Kapitel 28

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Camilla

Anders als üblich wichen George und ich einander nicht von der Seite. Ich ertrug medizinische Diskussionen und George suchte nicht das Weite, wenn ich mich in Sprachen unterhielt, die er nicht beherrschte. Das war das erste Anzeichen dafür, dass wir uns unwohl fühlten.

„Ja, es war ganz furchtbar", bestätigte George zum wiederholten Male den schockierten Adeligen. „Aber Ihre Majestät die Kaiserin steht bereits in engen Kontakt zum spanischen Botschafter, der gerade das Leben des Mörders durchforstet", fügte ich hinzu und George setzte ernst hinterher: „Natürlich wurde der Mann sofort in Gewahrsam genommen"

Was wird Novel mit ihm tun?

Lavinia wäre es sicher am angenehmsten wenn ihn die Spanier nach ihren härtesten Gesetzen bestrafen würden. Aber ich konnte mir vorstellen, dass Novel den Mord an seiner Braut nicht auf sich beruhen lassen würde. Vor allem bei dem aktuellen Gerede nicht. Es waren unruhige Zeiten in Europa und wie überall auf der Welt wurden auch hier Stimmen nach Mitbestimmung laut. Vor allem die Ausländerfeindlichkeit nahm stark zu und die Bürger beschwerten sich, dass ihre Ängste und Sorgen nicht ernst nahm. Die Pluralität war es, dass dieses Land ursprünglich aufmachte, aber ich konnte den Ärger nachvollziehen, dass viele internationale Konflikte plötzlich auf unseren Straßen ausgetragen wurden. Beth schien eines dieser Opfer zu sein und rief immense Empörung hervor, egal wie sehr George und ich versuchten zu beschwichtigen. 

Novel 

Mir gingen Camillas Worte nicht aus dem Kopf – der Einzige, der davon profitierte war Papa, aber ich hatte meine Zweifel daran, dass er sich so weit aus dem Fenster lehnen würde. Gegen Mama, gegen mich ... . Deshalb brauchte ich Munition, wenn ich ihn konfrontierte und die hoffte ich in Dorians Briefen zu finden.

Es war mir unerträglich den Salon, den ich mit Beth geteilt hatte, zu verlassen. Deshalb hatte ich mich hier mit Avel verbarrikadiert und durchforstete die Korrespondenz zwischen Dorian und seinem Sohn in der Hoffnung, einen Hinweis auf Papas Beteiligung zu finden.

„Novel", mahnte Avel als ich bereits die dritte Kiste mit Briefen vom Tisch hob. Es waren hunderte von Briefe und ich bemerkte, wie Avel langsam die Geduld verlor. „Ich helfe dir, wenn du auch die restlichen zehn Kisten lesen willst. Aber es gibt jemanden, der das alles schon durchgekaut hat", erinnerte mich Avel und ich schüttelte entschlossen den Kopf. Ich fragte Camilla nicht um Hilfe – einerseits, weil ich sie nicht sehen wollte und andererseits, weil sie sowieso so wütend war, dass sie mich wahrscheinlich nicht Mal empfangen würde. „Dann vielleicht Leone?", fragte Avel hoffnungsvoll ich seuzfte auf. Auf dieses kleine Findelkind hätte ich beinahe vergessen. Seufzend gab ich nach. Ich brauchte Antworten, bevor die Verzweiflung über meine Wut siegte und mich antriebslos zurückließ.

Leone, Camillas italienischer Komplize beim Versuch Dorians Unschuld zu beweisen, lächelte mich schüchtern an, bevor er zweifelnd auf die verstreuten Briefe sah.

„Mit Verlaub, Majestät. Das haben Camilla und ich hunderte Mal gelesen und nichts gefunden"

„Das sind nicht Dorians Briefe, sondern die übrigen Briefe, die Kenneths Bastard empfing. Gibt es jemanden, der häufig mit ihm in Kontakt stand?"

„Besonders Camilla hat verstärkt diesen Lösungsansatz verfolgt", erzählte er und ich zuckte kurz zusammen. Wenn ich mich recht entsinne, hat sie mir darüber sogar einmal berichtet, „Wenn Ihr möchtet kann ich Euch die Namen sagen, die besonders auffällig waren. Mit Verlaub", es sah mich scheu an und ich nickte ihm unwirsch zu, „Camilla kennt sich mit diesen Dingen natürlich am besten aus"

Wütend verkrampfte ich meine Fäuste, nickte aber knapp. Avel beeilte sich, Leone aus dem Zimmer bringen. Ich versuchte mich immer zwanghafter an Beth zu erinnern, aber alles das blieb, war Camilla und ich fühlte mich schrecklich dabei. 

Widerwillig ließ ich mich von Camillas Obersthofmeisterin in ihren Salon führen. Es war spät geworden, aber Camilla saß noch an ihrem Sekretär und las ein Pergament. Einen Moment verschlug mir ihre Schönheit die Sprache. Sie hatte ihr Haar locker auf ihrem Kopf zu einem Knoten gedreht, aus dem dünne Haarsträhnen herausrutschten.

„Der Kronprinz, Comtesse", kündigte mich ihre Hofdame leise an und Camilla fuhr erschrocken herum. Einen Moment sah sie mich an, als wäre ich ein Geist, bevor sie sich räusperte. Sie sprang auf ihre Beine, strich ihren Rock glatt und deutete mir, platz zu nehmen. „Ich werde mich nicht dazu erdreisten dich nach deinem Befinden zu fragen. Aber sei gewiss, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du Unterstützung benötigst", begrüßte sie mich heiser. Wir wandten beide gleichzeitig den Blick ab.

Sie war heute mit Mama spazieren. Die Abendzeitung berichtete in jedem Detail darüber und hob Camillas Qualitäten hervor. In diesem Ausmaß hatte man über Beth erst am Tage ihres Todes berichtet. „Leone verwies mich zu dir", erklärte ich, worauf sie überrascht die Augenbrauen hochzog. Wahrscheinlich rechnete sie nicht damit, dass ich mich mit ihrem kleinen Findling besprach.

„Es geht um die Korrespondenz von Kenneths Bastard mit anderen Freunden. Ich bin dabei immer wieder auf einen Namen gestoßen, den Avel und ich nicht zuordnen konnten"

„Ja ... Zeig mir den Brief. Wahrscheinlich kann ich dir weiterhelfen"

Camilla streckte ihre Hand aus und sah, wie ihre Finger bebten während ihr Gesicht völlig erstarrt war. Mein schlechtes Gewissen verschlug mir für einen Moment die Sprache. Ich trug die Schuld an ihrem Zustand.

„Der Name ist Edward"

„Edward war ein Diener in Dorians Anwesen"

„Mehr steckt da nicht dahinter?"

Ich sah wie Camilla zögerte und griff instinktiv nach ihren Händen. Ihr Blick ging von ihrem Schoß zu mir und schlussendlich verlor sie den Kampf gegen ihre Tränen. Zuerst rollte ihr lediglich eine Träne über die Wange, aber nach einigen Augenblicken waren sie bereits zu viele, um sie zu zählen. „Doch", schluchzte sie, nach Atem ringend, „Sein ... sein Lohn" Sie schluckte mehrere Male und ich drückte ihre Hände, um sie zur Eile anzuspornen. „Sein Lohn wurde von einem fremden Mann bezahlt. Mehr weiß ich nicht. Ich berichtete der Kaiserin davon und sie meinte, sie können mit der Information etwas anfangen. Mehr weiß ich dazu nicht" Langsam ließ ich ihre Hände los und sah sie irritiert an. Warum hatte Mama mir davon nicht berichtet? Camilla schlang die Arme um sich selbst und erhob sich.

„Danke für diene Hilfe", sagte ich völlig befangen und Camilla schniefte als Antwort. Ihr Blick klärte sich ein wenig und sie sah mich auffordernd an. Als ich nicht reagierte, ergriff sie heiser das Wort: „Willst du Paget damit drohen, Dorian zu rehabilitieren, wenn er dir nicht die Wahrheit sagt?", riet sie und ich meine Lippen zuckten leicht. Wie lange sie wohl schon wusste, dass Paget hinter dem Anschlag auf Comte Romano steckte. Mein Herz blieb für einen Moment stehen, als mir klar wurde, dass wir hier immer noch über ihren Vater sprachen. Ich wollte es etwas sagen, aber sie winkte lediglich ab. „Schlage Paget mit seiner eigenen Intrige. Das reicht mir als Vergeltung" 

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Wie Paget wohl auf die Vorwürfe reagieren wird ....?

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