54. Dämmerung

239 16 0
                                    

Eragon lag auf dem Bett seines Quartiers. Der Ball war lang gewesen, doch ohne schwerwiegende weitere Vorfälle verlaufen. Das einzige nennenswerte Ereignis im weiteren Verlauf des Abends war die Art und Weise gewesen, mit der König Orrin den Saal verlassen hatte.
Der Monarch von Surda war so betrunken gewesen, dass zwei seiner Leibwächter ihn stützen mussten, damit er sich auf den Beinen halten konnte. Dabei hatte der König lautstark eine Rede gehalten, die jedoch keiner der Anwesenden mehr verstehen konnte, da seine Aussprache unter dem Alkoholgenuss extrem gelitten hatte.
Nachdem das Fest schließlich beendet war, hatten Eragon und die anderen Reiter sich in ihre Quartiere zurückgezogen.
Natürlich hatte der junge Anführer der Drachenreiter seine treue Begleiterin Saphira über Nasuadas Zustand informiert. Auch die blaue Drachendame konnte keine unmittelbare Lösung für das Problem der jungen Herrscherin aufbieten.
Eragon drehte sich schlaflos auf die Seite und starrte aus dem schmalen Fenster seines Quartiers. Irgendwie kam ihm diese kleine Öffnung in der dicken, steinernen Mauer ihm wie eine perfekte Metapher vor. So sei jeder wohl die Welt: Ein kleines, stark begrenztes Stückchen des großen Ganzen. Der Blickwinkel schien so unveränderlich wie die rauen Steine, die die Wand bildeten.
Eragon hörte wie die Tür zu seinem Zimmer geöffnet wurde. Ein feiner Geruch von Tannennadeln breitete sich aus und zauberte ein Lächeln auf das Gesicht des jungen Anführers der Reiter.
Er spürte die Arya zu ihm ins Bett stieg, konnte fühlen wie ihr Körper sich an seinen schmiegte und sie den Arm um ihn legte. Zwar hatten die beiden beschlossen sich ihr Bett stets zu teilen, doch die Unterkünfte der ehemaligen Offiziere konnten nur mit sehr schmalen Betten aufwarten. Einen erholsamen Schlaf war für zwei Personen nur schwer möglich. Umso dankbarer war Eragon für Aryas Gesellschaft. Er drehte sich um und verlor sich sofort in ihren grünen Katzenaugen.
Arya fuhr mit ihren Fingerspitzen an Eragons Haaransatz entlang. Zärtlich wie ein Windhauch berührte sie dabei seine Haut.
"Ich dachte mir schon, dass Du keine Ruhe finden kannst." Flüsterte die Elfe schließlich. "Es geht um Murtagh und Nasuada, oder?"
Eragon nickte.
"Es kommt mir so falsch vor. Ein Kind sollte für die beiden ein Grund sein sich zu freuen und nicht in Sorgen zu versinken."
"Da hast Du recht Liebster. So sollte es sein."
"Wie ist Deine Meinung zur Situation der Beiden?"
Arya zögerte einen Augenblick.
"Ich bin nicht sicher ob der meine Ansichten gefallen." Sagte sie schließlich.
"Ich will sie trotzdem hören."
"Ich bin mir nicht sicher, ob ihre Beziehung unter einem guten Stern steht. Versteh mich nicht falsch, ich gönne Nasuada das Glück von Herzen aber das Kind, das sie jetzt empfangen hat, ist nur Teil eines viel größeren Problems. Sie hat Ihr Herz an einen unsterblichen Drachenreiter verloren. Murtagh wird sie überleben. Das wird für sie und auch für ihn schwer werden."
"Hat es in der alten Zeit keine solchen Beziehungen zwischen Drachenreitern und menschlichen Frauen oder Männern gegeben?"
"Nur eine Hand voll." Antwortete Arya. "Die meisten Reiter haben entweder Gefährten innerhalb des Ordens oder unter den Elfen gefunden. Diejenigen, die Ihr Herz ein Sterblicher verloren haben mussten irgendwie damit umgehen. Die meisten Beziehungen endeten mit einem tragischen Abschied. Sicher, mit der Magie vermag ein Reiter das Leben einer geliebten Person zu verlängern. Auch kann man den Anschein von Jugend aufrechterhalten. Die Schäden des Alters an Organen lassen sich reparieren, Haare kann man von grau oder weiß wieder mit Farbe ausstatten und die Falten im Gesicht glätten."
"Doch Menschen sind nicht wirklich für die Unsterblichkeit geschaffen." Vollendete Eragon. "Nun, ganz gleich was am Ende ihres gemeinsamen Weges steht. Das Glück, dass sie auf dem Weg erleben gönne ich den Beinen. Die Zukunft wird zeigen, wie sie mit der Situation umgehen. Im Augenblick müssen wir eine Lösung für Ihr momentanes Problem finden."
"Das Problem ist kleiner als Du vielleicht glaubst Eragon. In der Geschichte von menschlichen Herrschern haben diese oft illegitim gezeugte Nachkommen anerkannt und zu ihren Erben gemacht. Es ist auch Nasuadas Recht den Vater ihres Kindes nicht zu nennen. Sicher werden einige Vertreter des Adels die Nase rümpfen aber sie wissen, dass das Volk hinter der Königin steht und dass sie sich vom Volk trennen, wenn sie offen etwas sagen."
"Das löst vielleicht Nasuadas Problem aber was ist mit Murtagh?" Überlegte Eragon. "Es ist schon schwer genug, die Frau die er liebt nur so selten zu sehen aber seinen Sohn oder seine Tochter?"
"Für ihn wird es in der Tat schwierig." Gestand Arya. "Vielleicht könnte Nasuada ihren Sohn oder ihre Tochter unter einem Vorwand öfters auf's Land schicken. Das wäre vielleicht sogar ganz gut. Kinder sollten nicht zu früh in die Ränkespiele der Politik verwickelt werden."
Eragon blieb skeptisch.
"Eine perfekte Lösung wäre auch das nicht. Doch ich bezweifle, dass es so etwas wie eine perfekte Lösung überhaupt gibt."
Wieder dachte Eragon an die Metapher mit dem Fenster.
"Es wäre wohl alles leichter, wenn Murtagh nicht von Galbatorix Sünden belastet wäre. Im Grunde war es der Verräter, der gemordet hat aber die Leute erinnern sich an den Reiter des roten Drachens."
Während er die Worte sprach bemerkte der junge Anführer der Reiter wie sich Aryas Stimmung etwas verändert. Es war ein subtiler Wandel, vergleichbar mit einer sanften Brise, die die Richtung änderte.
"Was hast Du?" Wollte er von seiner Gefährtin wissen.
"Versteh mich nicht falsch Eragon, auch ich weiß, dass Murtagh kein leichtes Leben geführt hat und unter der Kontrolle von Galbatorix gehandelt hat. Doch auch mir fällt es manchmal schwer zu vergessen, was er getan hat. Er hatte selbst zugegeben, dass er sich einen Teil von sich selbst hingegeben hat, der, ungerechterweise, in Dir den Inbegriff all seines Leidens sah. Ich habe gesehen wie viel Zorn er in sich trägt. Ich will gerne glauben, dass er sich geändert hat aber der Eindruck, den er hinterlassen hat, haftet trotzdem."
Es versetzte Eragon einen kleinen Stich, dass auch die Frau, die er liebte noch Zweifel an seinem Halbbruder hegte. Doch er rief sich zur Ordnung. Konnte er es Ihr wirklich verübeln? Hatte nicht auch ein Teil von ihm selbst manchmal daran gezweifelt, ob der gute Mann, mit dem Eragon durch Alagaesia gereist war, noch zu retten war?
Noch während er nachdachte, sprach Arya weiter. Trauer schlich sich mit in ihre Stimme.
