52. Auf dünnem Eis (1/2)

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Eragon wartete in der Offiziersmesse auf seine Gefährten. Der Raum wo einst Galbatorix Truppenführer speisten, war nun der gemeinsame Aufenthaltsraum im Quartier der Drachenreiter in Ilirea. Nach den denkwürdigen Ansprachen hatte Nasuada die Reiter persönlich zu ihrem Quartier geführt und sich dann verabschiedet.
Bald sollte nun der große Ball des Hochadels beginnen, zu dem auch die Reiter und die Ehrengäste der Königin eingeladen waren.
Nur zu gut wusste Eragon, dass er sich mit seinen Schülern auf eine dünne Eisfläche wagte, die durch einen falschen Schritt brechen konnte. Bereits kurz nachdem sie ihre Quartiere bezogen hatten war König Orrin zu ihnen hereingestürmt und hatte sich bitter über die Blamage beklagt, die ihm die Reiter beschert hatten. Nasuada, die zu diesem Zeitpunkt noch anwesend war, hatte den König mit ein paar passenden Worten buchstäblich vor die Tür gesetzt und ihn unverblümt darauf hingewiesen, dass er sich selbst entehrt hätte mit seinen plumpen Schmähungen ihrer Person.
Eragon hatte für den Ball seine Kleidung nicht wesentlich verändert. Er hatte lediglich ein Bad genommen, die Spuren der langen Reise beseitigt und, mit einem kleinen Zauber, seine Kleidung in einen Zustand versetzt als wäre sie frisch gereinigt worden. An seiner linken Hüfte hing Brisingr während er nach einigen Überlegungen Klimpertod rechts an seinem Schwertgürtel befestigt hatte. Zunächst hatte er sich gefragt, ob es gut sei Angelas Kurzschwert offen zu tragen. War es nicht besser, wenn die Waffe ein Geheimnis blieb? Das Risiko, auf dem königlichen Ball mit einer versteckt getragenen Waffe erwischt zu werden schien ihm jedoch zu groß. Da er die kostbare Leihgabe aber auch nicht zurücklassen wollte, war Offenheit der einzige Weg.
Ein Klopfen ließ den jungen Anführer der Reiter zu Tür blickten. Dieser öffnete sich einen Spalt und ein Mitglied der Wachmannschaft die Königin Nasuada zur Sicherheit der Reiter abgestellt hatte, steckte seinen Kopf hindurch.
"Verzeiht die Störung Schattentöter. Einer der Ehrengäste der Königin möchte euch sprechen."
Eragon bekundete mit einer stummen Geste seine Zustimmung. Inständig hoffte er, dass es sich nicht erneut um König Orrin handelte. Auf eine weitere Begegnung mit den selbstverliebten Herrscher von Surda konnte er verzichten.
Zu seiner Freude betrat Orik die Offiziersmesse.
Jedes Protokoll vergessen eilte der Zwergenkönig auf seinen Clanbruder zu und umarmte den Drachenreiter so heftig als wollte er ihm die Knochen aus dem Leib quetschen.
"Ich freue mich auch dich zu sehen." keuchte Eragon schließlich.
"Besonders weil wohl keiner von uns dachte, dass wir dieses Glück in diesem Leben noch einmal haben würden!" Lachte Orik als er Eragon aus der Umarmung entließ. "Ich sage dir Junge, du schaffst doch immer wieder die Politik für mich interessant zu machen. Mal wieder ein kühner Auftritt. Erinnert mich irgendwie an deinen Treueschwur gegenüber Nasuada damals. Der Ältestenrat der Varden war damals ähnlich überrascht wie unser Freund Orrin heute. Du hast ihm im Übrigen das Leben gerettet. Nach seiner Rede hätte ich ihn am liebsten in den Boden gestampft."
"Aber, aber König Orik! Wäre es nicht zu viel Ehre diesen Kerl in Stein zu begraben?"
Orik blinzelte kurz, lachte dann aber schallend.
"Barzûl! Da hast Du recht, alter Freund! Nur Wesen, die sich Ehre erworben haben, sollten so bestattet werden. Orrin zerreiße ich lieber in der Luft. Bei den Gebeinen meiner Vorfahren! So ein selbstverliebter Hammel!"
"Da hast du recht." Schmunzelte Eragon und bot dem Zwergenkönig einen Stuhl an dem langen Tisch an, der im Zentrum des Raumes stand. Beide setzten sich. "Zumal er die meisten Vorwürfe, die er Nasuada gemacht hat selbst hätte entkräften können. Ich bin ihm schließlich am Rand der Wüste begegnet bei dem Vorfall mit den beiden neuen Reiter."
Orik nickte zustimmend.
"Es geht Orrin nicht um die Wahrheit. Soviel ist sicher. Ich frage mich nur, was er eigentlich erreichen will. Nasuadas Rückhalt im Volk und bei den andern Herrschern ist um einiges zu groß, als dass ein paar Schankstubengerüchte ihren Thron ins Wanken bringen könnten. Ich frage mich die ganze Zeit, ob er wirklich so dumm ist oder ob er etwas in der Hinterhand hat."
"Nun ich hoffe auf das Erste und rechne mit Letzteren." Erwiderte Eragon trocken. "Aber jetzt genug von diesem königlichen Gockel. Wie geht es dir? Und was macht das Volk der Zwerge?"
Orik strich sich gedankenverloren über den Bart.
"Mir geht es ganz gut. Das Volk der Knurla hat stürmische Zeiten hinter sich."
"Weil du zugestimmt hast, dem Pakt der Reiter beizutreten?"
"Oeí!" Bestätigte Orik.
"Es tut mir leid, wenn ich die Schwierigkeiten damit bereitet habe."
"Eta, eta Eragon!" Winkte Orik ab. "Letztlich haben die Clanführer erkannt, dass es zu unserem Besten ist. Schließlich sind nun auch die Urgals in den Pakt aufgenommen worden. Das Argument, dass wir sonst die einzigen ohne Drachenreiter wären, hat die Meisten schließlich überzeugt."
"Die meisten Probleme dürfte es wohl mit den Az Sweldn Anhûin gegeben haben. Sind Sie denn immer noch in der Verbannung?"
"Eta, inzwischen haben sie wieder eine Stimme unter den Clans. Ihr Alter Grimsborith hatte einen "bedauerlichen Unfall". Der neue hat schließlich den Forderungen des Rates nachgegeben, sich für den Angriff auf dich entschuldigt und so sind alle Clans wieder vereint. Natürlich war dieser Clan am wenigsten begeistert davon nun mit den Drachen verbunden zu sein. Um keine neue Verbannung zu riskieren ist man aber schließlich zu einem Kompromiss gelangt. Das Volk der Knurla wird es von jetzt an so halten, dass jeder der von einem Drachen erwählt wird von diesem Zeitpunkt nur noch Mitglied des Clans der Drachenreiter ist."
"Ein Zwerg aus seiner Clanzugehörigkeit aufgeben? Das ist ein großes Opfer!"
Eragon war besorgt.
"Oeí! Das ist es in der Tat. Aber dadurch, dass er dann zu den Reitern gehört entsteht ihm kein Verlust an Ehre, weder vor dem Volk noch vor den Göttern. Wie gesagt, es ist ein Kompromiss aber der einzige, der möglich war. Es ist denke ich eine Gnade Gûnteras, dass dieser Bergnomade Marek erwählt worden ist. Man könnte sagen, dass wir die Bergnomaden als Freunde oder entfernter Verwandter ansehen. Es ist gewissermaßen ein Zwischenschritt zum ersten Zwerg, der einen Drachen an seiner Seite haben wird. Dieser Zwischenschritt gibt meinem Volk noch etwas Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Wie macht sich der Junge eigentlich?"
"Ich bin sehr zufrieden mit ihm." Lobte Eragon seinen Schüler. "Erst schien er ein reichlich großes Mundwerk zu besitzen, aber inzwischen hat er sich als ein sehr angenehmer Bursche herausgestellt, der großes Talent besitzt. Außerdem scheint eine kleine Schwäche für Aryas Cousinen Narie entwickelt zu haben. Sie ist die Reiterin der roten Drachendame Kira."
Orik lachte in sich hinein.
"Sowie der Reiter einer blauen Drachendame eine gewisse Schwäche für die Reiterin eines grünen Drachens hat."
Zufrieden beobachtete der Zwergenkönig, wie sein Clanbruder leicht verlegen wurde. Eragon entging jedoch nicht, dass Orik ernster geworden war.
"Dieser rote Drache, Kira, sie ist die Schwester von Dorn, oder?"
Eragon hob überrascht die Augenbrauen. Erneut musste Orik schmunzeln.
"Dieser Zwergenkönig ist besser informiert als du glaubst mein Junge."
"Wird die Verwandtschaft zu Dorn für Narie oder ihrer ein Problem sein?"
"Eta Eragon, natürlich nicht. Ich habe das nur zur Sprache gebracht, um das Thema auf deinen Halbbruder zu lenken. Wir alle haben von Nasuada eine Abschrift dessen erhalten, was Du dem neuen Orden der Reiter als Regeln zugrunde legst. Alles in allem hast Du sehr weise gehandelt. Aber ich möchte von dir wissen, ob du deinen Bruder bereits in den Orden aufgenommen hast?"
Eragon schüttelte den Kopf woraufhin Orik sich wieder etwas entspannte.
"Mir ist klar, dass ein solcher Schritt nur mit der Zustimmung aller Völker möglich sein kann. Auch wenn Murtagh gezwungen wurde, hat er viel Schaden angerichtet."
"Oeí! Das hat er in der Tat." Bestätigte Orik. "Ich nehme an, Du willst wissen wie ich und das Volk der Knurla zu ihm stehen?"
"Es würde mich in der Tat interessieren."
"Nun, was mich betrifft, habe ich denke ich einigermaßen gute Nachrichten für dich. Ich kann nicht Murtagh hassen und dich gleichzeitig als Bruder ansehen. Unsere Freundschaft ist mir wichtiger als die Feindschaft mit ihm. Zu einem Krug Met werde ich ihn wohl nicht einladen, aber wenn er mich in Ruhe lässt, werde ich mit ihm dasselbe tun. Was mein Volk betrifft, stehen die Dinge nicht so gut. Magie ist bei uns nicht so verbreitet wie bei den Spitzohren. Wahre Namen, Schwüre in der alten Sprache... das ist für viele nicht wirklich nachzuvollziehen. Ein Freund und willkommener Gast wird er wohl niemals sein aber mit der Zeit könnten wir an dem Punkt gelangen, wo er zwar auf den Pfaden der Knurla vogelfrei wäre aber man seine Anwesenheit im Orden der Reiter hinnehmen würde. Doch dieser Zeitpunkt ist noch nicht gekommen Eragon. Sei dir dessen bewusst!"
"Das bin ich Orik und ich danke dir einmal mehr für deine Freundschaft. Ihren unbezahlbaren Wert hast du heute wieder bewiesen. Ich weiß, das ist ihr nicht leicht fällt Murtagh so weit entgegenzukommen."
Etwas verlegen entgegnete der Zwergenkönig: "Schon gut! Im Grunde habe ich nur den Gedanken zugelassen, dass es Galbatorix war der Hrothgar getötet hat. Leicht ist das zwar nicht gefallen aber es ist nun einmal die Wahrheit und die Krone zu tragen bedeutet nun einmal sich der Wahrheit zu stellen, auch wenn sie unangenehm ist."
"Sehr weise Worte König Orik. Eine Erkenntnis, an der schon so mancher Herrscher gescheitert ist. Dass ihr sie zulasst, ist ein gutes Vorzeichen für das Volk der Zwerge."
Es war Aryas Stimme, die von der Tür zu den beiden Clanbrüdern herüberwehte. Als Eragon sich umsah bereit sich ein angenehmes, warmes Gefühl in ihm aus. Das sich um ein menschliches Fest handelte, hatte Arya offenbar beschlossen sich ein wenig anzupassen. Sie trug dasselbe elegante Kleid aus schimmernder grüner Seide wie in Carvahall, um die Hüften einen Gürtel aus geflochtenen, goldenen Fäden und einen schmalen Goldreif auf dem Kopf.
Als Eragon auf seine Gefährtin zutrat, entdeckte er noch ein weiteres Schmuckstück, welches sie zusammen mit dem Abzeichen des Ordens der Reiter trug. Die silberne Kette mit dem Familienwappen, welche Katrina ihr geschenkt hatte.
Eragons erster Impuls war es, Sorge zum Ausdruck zu bringen. Wie würden die anderen Elfen darauf reagieren, dass einer der ihren einem menschlichen Haus beigetreten war. Schließlich besann sich der junge Anführer der Reiter aber eines Besseren ergriff nur die Hand seiner Gefährtin und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken.
Arya war nicht entgangen, dass Eragon die Kette bemerkt hatte. Wie von ihm erhofft schien sie mit seiner Reaktion sehr zufrieden.
Eragon kannte die Elfe gut genug um zu wissen, dass sie nichts ohne Überlegung tat. Wenn sie sich entschieden hatte dieses Schmuckstück am heutigen Abend zu tragen, dann war sie sich im Klaren über die möglichen Konsequenzen und akzeptierte sie. Folglich tat Eragon dies auch und bekundete stumm, dass er sie unterstützte.
Noch während der ganz vom Anblick seiner Gefährtin gefangen war, knuffte Orik ihn so heftig in die Seite, dass der junge Anführer der Reiter fast umfiel.
"Sie ist viel zu gut für dich. Ich hoffe das weißt du."
Der Zwerg zwinkerte beiden Drachenreitern schelmisch zu und verließ dann den Raum.
"Ja das weiß ich." Erwiderte Eragon, den Blick aber auf Arya gerichtet.
Die Elfe lächelte.
"Wir sind in der Eingangshalle versammelt."
Eragon nickte und bot Arya seinen Arm. Zu seiner Freude nahm sie das Angebot gern an und gemeinsam stritten sie der Höhle des Löwen entgegen.


1810 Wörter

Eragon Band 5 - Jedes Ende ist ein AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt