in meinen Armen zusammengebrochen.
Es dauert eine Weile, aber irgendwann hat sie sich soweit beruhigt und atmet ruhig, ist aber hellwach.
Ich lehne an den Polstern, während Mira komplett zusammengekauert in meinen Armen liegt.
"Süsse, wovon träumst du ständig? Das kann nicht gesund sein."
"Werde ich die beiden lieb haben?"
"Was?"
"Werde ich die beiden Kleinen lieben?"
"Du bist ihre Mutter."
"Ja, aber werde ich sie lieben?"
"Das träumst du? Süsse, du liebst die beiden doch jetzt schon mehr als alles andere. Du beschützt sie... Und du träumst das, weil du genau solchen Respekt vor der Zukunft als Mama hast, wie ich vor der Zukunft als Papa... Mit dem Unterschied, dass du wahrscheinlich schon mehr Ahnung hast. Süsse, du bildest dir das alles nur ein, weil du Respekt vor allem hast. Du liebst die beiden. Da mach dir mal keine Sorgen."
"Aber irgendwas müssen diese Träume doch bedeuten... Ich träume doch nicht einfach so sieben Nächte, fast in Folge, dass ich meine Kindern gegenüber, die gerade noch in meinem Bauch heranwachsen, nichts empfinde. Keine Zuneigung, keine Liebe... Nichts... Zwar finde ich sie in jedem Szenario süss, aber mehr nicht. Ach ja und noch viel besser, dass ich bei der Geburt sterbe ist auch eine schöne Vorstellung."
"Okay, stopp! Schatz, nichts davon wird wahr werden. Ausser vielleicht, dass unsere Kinder wahnsinnig süss sein werden... Aber du wirst bestimmt nicht sterben, geschweige denn davon, dass du nichts für die zwei Krümel empfinden wirst. Schatz, du freust dich doch jetzt schon darauf, Mutter zu werden. Und du wirst mit Sicherheit die beste Mama. Das ist nur die Panik... Die hat bestimmt jeder, nur zeigt sie sich wahrscheinlich bei jedem unterschiedlich."
"Aber nicht in jeder Familie gibt es eine Vorgeschichte von Muttersterben. Lu und Noahs Mutter ist bei der Geburt gestorben, wenn ich das mal so sagen darf."
"Okay, ich kann verstehen, dass du Angst davor hast, aber wir gehen regelmässig zu den Untersuchungen. Wenn da irgendwas wär, hätte uns die Ärztin doch schon lange in Kenntnis gesetzt."
"In den meisten Fällen verlaufen die Schwangerschaften super und trotzdem sterben die Mütter."
"Aber das muss doch nichts heissen. Schatz, du stirbst nicht. Dafür bist du viel zu stark."
"Aber wenn-"
"Da gibt's kein aber wenn! Schatz, mach dich nicht so verrückt. Du bist in letzter Zeit körperlich sowieso schon am Limit und wenn es nur nach mir gehen würde, würdest du den ganzen Tag keinen Finger krümmen."
"In einer Woche beginnt mein Mutterschutz, da kann ich jetzt noch die eine Woche arbeiten."
"Dir ist aber klar, dass ich deinen Mutterschaftsurlaub auch um eine Woche vorverlegen könnte."
"Und dann? Wincent, ich mach doch jetzt schon fast nichts."
"Eine Woche und dann sind wir eh hauptsächlich zuhause. Du bist in der 29. Woche. Du sollst dich schonen."
Seufzend streckt sie sich etwas zu mir und legt ihre Lippen auf meine.
"Einschlafen lohnt sich jetzt sowieso nicht mehr, lass uns noch ein bisschen kuscheln" murmle ich und sinke mit Mira etwas weiter in die Matratze.
Ich dämmere auch wirklich nochmal weg, bis dann irgendwann leider doch unser Wecker klingelt.

Nach dem Soundcheck sitze ich zusammen mit Marvin und Amelie vor dem Bus. Wir schauen uns einfach ein paar Aufnahmen an, die Marvin bis jetzt so zusammengeschnitten hat. Die sind echt gut geworden. Ein paar Bilder sind auch privat ziemlich schön.
"Alter, deine Augenringe sahen auch schonmal besser aus" meint Marvin dann "Du hast doch noch gar keine Kinder."
"Ne, aber eine hochschwangere Frau, die gerade nicht ihre leichteste Phase hat. Ich war um kurz vor fünf wach."
"Kannst du dich wenigstens schonmal dran gewöhnen" schmunzelt Amelie.
"Bist du lustig."
Ich nehme mir mein Handy und lehne mich auf meinem Stuhl etwas zurück.
"Amelie, können du und Wincent mal zur Technik kommen? Mira geht es glaub nicht wirklich gut" höre ich es dann aber aus Amelies Funkgerät.
"Was ist los?" fragt Amelie sofort rein.
"Ehm... Sie ist hier grade halb zusammengebrochen."
Und in dem Moment springe ich auf und renne zur Technik, wo ich meine Frau ziemlich beleidigt auf einem Stuhl sitzen sehe. Die Jungs stehen neben ihr und passen sichtlich auf, dass Mira nicht gleich abhaut. Ist ja nicht so, dass sie deutlich nicht in der Lage dafür wäre. Sie ist richtig blass.
"Was ist passiert?" frage ich und hocke mich vor meine Frau, um ihre Hände zu nehmen.
"Sie hat sich plötzlich heftig gekrümmt" antwortet Friedl.
"Das waren nur ein paar heftigere Tritte" meint Mira und will aufstehen.
"So heftig, dass du dich so krass krümmst?" äussert dann Tom die Zweifel, die wir wohl alle haben.
"Schatz, sag mir jetzt sofort, wie es dir wirklich geht."
"Es waren einfach Tritte."
"Mira, du bist total blass im Gesicht" meint Amelie dann ebenfalls besorgt.
"Wir fahren ins Krankenhaus" beschliesse ich dann kurzer Hand.
"Das wäre am vernünftigsten" stimmt auch Amelie mir zu "Sabi ist mit dem Auto hier, ich frag mal, ob sie euch fährt. Ich bleibe hier und sorge dafür, dass alles gut läuft."

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