Beth
Ich bekam noch seinen überraschten Gesichtsausdruck noch mit, bevor ein Trubel im Salon entstand. Der Prinz wandte sich nach der Quelle der Unruhe um. Einige Militärs hatten in Begleitung von Damen den Saal betreten. Novel trat mit mir aus den Schatten und die Gruppe steuerte sofort auf uns zu. Meine Augen leuchteten kurz auf, als ich meinen Bruder unter ihnen wieder erkannte. Er schien endlich zurückgekehrt sein. Wo auch immer ihn seine strenggeheime Mission hingeführt hatte.
Ich wollte zu ihm gehen, aber seine strenge Miene hielt mich davon ab. Plötzlich fühlte ich mich völlig isoliert. Von Novel ging eine Kälte aus, die mir einen Schauer über den Rücken jagte. Die Gruppe Männer salutierten und der Prinz erwiderte den Gruß. Novel war also ein Militär ... wer hätte das gedacht. Wahrscheinlich jeder am Hof, außer mir. Ich fühlte mich plötzlich klein und unbedeutend.
„Begleitet Ihr uns?", fragte ein junger Mann neben meinem Bruder. Das Mädchen an seinem Arm klebte quasi an ihm. Es war völlig offensichtlich, dass die beiden ein Bett teilten. Novels Blick wanderte zu mir und ich versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. Wenn das seine Freunde waren, sollte er mitgehen. Ich bin sowieso dankbar, wenn ich in mein Bett komme. Das war alles ganz schön viel Aufregung auf einmal.
„Meine Herren", einen Moment später stand Leila neben mir und drückte kurz meine Hand. Wusste sie, wie überfordert ich mit der Situation war? Hoffentlich wirkte ich nicht so hilflos wie ich mich fühlte. Die Militärs verbeugten sich vor ihr. Die Damen lächelten sie lediglich wissend an. Was hatte das alles zu bedeuten? „Ihr verabschiedest Euch?", fragte sie Novel und ihre Stimme war so kühl wie Eis. Novel sah einen kurzen Moment zu mir, bevor er nickte.
„Majestät", sie sank vor ihm in einen Knicks und automatisch tat ich es ihr nach. Um uns herum folgten immer mehr Damen und Herren unserem Beispiel. Novel blieb nichts anderes übrig als den Saal gefolgt von seinen Freunden zu verlassen. Als mich erhob griff sofort Avel nach meinem Arm und brachte mich in Walzerposition. Ich war dankbar, dass ich zumindest das tanzen konnte.
„Bitte seid ihm nicht böse, Elisabeth. Auch wenn er es Euch gegenüber gerne Beiseiteschiebt ist er der Kronprinz. Sich die Gunst des Militärs zu sichern ist wichtig"
„Wohin geht er jetzt?"
„Ich weiß es nicht. Diese Veranstaltungen sind nur für Militärs und deren Komtessen"
Ich schluckte bei dem Gedanken, dass Novel umgeben von allerhand leicht bekleideter Frauen seinen Abend verbringt. Hätte ich bloß meinen Mund gehalten, dann wüsste er jetzt nicht, wie es um mich stand. Er brauchte nicht zu wissen, dass ich ihn liebe, wenn er sich heute Nacht mit anderen Frauen vergnügt.
Novel
„Ihr seid so griesgrämig, Majestät", flüsterte mir Ava ins Ohr. Ich versuchte sie von meinem Schoß zu schieben, war aber zu betrunken dafür. Ich sollte mir endlich eine gute Ausrede einfallen lassen, diesen Nächten zu entkommen. Aber es war auch nicht in Frage gekommen die Jungs vor versammelten Mannschaft abzuweisen. Immerhin hätte ich ohne sie meine Kindheit niemals überwunden. Als sich die Ballerina breitbeinig auf meinen Schoß setzte, vergrub ich dankbar meine Hände in ihrem Haar. Beinahe so wie Beths. Wie gerne hätte ich sie jetzt bei mir sitzen.
„Du musst dich nicht zurückhalten. Ich bin ein großes Mädchen", neckte sie mich und ich lachte heiser auf. Vielleicht wusste sie als eine der wenigen Damen, was sie mit ihrer Einladung riskierte. Ganz im Vergleich zu Beth. Ava war hauptsächlich durch die Nähe zum kaiserlichen Bett im Ensemble des Staatsballets aufgenommen worden. Das sie nie störte. Im Vergleich zu einigen der Solistinnen hatte sie es nie weiter beachtet mit mir in Verbindung gebracht zu werden.
Als sie spielerisch meinen Wundwinkel küsste, biss ich sie in den Hals. Sie stöhnte sofort auf. Meine Hände verkrallte ich in ihrem Po und drückte sie auf mich nieder. Sie lachte erfreut auf. Strich mit ihrem Finger über meine Unterlippe und ließ zu, dass ich sie biss. Ich begann das Spiel beinahe zu genießen. Bis sie mich plötzlich küsste. Sie war viel forscher als Beth. Immerhin wusste sie, was mir gefiel.
Ich schob sie dieses Mal entschlossener von mir und sie stieg schulterzuckend von mir herunter. Wenn ich mir nicht bald aus dem Staub machte, werde ich Dinge mit ihr tun, die ich mir nicht verzeihen werde. Ich liebte Beth. Wenn ich bei ihr war, hatte ich nicht das Gefühl alles kontrollieren und beherrschen zu müssen. Sie hat noch niemals meine Autorität herausgefordert. Ganz im Gegenteil. Meistens machte sie sich mir gegenüber viel kleiner, als sie es war.
Mit diesem Gedanken verließ ich das Hauptquartier. Bald würde der erste Schnee fallen. Ich steppte meinen Mantelkragen hoch und hastete durch die Kälte.
„Soll ich später wieder kommen, Majestät?", fragte Nemours und ich schreckte hoch. Ich musste die ganze Zeit an Beth denken. Leila hat mir heute beim Frühstück unter die Nase gerieben, wie töricht es war, sie alleine zu lassen. Das wusste ich selbst auch! Leila schätzte die Lage schon prekär ein ohne zu wissen, dass Ava gestern Abend auf meinen Schoß gesessen ist. Das unter normalen Umständen nichts Außergewöhnliches wäre, aber jetzt war nichts mehr normal. Seit es Beth gab, umhüllte alles das sie berührte ihr Glanz.
Nemours räusperte sich erneut und strich mir verlegen über mein Kinn. Mama wird mir den Kopf waschen, sollte er mich verraten. „Wo seid Ihr bloß mit Euren Gedanken, Junge?", fragte er. Bei seinem vertrauten Tonfall wurde ich noch eine Spur verlegener und mein Onkel lachte auf. „Ja, ja, lacht mich ruhig aus", beschwerte ich mich.
„Was wünscht Mama?", fragte ich, als er sich nach wenigen Minuten beruhigt hatte. Als wäre es so witzig, dass ich mich verliebt hatte. Auch wenn ich es vor wenigen Monaten selbst noch für unmöglich hielt, war ich mir jetzt absolut sicher. Ich liebte Beth! „Ihr sollt Euch das durchlesen, Majestät. Das ist der offizielle Bericht der italienischen Gesandten. Sie sind geneigt abzureisen", erklärte er und ich fuhr hoch.
Abreisen?!
Sollten sie ihre Pläne ernst meinen, dann könnte es sein, das ihnen der italienische Hofadel folgte. Mit ihm Beth. Wie lange wollten uns die Italiener die Sache mit Comte Romano noch nachtragen? Erstens, Kenneths Bastard war der Mörder und er war italienischer Staatsbürger und zweitens war Dorian, den sie für den Hauptschuldigen befanden, geflohen. Sofort war ich bei der Sache. Nemours ließ mich dem Stapel Papier zurück. Die Minister hatten schon erste Schritte eingeleitet, um unsere Unschuld zu beweisen. Mamas Notizen dazu waren gelinden gesagt unfreundlich. Es mag sein, dass wir in einem ungünstigen Licht dastehen, aber unser Wort sollte den Italienern etwas bedeuten, da hatte sie Recht.
Es wird nichts daran vorbei führen, sie direkt nach dem Lunch und noch vor dem Ministerrat aufzusuchen, um unser Vorgehen zu besprechen. Sollten wir jetzt eine falsche Entscheidung treffen, könnte das Mama in Schwierigkeiten bringen. Die Minister waren ohnehin gegen sie. Gerade als mein Adjutant mir meinen Säbel anlegte, brachte ein Bote einen Brief. Camillas Nachricht traf genau im richtigen Moment ein.
Camilla
Lieber Novel!
Ich hoffe Ihr seid wohlauf und ich bete inständig dafür, dass Ihr meinen Bericht lest, bevor Euch die schlechten Nachrichten anderwärtig erreichen.
Dorians Sohn Leone und ich haben es geschafft, noch mehr Briefe von Kenneths Bastard zu sichten. Leone ist mir eine große Hilfe und ich bedaure es, dass Dorian ihn nie nach Bonheur gebracht hat.
Aber nun zur Sache: Wir haben die Briefe durchgesehen und sie bestätigen die Schuld von Kenneths Bastard, entlasten aber Dorian selbst leider nicht. Ganz im Gegenteil verleiht sein Sohn seinem Hass auf die italienische Geheimgesellschaft in dieser Korrespondenzen Worte.
Bitte verzeiht, dass ich keinen weiteren Fortschritt zu vermelden habe. Leone und ich erkämpfen uns weiterhin Sympathien in den italienischen Salons und ich beginne mich hier sehr wohl zu fühlen, wenn man mir auch mit sehr viel Zurückhaltung begegnet. Ich kann nicht einschätzen, ob mich die Aristokratie aufgrund meiner Abstammung hasst oder bemitleidet oder ob ich ihnen schlichtweg egal bin.
In Verbundenheit,
Camilla
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Novel
Historical FictionDorians Flucht reißt nicht nur Lavinia den Boden unter den Füßen weg, sondern auch ihren Kindern, die mittlerweile zu jungen Erwachsenen herangewachsen waren. Novels vom Militär abgehärtete Seele vertraut sich erstmals einer italienischen Gräfin...