Kapitel 58

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Novel 

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Wir waren noch vor meinen Geschwistern bei ihr. Mama sah selbst für ihre Verhältnisse unnatürlich blass aus. Ich wagte es nicht näher an sie heranzutreten, deshalb tat es auch sonst niemand. Natürlich warteten sie auf meine Reaktion. Dieses Mal schien die Krone für mich wirklich zum Greifen nah zu sein und jeder im Raum spürte das.

„Paget war bei mir", nuschelte Mama und ich trat zögernd näher auf sie zu. Verbeugte mich, worauf ich ihm Augenwinkel wahrnahm, dass es mir Camilla und Mamas Hofdamen gleich taten. „Er ist wütend", setzte sie hinterher und ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Plötzlich überkam mich der überwältigende Drang sie mit einem Haufen an Fragen zu überschütten. Sie hatte lange und gut regiert. Es wird kein Leichtes sein, in ihre Fußstapfen zu treten.

„Du darfst jetzt keine Skrupel haben", hauchte sie und ihr fiebriger Blick fiel kurz auf mich und dann auf Camilla. „Ich bin so froh, dass du hier bist", flüsterte sie und Camilla knickste nochmal leicht. Ich streckte meine Hand nach ihr aus und wir verflochten unsere Finger. „Dorian ... Paget wird hässliche Dinge über ihn verbreiten wollen", warnte uns Mama und wurde von der Tür unterbrochen. Avel hatte einen Arm um Leila gelegt und sie traten gefolgt von George zögerlich ein.

„Welches Glück ich doch hatte ...", hauchte sie und hob ihre Hand ein wenig. Leila stürzte sofort auf sie zu und presste sie an ihre Brust. „... mein Leben mit so wunderbaren Menschen verbracht zu haben", sie warf einen Blick in Maidas und Gräfin Lasalles Richtung, die sich an den Händen hielten. Gräfin Lasalle schien plötzlich um Jahre gealtert zu sein während Maida durch ihre Blässe aussah, wie ein junges Mädchen. „Es war uns eine Ehre, Majestät", erwiderte Gräfin Lasalle leise.

Die leichte Bettdecke, die Mama bedeckte hob und senkte sich unter ihren schwachen Atemzügen. Es war beängstigend, sie nicht länger husten zu hören. Hilflos sah ich zu Camilla, die den Kopf gesenkt hielt. „Ich will jetzt alleine sein", durchbrach sie die Stille und löste sich sanft aus Leilas Umklammerung. Ich habe es nie geschätzt, wenn Mama mich berührt hatte. Plötzlich wünschte ich mir, sie stünde nochmal auf und könnte mich drücken.

„Wir haben noch so viele Fragen", gestand Avel, worauf Mamas Mundwinkel zuckten. „Ich habe euch alles gelehrt, dass ich weiß. Ihr seid bereit, dieses Land zu führen", sie schenkte uns einen letzten klaren Blick, bevor sie müde die Augen schloss. „Bring sie hinaus, Maida. Außer Gwen und Nemours will ich niemanden mehr sehen", befahl sie mit überraschender Vehemenz. Gräfin Lasalle schob sich an uns vorbei und ging neben meiner Mutter in die Knie und drückte ihre Hand. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie weinte. „Ich bin so stolz auf euch", schluchzte sie, presste einen Moment die Lippen zusammen, bevor sie hinterhersetzte: „und Dorian auch"

Nemours und Gwen kamen eine halbe Stunde später und hatten noch einige Minuten mit ihr. Als sie heraustraten, war Gwen in Tränen aufgelöst und hing an Onkel Nemours, der selbst Tränen in den Augen hatte. Er drückte Tante Gwen einen Moment an sich, bevor er sie bestimmt auf die Sitzgruppe neben Leila schob und vor mir in die Hocke ging.

„Wir müssen jetzt hart zuschlagen, bevor es Paget tut"

„Aber doch nicht bevor Mama ..."

„Ich Lavinia geliebt, und an sie geglaubt. Von Anfang an und ihr dann 20 Jahrelang gedient. Damit werde ich heute nicht aufhören. Nimm dich zusammen"

Onkel Nemours harsche Worte brachten mich auf die Beine und zur Arbeit zurück. Bis der Arzt die Nachricht verkündete, Mama sei gestorben, hatten wir bereits ihre Todesanzeige in Auftrag gegeben und den ersten Entwurf ihres Nachrufs durchgesehen.

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