16. Neue Heimat

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In Gedanken versunken legte Murtagh die letzten Meter zu seiner Höhle zurück, welche er gemeinsam mit Dorn bewohnte. Nach der Schlacht von Urû'baen war Murtagh dem Flusslauf folgend nach Norden aufgebrochen. In Bullridge hatten sie zum ersten Mal Rast gemacht. Wegen der nahenden Varden-Armee war das Dorf größtenteils verlassen gewesen.In den verwaisten Häusern hatte sich Murtagh mit allem nötigen für die Reise versorgt. Proviant, einige wetterfeste Kleidungsstücke und aus einer Schmiede hatte er Werkzeuge mitgenommen, welche ihm beim Schaffen eines neuen Heims nützlich sein würden.Sein Gewissen hatte ihm einen leichten Stich versetzt als er die Werkstatt praktisch plünderte. Um den Besitzer, sollte er zurückkehren, für den Verlust zu entschädigen hatte Murtagh seine Rüstung zurückgelassen. Der blanke Stahl war von bester Qualität und wenn der Schmied ihn verkaufte würde dies seine Verluste mehr als wettmachen.Als sie sich mit allem versorgt hatten, waren die beiden Reisegefährten wieder aufgebrochen. Diesmal mehr in westlicher Richtung. Weder Murtagh, noch Dorn hatten Lust den Elfenwald zu überqueren. Zu groß war ihre Sorge, dass man sie angreifen würde.Daher flogen sie nach Westen, bis sie den Buckel erreichten. Von dort aus strebt sie wieder geradewegs nach Norden. Nachdem sie das Palancar-Tal, Eragons alte Heimat, hinter sich gelassen hatten, begannen beide sich zu entspannen. Sie hatten den bekannten Teil Alagaësias verlassen. Hier würde sie niemand kennen. Niemand würde sie verurteilen.Nach einigen Wochen hatten sich schließlich ein kleines Tal entdeckt, welches ihnen geeignet schien um sich fürs erste niederzulassen. Das Tal selbst war schmal und von einem kleinen Flusslauf durchzogen. Die Quelle dieses Baches lag am westlichen Ende des Tals. Der Wasserlauf entsprang dem Berg auf halber Höhe. Er suchte sich seinen Weg ans Tageslicht aus einer Höhle, vor der ein kleines Plateau war.Diese ebene Fläche war gerade groß genug für Dorn um dort zu landen. Die beiden Reisegefährten waren sich einig hier einen guten Unterschlupf gefunden zu haben. Die Höhle teilte sich in zwei Kammern. Die Größere von Beiden, durch die auch der schmale Bachlauf strömten bewohnte Dorn. Die kleinere Kammer im hinteren Teil der Höhle war Murtagh Schlafzimmer geworden. Möbel hatte sich der junge Drachenreiter aus Bäumen gebaut, die er gefällt hatte. Mit einiger Mühe hatte er sich sogar Bettzeug aus dem Fell einiger erlegter Tiere schneidern können. Sich häuslich einzurichten hatte einige Wochen gedauert, doch nun war Murtagh mit dem Ergebnis zufrieden.Etwas außer Atem verließ Murtagh nun den kleinen Bergpfad, welcher in schmalen Windungen vom Boden des Tals zu seinem Plateau hinauf führte. Oben angekommen blickte er in die Ferne.Es war ein guter Ort!Von hier oben konnte man das ganze Tal überblicken sowie die weitläufige Steppenlandschaft, in der Dorn auf die Jagd zu gehen pflegt. Angreifer oder sonstige ungebetene Besucher würde man lange im Voraus ausfindig machen können.Obwohl er nicht verfolgt wurde, war die allgegenwärtige Vorsicht nie von Murtagh abgefallen. Um sich zu schützen hatte der junge Drachenreiter eine große Menge an Steinen und Geröll am Rand des Plateaus aufgestapelt und durch einen Baumstamm gesichert. Im Falle eines Angriffs musste Murtagh nur ein Seil durchtrennen und eine Lawine aus Holz und Geröll würde auf die Angreifer niederprasseln die auf dem schmalen Bergpfad sicher nur langsam vorankamen. Es beruhigte den jungen Mann auch, dass er in diesem Tal nicht in der Falle saß.Im Notfall würde Dorn in der Lage sein die Bergkuppen zu überfliegen.Er würde also nicht mit dem Rücken zur Wand enden wie damals als er mit Eragon vor der anrückenden Urgal Armee zu den Varden floh.Auch Zar'Rocs Gewicht an seinem Gürtel beruhigte ihn.Er verstand nicht ganz, warum ihm das Schwert seines Vaters, welches ihn beinahe getötet hätte, so wichtig war. Doch trug es immer bei sich.Als er mit seiner Jagdbeute, welche aus zwei Kaninchen bestand, die Höhle betrat, musste er schmunzeln. Wieder einmal betrachtete Dorn verträumt das Wunschbild seiner kleinen Schwester und das seiner Eltern. Murtagh hatte seinen Drachen geholfen die Bilder, welche Eragon ihnen geschickt hatte, sicher an der Höhlenwand zu befestigen.Er war seinem Bruder wirklich dankbar für dieses Geschenk. Es hatte Dorn unendlich viel bedeutet etwas über seine Vergangenheit zu erfahren und zu wissen, dass er sogar so etwas wie eine Familie hatte.Nur ungern dachte Murtagh an die Zeit zurück, als das von Galbatorix erzwungene beschleunigte Wachstum, Dorn an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Stundenlang hatte Murtagh seinen Geist mit dem von Dorn vereint gehalten und ihm geholfen sich mit seiner ungewohnten neuen Größe zurechtzufinden.Durch Eragons Geschenk schien der rote Drache in der Welt Wurzeln geschlagen zu haben. Vorher hatte er sich immer losgelöst gehüllt, fehl am Platz.Die Erinnerung an die schwere Zeit Urû'baen würde Dorn, ebenso wie seine Reiter, ein Leben lang verfolgen. Doch durch das Geschenk, das der Rote erhalten hatte, waren aus offenen Wunden Narben geworden, die zwar sichtbar blieben, aber Dorn nicht mehr daran hinderten am Leben teilzunehmen.Gut erinnerte sich Murtagh noch wie aufgeregt sein Drache zugehört hatte als seine Reiter ihm Eragons Schriftrolle vorlas und er so Einblick in das Leben seiner Eltern bekam. Seine Mutter Kyra war das gewesen, was man unter den wilden Drachen eine Bewahrerin nannte. Das bedeutete, dass das ererbte Wissen der Drachen bei ihr besonders stark ausgefallen war!Solche Drachen waren unter den Wilden hoch angesehen.Oft versammelte sich der gesamte Brut-Clan um sie, um von der Vergangenheit zu lernen.Bewahrer erinnerten sich nämlich nicht nur an Fakten, sondern auch an Gerüche und andere Sinneseindrücke. Teilten sie diese Erinnerung mit ihrem Clan musste es sein, als ob man tatsächlich durch ein Fenster in die Vergangenheit eines anderen Drachen blicken würde.Altor, Dorn's Vater, war unter den Wilden ebenfalls hoch angesehen gewesen. Der Ruhm seines Vaters basierte vor allem auf dem Mut, den er schon als junger Drache gezeigt hatte. Altors Eltern hatten ihr Nest im Beorgebirge. Altor war als erstes Junge geschlüpft und hatte bereits die Größe eines Hirtenhundes. Seine beiden Geschwister waren später geboren worden und noch im Schlüpflings-Stadium. Um ausreichend Beute für sich und ihren Nachwuchs zu erlegen waren die Dracheneltern zu einer gemeinsamen Jagd aufgebrochen. Während sie fort waren, hatte einen Shrrg, einer der riesenhaften Wölfe des Beorgebirges, die Größe von Pferden erreichen konnten, dass unbewachten Nest angegriffen.Der junge Altor hatte seine Geschwister todesmutig verteidigt und es war ihm tatsächlich gelungen den angreifenden Wolf zu töten. Eine Tat, die ihm nicht nur den Stolz und die Liebe seiner Eltern einbrachte, sondern auch die Hochachtung seiner Artgenossen.Immer wieder hatte Dorn diese Geschichten hören wollen und Murtagh war mehr als bereit sie immer wieder vorzulesen.Murtagh ging neben dem Kopf seines Drachen in die Hocke und kraulte seinen Hals.- "Bist du traurig, dass Du Deine Schwester noch nicht kennenlernen kannst?" -- "Nein. "- erwiderte Dorn. - "Eragon hat recht. Sie muss erst alt genug sein, um das alles zu begreifen. Auch das was wir getan haben." -- "Sie wird es sicher verstehen. Wir hatten keine Wahl." -- "Das wird sie sicher. Aber ich möchte, dass sie etwas hat, was wir nicht hatten. Die Möglichkeit unbeschwert mit ihrer Reiterin aufzuwachsen. Diese junge Elfe scheint sie wirklich zu mögen, oder? "-- "Da bin ich sicher. "- schmunzelte Murtagh.-" Gut. Und jetzt Troll dich in dein Kämmerlein. Ich möchte noch ein Bad nehmen. "-lächelnd ging Murtagh davon. Nur zu gut wusste er, dass Dorn nicht vorhatte ins Wasser zu springen. Ein Bad bedeutete für den roten Drachen mit seinem Feuer die Wände der Höhle aufzuheizen und dann die Wärme zu genießen. Murtagh sicherte seinen Wohnbereich in solchen Fällen immer mit einem Schutzwall.- "Ach übrigens: Ich gebe dir meine Erlaubnis. "-- "Wozu?" -Dorn verdreht die Augen.- "Nun spiel mal keine Spielchen mit mir. Seit dein Bruder dir diesen Spiegel geschickt hat wartest du doch nur darauf, dass irgendjemand sagt: Ich erlaube dir mit deiner Herzensdame in Verbindung zu treten. Mach es endlich! Du willst es, streite es nicht ab! Also bitte: Ich erlaube es dir!" -Mit einem Lächeln auf den Lippen schüttelte Murtagh den Kopf. Dorn kannte ihn einfach viel zu gut.

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Eragon Band 5 - Jedes Ende ist ein AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt