Kapitel 20

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Novel 

Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Einerseits, konnte ich es nicht erwarten, den Mann kennenzulernen, der mich nur aus Briefen bekannt war und andererseits hatte ich panische Angst davor, wer er sein könnte. Mit Sicherheit würde das ein äußerst schwieriges Zusammenleben werden, wenn ihn seine Mätresse begleitete. Meine Gedanken kreisten die gesamte Nacht um die Frage, wie wir Mama am besten schützen könnten.

Deshalb war ich ziemlich übermüdet, als ich zwischen Mama und Avel eingekeilt am Hafen stand. Mama hat sich in einen wollenen Umhang gehüllt, der sie beinahe völlig verschlang. Avel und ich wechselten einen vielsagenden Blick. Sie wollte sich von Papa verstecken. Ganz im Gegenteil verhielt sich Leila. Sie hatte ihre Lieblingsrobe angezogen, die ihr inneres Strahlen noch verstärkte. Das Schiff lag nun schon seit Minuten an, aber es dauerte nochmal endlose Momente, bis endlich ein Mann mit lichtem Haar und einer kleinen, pummeligen Frau am Arm das Schiff verließ. Mama Augenbrauen gingen auf Wanderschaft und ich konnte nicht einschätzen, ob sie verwundert oder verärgert aussah. Mich für meinen Teil wundert Papas Wahl. Sie ähnelte Mama überhaupt nicht.

Wir hielten alle den Atem an, als Papa vor uns stehen blieb. Würde er sich Mama unterordnen?

„Majestät", Papas Stimme war laut, aber von Emotionen rau. Er verbeugte sich und Mamas Schultern sackten ein Stück nach unten. Er akzeptierte sie als Monarchin. Genauso wie es Dorian getan hat. Ich schmunzelte und wünschte mir plötzlich, Beth wäre hier. Für den Fall, dass dieses Zusammentreffen schief ging, wollte ich nicht, dass sie mich begleitete. Ich wusste selbst noch nicht, wie ich mit dem neugewonnen Vater umgehen sollte.

„Ich kann mich gar nicht erinnern, so viele Kinder zu haben", scherzte Paget und klopfte mir kameradschaftlich auf die Schultern. Ich konnte nicht verhindern, dass ich mich dabei versteifte. Seine Augen waren eingefallen, als hätte er lange nicht mehr geschlafen und seinem Gesicht sah man die Erfahrung von über 40 Jahren an. Er war nicht so schlank, wie auf den wenigen Portraits die ich von ihm kannte. Zum Glück war er aber auch nicht dick geworden. Gespannt verfolgte ich, wie er die Reihe abschritt und jedes seiner Kinder mit Namen begrüßte. Bei Leila hielt er besonders lange inne.

„Mama hat bereits während ihrer Schwangerschaft behauptet, das Kind in ihr wäre ein Mädchen", erzählte er, worauf Leila leicht lächelte. Mamas Hofdamen hatten uns oft davon erzählt, wie sehr sie sich eine Tochter gewünscht hatte. „Dich hatte sie eine Weile übersehen", versuchte Papa erneut zu scherzen, aber Étienne zog lediglich die Augenbrauen nach oben. Er hatte tatsächlich das Gefühl, wir würden ihn alle übersehen. „Aber das kann man heute wohl nicht mehr. Ich habe Skizzen von dir gesehen" erzählte Papa und klopfte auch ihm anerkennend auf die Schultern. Bei Mathews Sohn George musterte er besonders lange. „Du siehst deinem Vater sehr ähnlich", brummte er schließlich und schüttelte Mathews Sohn die Hand.

„Aber ihr habt ja noch jemanden in unsere Familie aufgenommen", setzte Papa an und winkte auf das Schiff hinauf. Irritiert beobachtete ich ihn. „Du hast mir so lebhaft von Camilla berichtet, dass ich sie auf den ersten Blick erkannt habe", erzählte Papa und wir sahen gebannt auf den Steg, wo Camilla in Begleitung einiger Hofdamen herunterkam. Leila eilte hastig auf sie zu und der Rest von uns folgte ihr. Wir schlossen alle ungestüm die Arme um sie und als ich ihre Haare wieder in meinem Gesicht spürte, rief dass Erinnerungen in mir wach, die ich nicht wollte. Sie war das erste Mädchen in das ich mich verliebt hatte und wäre ich ein besserer Mann, hätte ich sie schon längst geheiratet.

Verlegen trat ich zurück. Besonders Leila hing noch einen Moment an ihr, bevor wir uns lachend nochmal alle gemeinsam in die Arme schlossen. „Du hast einiges verpasst", behauptete Avel, worauf Camilla verschwörerisch lächelte. „Eure Briefe waren alle sehr ausführlich. Lasst mich bitte kurz mit dem Bräutigam alleine", wimmelte Camilla die anderen ab und ich sah sie überrascht an.

Stimmte etwas nicht? Sofort musterte ich sie eingehend, aber zumindest körperlich schien ihr nichts zu fehlen. „Ich habe noch jemanden mitgebracht", setzte sie vorsichtig an und führte mich auf das Schiff hinauf. Die Seemänner waren immer noch dabei, Segel einzuholen, Seile zu verstricken und wir mussten aufpassen, dass uns niemand umrannte.

„Was ist geschehen, dass du bereits so früh zurückgekehrt bist?"

„Tante Lavinia hat mich zurückgerufen. Eigentlich wollte ich noch ein paar Erledigungen machen, aber ich die Gelegenheit mit dem Erzherzog zu reisen, erschien mir günstig. Außerdem habe ich jemanden gefunden, der uns mehr über Dorians Zeit in Italien erzählen kann"

„Du konntest Dorians Unschuld beweisen?"

„Nein, es tut mir leid. So unschuldig ist Dorian leider nicht"

Ich hielt abrupt inne. Mama war so überzeugt davon, dass er mit der Sache nichts zu tun hatte. Das tat mir unendlich leid für sie. „Arme Mama"

Camilla 

Ich haderte mit mir, ob ich Novel erzählen sollte, dass seine Mutter sehr wohl gewusst hatte, dass Dorian in die Sache verwickelt war. Lediglich das Ausmaß war ihr nicht bekannt. Laut meinem Begleiter Leone hatte er mehr Fäden gezogen, als Lavinia mit Sicherheit lieb war. Ich führte Novel eine Treppe hinunter und hielt ihn an der Tür vor Leones Kajüte kurz an den Schultern fest. Die Berührung elektrisierte mich und ich brauchte einen Moment, um wieder sprechen zu können.

„Ich habe Dorians Sohn mitgebracht", beichtete ich ihm, worauf sein Gesicht zuerst blass und dann rot wurde. Es war töricht, Leone für seine Freundschaft mit Kenneths Bastard zu hassen. Es gab uns eine einmalige Einsicht in die Geschehnisse in Italien. Ich spürte, dass er in einem Moment vor Wut nichts mehr mitbekommen würde, deshalb beeilte ich mich zu sagen: „Er ist auf unserer Seite, Novel. Er war mir einen große Hilfe und ist die beste Quelle für das Gericht, da er vor Ort war" Das überzeugte Novel nicht, deshalb setzte ich verzweifelt hinterher: „Sprich zumindest mit ihm" Es stand mir nicht zu, irgendetwas von ihm zu fordern, nachdem ich versagt hatte, aber in Leone hatten wir wieder eine feste Brücke nach Italien. Da schuldete ich es seiner Herrschaft, dass ich ihm diese Möglichkeit aufzeigte.

„Wenn ich nicht überzeugt bin, verlässt er mit dem nächsten Schiff unser Land", verlangte Novel, worauf ich eifrig nickte. Geschlagen drückte Novel ohne zu klopfen die Türklinke hinunter.

Novel 

Ein junger Mann sprang auf und verbeugte sich hastig vor mir. Er wischte sich seine schwitzenden Handflächen an seiner Hose ab und starrte peinlich berührt auf seine Schuhe. So hatte ich mir die Leute, die sich mit Kenneths Bastard abgaben, allerdings nicht vorgestellt. An seinen Händen klebte Tinte und er sah selbst in diesem kleinen Raum verloren aus. „Bitte verzeiht, Majestät", er verbeugte sich erneut, „Ich habe nicht damit gerechnet, dass Euch Camilla dazu überreden kann" Ich wandte mich Camilla zu, die neben mir stand. Ja, dass hätte ich mir auch nicht gedacht. Einem Instinkt nach trat ich einen Schritt in den Raum hinein und schirmte Camilla mit meinem Körper ab. Ich wusste nichts über Dorians Sohn, außer dass er mit Kenneths Bastard zu tun hatte.

„Ihr seid also bereit Dorian zu entlasten?"

„Ich haben ebenso wenige Beweise zu bieten, wie Camilla. Aber ich kannte Kenneths Bastard und kann bezeugen, dass er auf eigene Faust gehandelt hat und euch von den Geschehnissen berichten"

Ich wandte mich zu Camilla um, die er im Übrigen mit „Prinzessin" anzusprechen hatte. Glaubte sie ihm? Hat sie Leone bereits ins Bild gesetzt? Camillas Lächeln wurde traurig. Uns war beiden bewusst, dass Dorian nicht mehr zurückkehren konnte, nun, wo Papa hier war.

„Habt Ihr eine Garantie für mich, dass Ihr nicht hier seid, um für Kenneths Bastard zu spionieren" – „Papa hat meine Lehrer ausgewählt und ich bin genauso liberal erzogen worden wie ihr. Ich habe Kenneths Bastard respektiert, unterwerfe mich aber der Regierung Eurer Mutter. Camilla kann für mich bürgen"

Ich wandte mich nicht zu Camilla um. Sie hätte ihn nicht hierher gebracht, wenn sie an seiner Loyalität gezweifelt hätte. Deshalb gab ich auch nach. Es war ohnehin hoffnungslos. In seiner Zerstreutheit erinnerte er mich an Camilla und damit schien er mir keine große Gefahr zu sein. Außerdem hatten Mama und meine Geschwister die Wahrheit verdient. Seufzend nickte.

„Wenn das schief geht Camilla ...", drohte ich, worauf sie mir eilig einen Kuss auf die Wange drückte. Ich errötete. „Das wird es nicht. Du wirst die Geschichte hören möchten, die er dir erzählt" 

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