"Du weißt es vielleicht nicht Eragon aber Oromis, Glaedr und ich standen uns näher als der vielleicht denkst. Als ich auserwählt wurde Saphiras Ei zu beschützen wurde ich quasi die Schülerin von Togira Ikonoka (der unversehrte Krüppel). Ich habe viel von ihm gelernt. Er hat mich in die Geschichte der Drachenreiter eingeführt als wäre ich selbst eine Reiterin. Er wollte, dass ich begreife welches Erbe ich beschützen. Er hat mir auch Zauber beigebracht, die sonst nur in den Reihen des Ordens der Reiter bekannt waren. Ich habe ihn respektiert und als Mentor und Freund geschätzt. Ich weiß, dass es nicht Murtagh war, der den tödlichen Hieb geführt hat aber..."
Arya hatte den Blick gesenkt. Eragon vermutete, dass sie fürchtete, er könnte ihre Beweggründe nicht verstehen. Um sie vom Gegenteil zu überzeugen, legte er den Arm um sie und zog sich etwas näher an sich. Zärtlich strich er Ihr über den Rücken.
"Ich verstehe, was Du sagen willst mein Stern. Manchmal begreift der Verstand was das Herz noch nicht begreifen kann."
Arya nickte dankbar.
"Ich denke, ich werde erst einmal mit Murtagh sprechen und in Erfahrung bringen wie er über die Situation denkt." Schlug Eragon vor. "Er ist der Vater und ohne ihn kann es keine Lösung geben. Vielleicht ist sowieso das Wichtigste, dass wir die Beiden wissen lassen, dass sie Freunde haben, auf die sie sich verlassen können."
Arya nickte zustimmend.
"Und die haben sie Liebster."
Dankbar küste Eragon die Elfe in seinen Armen. Er wusste, dass ihre Worte mehr ausdrücken sollten als der einfache Satz vermuten ließ.
Ein leises Klopfen unterbrach, die traute Zweisamkeit.
"Wer ist da?" Erkundigte sich Eragon.
Von draußen erklang die Stimme von Jörmundur.
"Verzeiht die Störung Schattentöter aber die Königin möchte Euch sprechen. Dem Elfenkönig Maranus sind beunruhigende Berichte zu Ohren gekommen. Es scheint Probleme in Du Weldenvarden zu geben.
Eragon und Arya blickten sich kurz an und verstanden sich ohne Worte.
"Wir kommen sofort." Rief Eragon dem Mann vor der Tür zu.
Als sich die Schritte von Jörmundur entfernten hatten die beiden Drachenreiter bereits das Bett verlassen und kleideten sich an.
Arya verzichtete nun auch Ihr Ballkleid und legte, wie Eragon, dem eins in der Farbe der Schuppen ihres Drachen an. Einfache schwarze Hosen und Stiefeln, das Wappen der Reiter und ihre Schwerter komplettierten ihre Garderobe.



Nur wenige Minuten später betraten Eragon und Arya Nasuadas Konferenzzimmer. Die Königin unterhielt sich gerade mit dem Elfenherrscher Maranus. Orik, Nar Garzhvog und einige andere Würdenträger der verschiedenen Völker waren ebenfalls anwesend. Unter ihnen war auch Fürst Däthedr. Sowohl Arya als auch Eragon hätten auf die Anwesenheit dieses Elfen verzichten können aber beschlossen die Dinge nicht komplizierter zu machen, indem sie protestierten.
Nasuada begrüßte die beiden Reiter und bat sie ebenfalls an der Konferenztafel Platz zu nehmen. Beide kamen sie der Aufforderung nach.
"Wo ist König Orrin?" Wollte Eragon wissen. Er stellte die Frage aus reiner Höflichkeit, da er bezweifelte, dass der Herrscher von Surda bereits wieder klar denken konnte.
Es war ein Offizier mittleren Alters von Orrins Garde der antwortete.
"Der König ist leider nicht in der Verfassung an dieser Besprechung teilzunehmen. Mit der gnädigen Erlaubnis von Königin Nasuada werde ich Surda vertreten. Ich danke Euch Reitern aber, dass sie unserem Land die ihm zustehende Bedeutung beimesst."
"In der Tat, habe ich Hauptmann Jostan erlaubt Surdar zu vertreten." fügte Nasuada hinzu und betonte ihre nächsten Worte um klarzumachen, dass sie meinte, was sie sagte. "Er ist ein zuverlässiger und aufrechter Diener seines Reiches und wird sicherlich die Interessen Surdas würdig vertreten."
Eragon nickte verstehend. Der Soldat machte in der Tat einen aufrechten und kompetenten Eindruck und es würde die Gespräche sicherlich erleichtern, hier nicht auch noch gegen politische Gegner antreten zu müssen.
"König Maranus, da es um Euer Volk geht solltet Ihr diese Angelegenheit vielleicht vortragen."
Dankbar nickte der Elfenkönig der jungen Herrscherin der Menschen zu und begann mit seinen Erklärungen.
"Ich halte nicht viel von langen Vorreden, daher komme ich direkt zum Kern der Sache. Es gibt beunruhigende Neuigkeiten aus einer unserer Städte. Um genau zu sein aus Osilon, die westlichste unserer Siedlungen in Du Weldenvarden. Wir betreiben von dort Haus handele mit dem zurückgekehrten Menschen in Ceunon. Besonders junge Mitglieder unseres Volkes nutzen die Gelegenheit, um etwas über die Kultur der Menschen zu erfahren, die sie bisher nur aus Büchern kennen. In den letzten zwei Tagen wurden Handelskarawanen unseres Volkes angegriffen und alle Mitglieder dieser Reisegruppen getötet. Da es keine Überlebenden gab, gibt es keine Anzeichen dafür wer die Angreifer waren. Neferta, die Fürstin von Osilon, hat Truppen ausgeschickt um die umliegenden Wälder zu durchsuchen und die Angreifer zur Strecke zu bringen. Auch diese Soldaten wurden getötet."
Arya schüttelte ungläubig den Kopf.
"Selbst Handelsreisende sind keine leichte Beute, wenn sie aus unserem Volk stammen! Sie können aber vielleicht überrascht worden sein. Doch ausgebildete und erfahrene Soldaten unseres Volkes, die mit einem Angriff rechnen, niederzumachen lässt auf ein beunruhigendes Machtpotenzial schließen."
"Der stimme ich Euch völlig zu Arya Sivit-kona." Bestätigte König Maranus. "Um es kurz zu machen, wir bitten um die Hilfe der Reiter. Ich halte es für wenig sinnvoll weitere Truppen auszuschicken. Es hat sich bereits gezeigt, dass wir damit nur den Verlust von weiteren Leben riskieren. Ihr Drachenreiter könnt Osilon schnell erreichen und aus der Luft auf eine Weise suchen, die Euch weniger angreifbar macht. Natürlich habe ich die Fürstin von Osilon angewiesen mit Euch in allen Angelegenheiten zu kooperieren."
Arya und Eragon tauschten kurz Blicke, dann erhob sich Saphiras Reiter.
"Selbstverständlich wird der Orden alles tun was in seiner Macht steht, um Euch zu helfen König Maranus. Erlaubte aber bitte noch eine Frage: Gab es bei keinem der Angriffe irgend einen Hinweis darauf, wer hinter diesen Angriffen stehen könnte?"
Es war Fürst Däthedr der antwortete. Der Tonfall des Elfen war ruhig und sachlich. Daher beschloss Eragon, sich ebenfalls auf das Wesentliche zu beschränken und sich nicht mit persönlichen Sympathien oder Antipathien aufzuhalten.
"Keinen, der die Identität des Angreifers endgültig enthüllt Schattentöter. Wir wissen nur folgendes: Die Angreifer müssen weit stärker als Menschen gewesen sein. Einige der Leichen war grausam zugerichtet und regelrecht zerfetzt. Auch können wir mit Sicherheit sagen, dass einige der Opfer durch Magie starben. Mehr lässt sich aber nicht sagen."
Noch einmal wechselte Eragon einen Blick mit Arya. Er wusste, dass sie genau dasselbe dachte: Dies würde die erste Bewährungsprobe des neuen Ordens werden.


2025 Wörter

Eragon Band 5 - Jedes Ende ist ein AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt