49. Veränderungen

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Es war spät geworden in der letzten Nacht. Daher wundert es Eragon nicht, dass die Sonne ihn bereits an der Nase kitzelte als er aus seinem Wachschlaf in die Realität zurückglitt. Was ihn allerdings leicht irritierte waren die Tatsache, dass er sich beobachtet fühlte.
Der junge Anführer der Reiter drehte den Kopf zur Seite und versank sofort in Aryas grünen Augen.
"Wie lange beobachtest du mich schon?" Fragte er nach einer Weile.
"Genau kann ich das nicht sagen." Gestand die Elfe.
"Nun, ich habe wohl kein Recht beleidigt zu sein. Schließlich habe ich deinen Anblick auch schon oft genossen."
Arya lachte leise. Der Klang zauberte das Bild eines kristallklaren Baches in Eragons Geist. Das Wasser schoß sprudelnd über moosbewachsene Felsen und schien der Inbegriff von Reinheit und Lebendigkeit zu sein.
"Wusstest du eigentlich Liebster, dass einige in meinem Volk glauben, dass man den wahren Namen einer Person am besten erkennen kann, wenn man diese Person im Schlaf beobachtet?"
"Warum glauben Sie das?"
"Weil wir im Schlaf alle Masken fallen lassen, die wir während des Tages tragen. Nur die Essenz dessen, was wir sind bleibt zurück."
Während sie sprach, hatte Arya sich so gedreht, dass ihr Oberkörper nun auf Eragons Brust lag. Dieser schlang einen Arm um die schlanken Hüften der Elfe und strich ihr mit der anderen einige Haarstränen hinter die wohlgeformten Ohren.
"Du brauchst meinen wahren Namen aber nicht mehr zu erraten, mein Stern."
Wie zur Bestätigung beugte sich Arya herab und flüsterte Eragon seinen wahren Namen ins Ohr. Ein Schauder lief über den Rücken des Drachenreiters und er hauchte Arya ihren Namen zu.
Als ihre Lippen zu einem zärtlichen Kuss verschmolzen hatte Eragon das Gefühl, Arya deutlicher zu spüren als noch vor wenigen Augenblicken. Wie lange sie sich küssten, konnte schon bald keiner der Beiden mehr sagen. Erst ein leises Klopfen an der Tür unterbrach die Beiden.
Ein lautloses Seufzen entfuhr den beiden Drachenreitern. Wer immer dort, vor der Tür zu ihrem Quartier stand, war glücklicherweise einsichtig genug nicht einzutreten.
"Seid Ihr zwei endlich wach?"
Katrinas Stimme war deutlich zu erkennen.
"Ja sind wir." Antwortete Eragon.
"Gut!" Entgegnete die Stimme von vor der Tür. "Roran und ich wollen mit Ismira im Dorf ein paar Einkäufe machen. Wir haben uns gefragt, ob ich vielleicht mitkommen wollt. Ihr habt ja vor uns heute Abend zu verlassen. Roran würde euch gerne noch ausführlich das Dorf zeigen. Bisher hatte ja nur die Burg gesehen und das, was ihr während des Festes mitbekommen habt."
Eragon und Arya blickten sich an. Auch wenn es beiden schwerfiel, diese Einladung konnten sie kaum ablehnen. Außerdem interessierte es Eragon wirklich wie sich seine ehemalige Heimat verändert hatte.
"Wir kommen gerne mit." Bestätigte er schließlich.
"Das freut mich zu hören." Erwiderte Katrina und ein schelmischer Unterton lag in ihrer Stimme. "Wir wollen frühestens in einer Stunde aufbrechen."
Als sich die Schritte der jungen Gräfin entfernten, blickte Eragon Arya an.
"Eine Stunde." Stellte er fest. "Da haben wir noch etwas Zeit."
Die Elfe nickte, beugte sich zu ihm herunter und küsste ihn.

Bald schon hatten Roran, Eragon, Katrina und Arya den Weg nach Carvahall zurückgelegt. Ismira hopst und sprang vor ihnen über den Weg und als sie das Dorf erreichten begann sie nach Spielkameraden Ausschau zu halten.
