Camilla
Der Zettel vor meinen Augen verschwamm. Dieses Mädchen hatte keine Ahnung, wie sie in diese Sache hineingeraten war. Es war offensichtlich, dass ihr Paget nicht gesagt hatte, dass ihre Cousine eigentlich an meinem Platz stehen sollte.
„Geht es Euch gut, Prinzessin?", fragte sie vorsichtig und erhob sich von der Sitzgruppe. Ich wischte mir hastig über die Augen, als ich mich nicht beherrschen konnte. Sie erinnerte mich so ... „Ich weiß, ich sehe Lizzi sehr ähnlich. Es tut mir leid, Euch traurig zu machen", gestand sie und blieb zögerlich vor meinen Sekretär stehen. Ich nickte stumm.
„Kanntet Ihr sie gut?"
„Ein wenig. Sie stand in den Diensten der Erzherzogin"
Oh ja, ich kannte Elisabeth. Ihren unschuldigen Liebreiz genauso wie ihre dunkle Vergangenheit. Zum Glück wurde unser Gespräch von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Gräfin Russo begab sich sofort zur Tür und öffnete. Novels Blick blieb erneut entgeistert an ihr hängen, dass sie erröten ließ. „Lasst uns alleine", befahl ich sofort. Wie ich hatte ich Paget bloß derart gegen mich aufbringen können? Ihm musste klar sein, dass ich über Elisabeth Bescheid wusste und deshalb wohl auch einen Verdacht über ihre Todesumstände hatte – aber ich habe das mit keinem Wort gegenüber dem Hof erwähnt. Er war nie Gegenstand irgendwelchen Tratsch geworden.
„Cam, ich schwöre dir, dass ich nicht wusste ..."
„Ich weiß. Dein Vater wollte mich auf meinen Platz verweisen"
„Warum sollte er das tun?"
Novel sah mich misstrauisch an und kam näher. Er griff förmlich nach meiner Hand und drückte einen Kuss darauf, bevor er mich zu einer Umarmung an sich zog. „Ich werde nicht mir ihr schlafen", versprach er, worauf ich schnaubte. Selbst, wenn er es nicht tat, würde uns alleine ihr Anblick immer daran erinnern, dass eigentlich Beth hier stehen sollte.
„Papa weiß nicht, dass du weißt, was er Beth angetan hat", überlegte Novel laut, worauf ich zustimmend nickte. Wahrscheinlich wäre ich die nächste auf der Liste, sollte er davon erfahren. „Es glaube, es geht um das Parlament", nuschelte ich und strich mir verzweifelt über die Stirn. Das war etwas Gutes und vor Allem notwendiges, wenn wir unseren bisherigen Lebensstil weitestgehend beibehalten wollte.
„Ich wollte dir nicht Schaden, als ich betonte, es sei deine Idee gewesen"
„Ich weiß, Novel. Ich habe geehrt gefühlt, als du es veröffentlicht hast. Aber anscheinend glaubt Paget, dass ich plane, deine Regierung zu übernehmen. Aber Novel,"
Ich legte die Hände an seine Wange und wiederholte eindrücklich, was wir schon so oft besprochen hatten, „Ich will dir weder Schaden, noch dir deine Macht nehmen" Novel lehnte seine Stirn an meine und wir verharrten einen Augenblick in Still. In diesem Moment wurde es mir klar: Wir konnte Frieden finden – vielleicht nicht die große Liebe, aber zumindest Glück und das war mehr als genug.
„Aber ich will meine Macht mit dir teilen", hielt Novel dagegen und die Pause verdeutlichte mir, wie sorgfältig er diese Worte gewählt hatte. Ich lächelte. „Du kannst dich auf mich verlassen", flüsterte ich.
***
Wir mussten mehr an Lavinias Kleid ändern, als mir lieb war und es dauerte Stunden, bis wir uns entschieden hatten, wie wir es so abändern konnten, damit es immer noch gut aussah. „Königliche Hoheit?", Gräfin Russos Wangen schienen dauerhaft gerötet zu bleiben. Ich sah sie fragend an. „Der Erzherzog ist hier", setzte sie hinterher. Schweigend nickte ich. Das missfiel mir. Ich hätte ihn gerne angeschrien, was er sich herausnahm nach so vielen Jahren zurückzukehren und alles kaputt zu machen. Aber vor allem würde ich mich gerne in Dorians Arme schmeißen und weinen.
„Prinzessin. Ihr seht zauberhaft aus", sagte er und lächelte mich breit an. Aber ich durfte mich nicht erneut täuschen lassen. „Lasst uns für einen Moment alleine", wies der Erzherzog meine Damen und Schneiderinnen an, worauf sie alle pflichtbewusst den Raum verließen.
„Wie lange habt Ihr sie schon als Trumpf abrufbereit?"
„Es war einfach ein glücklicher Zufall. Sie spionierte für mich in Italien an Comte Romanos Hof. Ihr Zweck hatte sich erfüllt und ich dachte ... so ein hübsches, williges Mädchen im Gepäck kann nicht schaden"
„Ihr seid ekelhaft"
„Und Ihr von nun an unter meiner Kontrolle"
Ich presste die Lippen zusammen. Die Gräfin wird auf ihn hören, ihn als ihren Retter betrachten. Ich musste es schaffen, dass sie mir loyaler gegenüberstand, wie Paget. „Ich werde weder Novel noch Euch Schwierigkeiten bereiten", versprach ich und Paget lächelte zufrieden. Das Beste, das uns je passiert war ist, dass uns dieser Mann verlassen hat. „Genau, weil Ihr seid ja dazu da, die Probleme zu lösen, nicht wahr?" – „Ja, Majestät"
Paget selbstzufriedenes Grinsen widerte mich an und ich konnte nicht schnell genug aus diesem Kleid herauskommen.
***
Als ich in meinen Räumen immer unruhiger wurde, gab Novel nach und gestattete mir, zumindest Lavinia zu besuchen. Ich hatte mich auf das schlimmste eingestellt. Aber Lavinia sah gut aus. Natürlich war sie blass und abgemagert, aber sie sah nicht aus, als würde sie jeden Moment sterben. Ich hatte das auch schon anders erlebt.
„Willst du das Anwesen haben, Camilla? Wenn du magst, vermache ich es dir?", sagte sie, ohne mich zu begrüßen. Es war ein warmer Frühlingsnachmittag und Lavinia saß in eine Decke gewickelt auf der sonnenbeschienen Terrasse. „Ich glaub nicht, dass das angemessen wäre, Majestät", erwiderte ich vorsichtig, worauf sie sich kurz zu mir umwandte und dann gedankenverloren nickte.
„Ich freue mich, dass du mein Kleid trägst. Auch wenn ich mir etwas Prachtvolleres für dich gewünscht hätte"
„Danke, dass ich es tragen darf. In einer schlichten Zeremonie hätte das ausladendes Kleid ohnehin fehl am Platz gewirkt. Aber ich habe ein ausgesprochen schönes Ballkleid"
„Es tut mir leid, dass ich dir in dieser wichtigen Phase nicht beistehe. Vor allem da ich Beth ..."
Ich zog überrascht die Augenbrauen nach oben, als sie ihren Namen erwähnte. Lavinia errötete und ließ den Satz unvollendet. Ob auch sie manchmal daran dachte, wie es geworden wäre, hätte Novel Beth geheiratet?
„Macht dir Paget das Leben schwer?"
„Wie kommt Ihr darauf?"
„Paget mag keine mächtigen Frauen. Oder glaubst du, ich hätte mich kampflos zurückgezogen, um die letzte Phase auch noch qualvoll in die Länge zu ziehen?"
Mir blieb vor Entsetzen der Mund offen stehen. Ich wusste nicht, welchen Gedanken ich zuerst begriff. Das Paget Lavinia verdrängt hatte oder das Lavinia tatsächlich sterben würde. Mir trieben beide Gedanken Tränen in die Augen. „Es tut mir leid", beteuerte sie sofort und streckte ihr Hand nach mir aus. Schniefend drückte ich einen Kuss darauf und hielt ihre Hand einen Moment fest. Lavinia legte ihre zweite Hand dazu und drückte bestätigend zu.
In diesem Moment hätte ich so gerne mein Herz ausgeschüttet. Wenn ich vor ihr kniete spürte ich praktisch, wie viel Macht sie hatte. Sollte sie erfahren, was Paget getan hatte, dann ... ich weiß nicht, was sie tun würde und ich werde es wohl auch niemals erfahren. Ich löste mich von ihr und erhob mich. Sie lag im Sterben. Da brauchte sie keinen Kampf mit ihrem Exmann führen, denn ich auch gut alleine kämpfen konnte.
„Ich weiß, dass du eine gute Kaiserin sein wirst, Camilla. Also genieße die kommenden Jahre"
„Er heiratet mich, weil Ihr glaubt, dass ich eine gute Kaiserin wäre. Aber kann ich das sein, wenn ich eine schlechte Ehefrau bin?"
„Ehen unterziehen sich keiner Bewertung. Novel ..." sie räusperte sich, bevor sie weiterfuhrt, „ ... begehrt dich, Camilla, und das schon seit einer Weile. Du warst ihm bisher eine gute Gefährten, also sehe ich keinen Grund, mir Sorgen zumachen"
Ich rang mir ein Lächeln ab. Lavinia war vernarrt in Novel. Sie würde niemals einsehen, dass diese Ehe mir kein Glück bringen wird. Nicht, wenn Paget ihm weiter einflüsterte, ich sei gefährlich und ihm Beths Ebenbild direkt vor der Nase saß.
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Novel
Historical FictionDorians Flucht reißt nicht nur Lavinia den Boden unter den Füßen weg, sondern auch ihren Kindern, die mittlerweile zu jungen Erwachsenen herangewachsen waren. Novels vom Militär abgehärtete Seele vertraut sich erstmals einer italienischen Gräfin...