Kapitel 43, Teil 2

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Camilla 

Als der Volksvertreter sich ankündigen ließ, blieb mein Herz für einen Moment stehen. Ich nickte dem Türsteher hastig zu und versuchte mich darauf zu konzentrieren weiterzuatmen. Das durfte einfach nicht schief gelaufen sein.

Als er sich langsam verbeugte und ich ihm meine Hand reichen musste, tippte ich bereits unruhig mit meinem Fuß auf dem Boden auf. „Nun berichtet schon", herrschte ich ihn ungeduldig an, worauf seine Lippen kurz zuckten. „Es ist alles wunderbar verlaufen", erwiderte er feierlich und ich ließ mich erleichtert in einen Sessel fallen. Gott sei Dank!

Ich bedeutete ihm Platz zu nehmen, worauf er mich immer noch lächelnd beobachtet. „Eure Worte waren sehr berührend, königliche Hoheit, und das Parlament ist bereit Männer aus Malheur aufzunehmen und auch Frauen, wenn sie den Anforderungen entsprechen", erklärte er sofort und ich nickte langsam. Ich hatte geglaubt, dass Novel andere Passagen vorliest, dass ihm diese Vorschläge zu schnell gehen könnten. Ich strahlte bei dem Gedanken in mich hinein, dass er meinen Vorschlag angenommen hatte.

„Ich habe Euch eine Zeitung mitgebracht. Frisch gedruckt", er überreichte sie mir mit einer leichten Verbeugung und als ich meinen Namen auf der Titelseite sah, blieb mein Herz zu für einen Moment stehen. Warum schrieb man über mich? Wo waren die Lobeshymnen auf den Kronprinzen? Ich überflog den Artikel kurz. Da stand, Novel hätte zugegeben, dass das Parlament meine Idee war, sie lobten zwar noch seine Fortschrittlichkeit, aber der Dank gebühre mir. Ich schloss die Augen und sprang im nächsten Moment auf. Paget würde mich um einen, nein wohl er um drei, Köpfe kürzer machen!

„Kommt!", sagte ich hastig und eilte hinaus. Ich ging auf direkten Wege zu Novels Arbeitszimmer. Das führte uns durch diverse repräsentative Salons, aber zum Glück begegnete einem an einem Dienstagnachmittag hier niemand. Ich schluckte, als ich ohne zu klopfen eintrat.

Nemours und Chevaliers erhoben sich und ich bemerkte ihre Verärgerung. „Wie konnte das passieren?", fuhr ich Novel an und klatschte die Zeitung vor ihm auf seinen ohnehin überfüllten Schreibtisch. Er sah mich verwirrt an, genauso wie alle anderen Augen des Raumes verständnislos auf mir ruhten. „Wir werden uns zurückziehen", schlug Chevaliers diplomatisch vor, worauf ich energisch den Kopf schüttelte.

„Ihr müsst das wieder in Ordnung bringen", verlangte ich verzweifelt und sah zwischen den vier Männern hin und her. Der Volksminister hatte sich als Erstes wieder gefasst und brachte vorsichtig heraus: „Aber das ist doch etwas Gutes, königliche Hoheit. Die Menschen lieben Euch noch mehr, falls das überhaupt möglich war" Ich sah verzweifelt zu Novel. Begriff den niemand?

„Was hast du denn, Camilla?", fragte Novel vorsichtig und trat zögerlich auf mich zu. „Paget wird ...", hauchte ich und schlug die Hände vor das Gesicht, als ich meine Tränen nicht mehr bändigen konnte. Er hatte Novels Verlobte vermutlich ermorden lassen und sie dann in Form ihrer Cousine beinahe wiederauferstehen lassen – ich wollte nicht wissen, was er mit mir machen wird, wenn ich ihm in den Weg komme.

Novels Arme schlossen sich entschlossen um mich und ich vergrub dankbar den Kopf in seinem Hemd. „Lasst uns alleine", beschloss Novel und sobald die Tür hinter ihnen zugefallen war, schob ich mich noch ein Stück enger an ihn. „Ich wollte das nicht", schluchzte ich verzweifelt und sah Novel bittend an. Er musste mir mehr glauben, als Paget: „Ich will dir helfen, dir dienen und dir keinesfalls etwas wegnehmen", beteuerte ich, worauf Novels Blick plötzlich ernst wurde. Er legte seine Finger unter mein Kinn und hob sanft meinen Kopf an. So weit, bis sich unsere Lippen plötzlich ganz nahe waren. Ich getraute mich weder zu atmen, noch zu blinzeln. Verlegen schloss ich die Augen.

„Wenn du nicht willst ...", flüsterte Novel vorsichtig, worauf ich sachte den Kopf schüttelte und schließlich die wenigen Zentimeter zwischen uns überwand. Seine Lippen waren rau und sein Bart kitzelte meine Wangen, dass ich unseren ersten Kuss seit Monaten hineinlachen musste. Novel Mundwinkel zuckten auch, bevor er mich näher an sich zog. Unsere Lippen hatten sich nur leicht und kurz berührt, bevor er mich in eine innige Umarmung zog. „Niemand Camilla, hörst du niemand, wird es wagen dich anzutasten. Erst Recht nicht mein Vater", schwor er und ich nickte langsam. Ich hatte Angst ihn loszulassen, weil mir klar war, dass ich in der Welt außerhalb seiner Arme nicht so geborgen war und ich nicht wusste, wann er das wieder zuließ.

Ein Klopfe an der Tür nahm mir die Entscheidung ab, ob ich seine neuerliche Zuwendung gerade überstrapazierte. „Novel?", rief Gabrielle durch die Tür und ich trat verlegen zurück. Bevor Beth nach Bonheur gekommen war, konnte ich den Italiener gut leiden, aber jetzt schämte ich mich, ihm unter die Augen zu treten.

„Kommt herein", rief Novel zurück ohne mich aus den Augen zu lassen. Er platzierte mich auf der Sitzgruppe und ließ sich in viel knapperen Abstand als üblich neben mir nieder. Unsere Beine berührten sich und als würde Novel das spüren, beruhigte mich das.

„Gabrielle wird dein neuer Leibwächter!", verkündete er enthusiastisch und mir blieb für einen Moment das Herz stehen. Wie bei Gott war er auf diesen Irrsinn gekommen? Ich biss mir einmal auf die Lippe und sah dann hilfesuchend zu Gabrielle. Er musste ihm das Ausreden. „Ich weiß nicht, wie angebracht das ist", wandte ich ein, worauf die beiden einen irritierten Blick austauschten und mich anschließend verwirrt betrachten. „Wegen ...", ich zögerte ihren Namen auszusprechen, aber da die beiden immer noch nicht begriffen, überwand ich mich: „Ich kann von Leutnant Russo nicht verlangen, die neue Braut seines Beinaheschwagers vor verrückten Attentätern zu beschützen"

Novels Mundwinkel sanken augenblicklich und ich spürte, wie er sich versteifte und sich bemühte, nicht von mir abzurutschen. „Doch, dass könnt Ihr, königliche Hoheit und ich werde zustimmen – Lizzi hätte nicht gewollt, dass Euch dasselbe Schicksal ereilt", hielt er dagegen und ich zuckte verlegen mit den Schultern. Ich kannte Gräfin Elisabeth Russo nicht wirklich, nur aus Akten meines Vaters und diese Persönlichkeit schien sie in Italien zurückgelassen zu haben.

„Dann ist es beschlossen", ergriff Novel das Wort und sah mich fragend an. Verlegen nickte ich und erhob mich im selben Moment. Ich musste nachdenken. Und mit Leila oder George sprechen, dass mich an meinen grummelnden Magen erinnert. „Sollen wir mit dem Diner auf dich warten?", fragte ich an Novel gewandt, der mich einen Moment lang schuldbewusst ansah, bevor er den Kopf schüttelte. 

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