Als sie die Hauptstraße entlangschritten, entdeckte er Eragon viel Vertrautes. Da war Horsts Schmiede, die praktisch genau so wieder entstanden war, wie der junge Anführer der Reiter sie aus seiner Kindheit in Erinnerung hatte. Auch Morn's Schankhaus hatte sich nicht entscheidend verändert. Ein wenig größer schien es zu sein. Da die Wirtsstube nun mehr Gäste fassen musste, war dies nur logisch.
Noch gut erinnerte Eragon sich an seinem letzten Besuch im Palancartal. Damals hatte sein Abschied kurz bevor gestanden. Nur Trümmer und verbrannte Reste hatten an das Zentrum seiner Kindheit erinnert. Er schauderte bei dem Gedanken daran wie leblos und still es damals hier gewesen war. Nun hatte das Leben diesen Ort zurückerobert. Eine große Anzahl Menschen eilte von einem Geschäft zum andern und ging ihren Einkäufen nach. Viele bekannte Gesichter lächelten Eragon zu. Er und Arya stachen aus der Menge hervor wie die sprichwörtlichen bunten Hunde. Das elfische Äußere der beiden Tat seinen Teil und so weit es Arya betraf auch die Kleidung. Sie trug ein smaragdgrünes Wams und schwarze Hosen aus festem Stoff. Dazu Stiefel aus schwarzem weichem Leder sowie ihr Schwert am Gürtel. Eragon war ähnlich gekleidet nur dominierte bei ihm blau. Für einen Mann war diese Kleidung nichts Ungewöhnliches doch unter den Frauen Carvahalls stach Arya hervor.
Ein Gespann, welches von zwei Kaltblütern gezogen wurde rumpelte an ihnen vorbei. Eragon erkannte Gedric den Gerber auf dem Kutschbock. Von den Fässern, die das Gespann transportierte ging ein etwas unangenehmer und beißender Geruch aus. Vermutlich hatte der Gerber sich die notwendigen Chemikalien besorgt, um die Produktion in seiner Werkstatt aufrechtzuerhalten.
"Wie gehen die Geschäfte?" Rief Eragon dem Handwerksmeister zu als dieser an ihnen vorbeifuhr und freundlich winkte.
"Bestens!" Antwortete Gedric fröhlich. "Meine Wahren sind sehr gefragt, seit bekannt wurde, dass ich das Leder für deinen ersten Sattel hergestellt habe. Ich kann mich vor Bestellungen kaum retten! Wenn Du oder einer deiner Schüler mal wieder etwas brauchen sollte, frag einfach nach. Ich verspreche, ihr bekommt nur das Beste."
Eragon sah dem Fuhrwerk nach, bis es aus seiner Sichtweite verschwand. Saphiras erster Sattel, hergestellt aus den Häuten, die er sich heimlich von der alten Gerberei besorgt hatte. Es schien ewig her zu sein.
"Mama! Mama! Da ist Hope und ein paar andere Kinder. Darf ich mit ihnen spielen?" Bettelte Ismira plötzlich.
"Natürlich mein kleiner Wirbelwind." Lachte Katrina. "Sieh nur zu, dass du in einer Stunde immer noch hier bist. Dann wollen wir zurück nachhause und dich mitnehmen."
Eilig nickte das kleine Mädchen und lief dann zu seinem Spielkameraden.
Während sie weitergingen, bemerkte Eragon wie viele neue Gesichter nun Carvahall ihr Zuhause nannten. Selbst ohne genau hinzusehen war es relativ leicht neue Dorfbewohner von den Alten zu unterscheiden. Diejenigen, die Roran und seine Familie nicht so gut kannten, machten dem Grafen und seiner Gattin eilig Platz und verbeugt sich vor den Beiden.
"Hast du dich daran schon gewöhnt?" Flüsterte Eragon seinem Cousin zu.
"Daran werde ich mich nie gewöhnen." Raunte Roran zurück. "Am Anfang habe ich versucht die Leute zu überzeugen, dass nicht mehr zu tun. Es ist nicht wirklich gut gegangen. Von da an wussten sie nämlich überhaupt nicht mehr wie sie mir gegenübertreten sollten. Schließlich habe ich es dann einfach akzeptiert, dass einige es für nötig halten sich vor mir zu verneigen. Wenigstens unsere alten Freunde lassen das bleiben."
"Du kannst wirklich stolz auf das sein, was du hier geleistet hast Roran-Elda." Warf Arya nun ein. "Eragon hat mir erzählt, dass das Dorf nun mindestens dreimal so groß ist wie zu seiner Jugendzeit."
"Das wundert mich auch."griff Eragon das Thema auf. "Bisher war es doch immer so, dass es recht wenige Leute in den Norden zieht. Ich habe auch gesehen, als Saphira und ich das Dorf überflogen, das nun weit größere Flächen urbar gemacht sind. Diese großen Anbauflächen sind beeindruckend."
Während Roran sich verlegen am Kopf kratzte, schien Katrina plötzlich sehr stolz zu sein.
"Das liegt eben daran, dass die Leute wissen, was sie an meinem Gatten haben. Nirgendwo im Königreich müssen die Leute so wenig Abgaben bezahlen wie hier. Es spricht sich herum, dass man sich hier um einander kümmert."
"So sollte es überall sein." Brummte Roran verlegen.
"Das stimmt." Pflichtete Arya bei. "Das Wenige von der Arbeit Vieler profitieren ist einer der Missstände, die es bei euch Menschen leider immer noch gibt. Es ist gut zu sehen, dass hier dagegen angegangen wird."
"Was missfällt dir denn noch an der menschlichen Gesellschaft?" Fragte Katrina mit ehrlichem Interesse.
"Ich möchte keinen Unfrieden stiften." Lenkte Arya schnell ein.
"Das tust du nicht." Erklärte Roran. "Eine offene Meinung ist uns immer willkommen und ich finde es interessant, uns Menschen mal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen."
"Ich finde es etwas seltsam, wie Ihr eure Frauen behandelt."
Arya hatte ihren Standpunkt vorsichtig formuliert und war sehr vage in ihrer Andeutung geblieben. Eragon wusste, dass die Elfe Menschenfrauen, bereits bei verschiedenen Gelegenheiten, als schwach und hilflos beschrieben hatte. Er war dankbar, dass seine Gefährtin hier etwas dezenter formulierte.
"Findest du, dass ich Katrina schlecht behandele?" Fragte Roran leicht verunsichert.
"Nein, natürlich nicht." Wehrte Arya ab. "So meine ich das nicht. Ich frage mich nur, warum bestimmte Dinge nur Männern beigebracht werden und nicht auch den Frauen. Bogenschießen, Fechten sich selbst zu verteidigen zum Beispiel. Bei meinem Volk bringt man das den Kindern unabhängig vom Geschlecht bei. Nasuada ist das beste Beispiel, dass eure Frauen ebenso zu Führern, Kriegern und Denkern taugen, wie jeder Mann."
Katrina lächelte milde.
"Ich glaube, hier verstellt dir deine elfische Herkunft etwas die Sicht Schwester. Versteh das nicht falsch, ich weiß, dass du uns Menschen respektierst, aber ich glaube nicht, dass du vollständig verstehst, was es bedeutet Mensch zu sein."
"Ich will nicht beleidigen Katrina, aber ich habe den Großteil meines Lebens unter anderen Völkern und auch unter Menschen verbracht."
"Hast du auch jemals so gelebt wie sie?" Wollte Rorans Gattin wissen. "Ich meine jetzt nicht, dass du unter denselben Bedingungen in die Schlacht gezogen bist. Ich meine, hast Du jemals versucht so zu leben wie wir es müssen. Angenommen, ein Sturm vernichtet eure Ernte. Was tut ihr dann?"
"Wir versammeln unsere Magier und Singen zu den Pflanzen, damit sie neue Früchte tragen."
Während sie den Satz aussprach, schien Arya bereits zu verstehen, worauf Katrina hinaus wollte.
"Wir können das aber nicht." Erklärte die junge Frau. "Wir können nicht einfach eine ausgefallene Ernte ersetzen. Eile bestimmt in gewisser Weise unser Leben. Die Früchte des Feldes müssen eingebracht werden, bevor der Herbst und der Winter sie zerstört. Wir können uns auch nicht die schönsten Kleider einfach herbeizaubern. Wir müssen unsere Stoffe mühsam weben und sie anschließend verarbeiten. Sollte ein Wolf unsere Schafe reißen oder eine Krankheit die Tiere befallen, dann gibt es keine Wolle. Sicher erkennt dein Volk die Notwendigkeit sich gewisse handwerkliche Fähigkeiten zu bewahren aber seit die auf sie angewiesen? Wir schon! Und diese Fähigkeiten müssen weitergegeben werden. So schnell wie möglich! Bevor eine Krankheit, ein Unfall oder der Angriff einer Räuberbande das Wissen mit sich in den Abgrund des Todes reißt. Glaubst du Garrow hat Eragon und Roran deshalb nicht das Lesen beigebracht, weil er zu dumm war seinen Wert zu erkennen? Nein, er wusste, dass er ihnen möglichst schnell die Fähigkeit vermitteln musste die Felder zu bestellen und sich selbst zu ernähren. So ist es auch mit uns Frauen. Unsere Mütter geben ihre Fähigkeiten an die Töchter weiter. Es mag sein, dass nur die Männer das jagen, Pflügen, die Schmiedekunst oder ähnliches lernen. Doch was wäre all das wert, wenn wir nicht die Wolle spinnen könnten für die Kleider wie unsere Männer tragen? Was würde ihnen das Korn nützen, wenn niemand zu backen verstünde? Eine Dorfgemeinschaft ist nicht nur einfach eine Gruppe von Leuten, die am selben Fleck wohnt. Jeder von uns hat einen Teil des Ganzen, das nötig ist um zu überleben."
"So habe ich das in der Tat noch nicht betrachtet." Gestand Arya. "Es spricht nicht gerade für mich, dass ich es versäumt habe die Dinge aus dieser Perspektive zu betrachten."
Nun widersprach Eragon:
"Denk an den Apfel mein Stern. Wie alle betrachten die Welt um uns herum aus einem bestimmten Blickwinkel. Auch wenn du dich einem menschlichen Haus angeschlossen hast: Du bist eine Elfe. Damit ist ein gewisser Blickwinkel für dich festgelegt. Und es braucht eine weise Frau, um aus diesem Blickwinkel herauszutreten, einen Fehler einzusehen und umzudenken Arya Svit-Kona."
"Außerdem hast Du nicht völlig unrecht." Lies Roran sich vernehmen. "Bei uns im einfachen Volk gibt es vielleicht nachvollziehbare Gründe warum bestimmtes Wissen nicht an alle und in allen Geschlechtern weitergegeben wird. Beim Adel sieht das aber anders aus. Da ist es wirklich teilweise beschämend wie Töchter eingesetzt werden um politische Allianzen durch eine Eheschließung zu sichern. Deswegen halte ich mich auch vom Adel so weit es geht fern. Ich möchte nicht, dass die ihre Klauen in Ismira schlagen. Und wie Du schon gesagt hast Arya gehen wir die Missstände an. Zumindest hier im Palancartal. Siehst du die drei länglichen Hütten, dort am Rand des Dorfes? Das sind unsere sicheren Häuser für den Winter. Wir bauen mehr Getreide an als wir brauchen. Ein Teil bleibt bei den Bauern damit sie es verkaufen können und so ihr eigenes kleines Vermögen anhäufen können. Einen anderen Teil aber lagern wir ein. Diese Häuser und werden im Winter durch Kohlebecken beheizt. Dadurch muss niemand mehr im Stall bei den Tieren schlafen um nicht zu erfrieren. Jeder hat das Recht sich dort einzuquartieren. Die dort gelagerten Vorräte gehören allen und ernähren die, die aufgrund eines Schicksalsschlages, eines Unwetters oder ähnlichem beispielsweise ihre Ernte verloren haben. Außerdem nutzen wir die Zeit im Winter, wo es auf den Feldern wenig zu tun gibt und die Kinder zu unterrichten. Lesen, Schreiben und Rechnen sollen in Zukunft alle können."
"Das finde ich wirklich großartig." Lobte Arya und verneigte sich respektvoll und Roran.
"Allerdings!" Bekräftigte Eragon. "Ich verstehe wirklich langsam warum so viele sich hier ein neues Leben aufbauen wollen."
Noch bevor Roran antworten konnte kam Nolfarel zu ihnen herübergerannt.
"Königin Nasuada möchte er Eragon und Arya sprechen." Keuchte er als er die Gruppe erreicht hatte. "Sie sagt es sei dringend."


2152 Wörter

Eragon Band 5 - Jedes Ende ist ein AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt