Novel
Beunruhigt ließ ich mich vor Mamas Arbeitsräumen ankündigen. Sie hatte nach mir rufen lassen, dass ungewöhnlich war. Wir hatten unsere regelmäßigen Besprechungen und aßen unregelmäßig zusammen mit meinen Geschwistern – in der Regel hatte sie genug Möglichkeiten mir mitzuteilen, wenn sie etwas mit mir bereden möchte oder etwas von mir brauchte. Deshalb ahnte ich bereits nichts Gutes.
Mama ließ mich keinen Moment warten und als die Tür aufging, brauchte ich einen Moment, bis ich sie auf der Sitzgruppe erblickte. Das war schlecht. Mama saß nur auf der Sitzgruppe, wenn sie schlechte Nachrichten zu überbringen hatte.
„Ihr habt nach mir rufen lassen, Mama?", fragte ich, verbeugte mich steif, bevor ich mich zu ihr setzte. Sie lächelte nervös und knetete ihre Finger. „Papa kommt", brach es aus ihr heraus und ich zog die Augenbrauen nach oben. Das war mir bekannt – immerhin musste ich ihn darum bitten. „Innerhalb der nächsten Tage", setzte sie hinterher, worauf ich mir fest auf die Lippe biss. Das ging zu schnell. Viel zu schnell. Bevor ich darauf reagieren konnte, wechselte Mama bereits das Thema.
„Ihr seid gerade dabei Gräfin Russo zu befragen?", vergewisserte sich Mama und ich nickte knapp. Ich fühlte mich schrecklich Beths Leben zu durchwühlen. Vor allem da ich ihr noch nicht gesagt hatte, dass ihr Geheimnis entdeckt worden war. Ich gab vor, es wäre einfach Routine die Vergangenheit der nächsten Kaiser zu durchleuchten, dass natürlich Blödsinn war. Normalerweise wurde keine Mädchen gewählt, die etwas derart prekäres wie eine Verbindung zu einer Revolution zu verbergen hatten.
„Glaubt Ihr, wir überstehen das?"
„Du wirst sie heiraten. Ich weiß noch nicht wie, aber wir bekommen das durch"
„Ich habe Angst, dass diese ständigen Turbulenzen Beth vertreiben"
„Dann wäre sie nicht die Richtige für diese Position und ich habe das Gefühl, dass sie das sehr wohl ist"
„Habt Ihr jemanden, den Ihr geliebt habt schon einmal so zugesetzt, wie ich, indem ich Beths Leben zerlege?"
„Ich habe Dorians Vater ermordet"
Ich prustete und strich mir einmal über die Stirn. Das hatte ich vergessen. Mamas Mundwinkel zuckten und sie legte ihre Hände über meine. „Ihr beide übersteht das", prophezeite Mama und ich stimmte zögerlich zu. Ich liebte sie. Das durfte nicht schief laufen. Wenn ich das nächste Mal an mir und Beth zweifelte, stellte ich mir einfach vor, welche Turbolenzen Mama bereits in ihren Beziehungen überwunden hatte. Für diesen Moment wollte ich außer Acht lassen, dass alle Männer, die Mama geliebt hatte, tot oder fort waren. Aber auch widerkehrten.
Umständlich räusperte ich mich. „Ich weiß, dass Ihr nicht gerade gesprächig seid, wenn es um Papa geht – aber was genau erwartet sich der Ministerrat von ihm?", wechselte ich das Thema. Mama löste unsere Berührung und hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Der Husten wurde immer schlimmer. „Ich habe immer geglaubt, Dorian hat euch als Ersatz gereicht", keuchte sie und erhob sich aus ihrem Schreibtisch. Sie trat ans Fenster und starrte den Springbrunnen davor an. „Ihr habt ausgereicht, Mama. Mathew und Dorian fungierten lediglich als Ergänzung. Außer für Leila natürlich", erwiderte ich und Mamas Mundwinkel zuckten. Sie wandte sich endgültig von mir ab. Zwar konnte ich weder ihre Augen sehen noch irgendein Geräusch vernehmen, aber ich bemerkte, wie sie weinte. Verunsichert erhob ich mich. „Der Ministerrat möchte, dass dein Papa dir zur Seite steht. Außerdem glaube sie, dass bringe mich schneller unter die Erde" – „Mama!" Ihre Schulter bebten, aber dieses Mal war ich mir sicher, dass sie lachte. Als sie umwandte, tupfte sie sich gerade die Tränen von den Wangen.
„Die Wahrheit ist, dass ich deinen Vater nicht besonders gut kenne. Ich weiß nichts über seine politische Rolle am Hof, außer jene im Krieg. Aber der Ministerrat hat bemerkt, dass ich schwächer werde und ohne Dorian ...", Mama zuckte hilflos mit den Schultern und legte ihren Kopf in den Nacken, um ihre Tränen unter Kontrolle zu bekommen. „Der Ministerrat bereitet den Staat auf den Übergang vor", erklärte Mama und ich zuckte zusammen. Hatte sie sich damals genauso gefühlt, als Mathew langsam immer schwächer wurde? Diese drückende Schuld, wenn man sich nach und nach etwas einverleibte, dass einem noch gar nicht gehörte. „Papa wird dich entlasten", prophezeite ich, weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass ich ihr immer wieder unauffällig Arbeit abluchste. Nicht, weil ich mich so gerne mit diesem Unsinn herumschlug, aber weil ich bemerkte, dass es Mama immer schwerer fiel.
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Historical FictionDorians Flucht reißt nicht nur Lavinia den Boden unter den Füßen weg, sondern auch ihren Kindern, die mittlerweile zu jungen Erwachsenen herangewachsen waren. Novels vom Militär abgehärtete Seele vertraut sich erstmals einer italienischen Gräfin...