Kapitel 27

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Camilla

Nervös tippte ich mit meiner Schuhspitze auf den Teppich. Ich musste bedrückt werden, traurig und nicht panisch. War das alles ein Zufall? Hatte der Attentäter unbewusst den Tag gewählt, nachdem Beth gebeichtet hatte, dass sie Pagets größtes Verbrechen kannte? Ich hatte Beth um ihre Position und die Macht dieses Wissens so sehr beneidet. Jetzt war sie tot und ich hatte nichts getan, um sie zu schützen. Ich habe geglaubt, die Sache sei erledigt, als Novel mich gestern fortschickte. Vielleicht hätte ich ...

„Sagt mir, dass das nicht wahr ist!", schrie Prince Esposito und schlug die Tür hinter sich zu. Ich fuhr zu ihm herum. Mit zu Fäusten geballten Händen stand er mitten im Raum, während sich langsam Tränen in seinen Augen sammelten. Ich erwiderte verzweifelt seinen Blick. Warum war er gerade zu mir gekommen? Ich konnte nicht ... trauern. Dazu hatte ich nicht das Recht. Deshalb blinzelte ich zwanghaft meine Tränen weg und nickte.

„Wir reisen ab!"

„Das bringt sie uns auch nicht wieder"

„Das ist das zweite Mitglied unserer Geheimgesellschaft innerhalb eines halben Jahres, das auf Kosten dieser Krone ermordet wurde! So behandelt man seine Verbündeten nicht"

Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Es war nicht an mir die Außenpolitik zu bestimmen und das heute war ein tragisches Unglück. Oder Paget, aber wie dem auch sei repräsentierte dieser Mörder nicht die Gesellschaft dieses wunderbaren Landes. Aber wie sollte ich ihm das erklären? Wie konnte ich rechtfertigen, was seinem Schützling widerfahren war?

„Ich habe mir schon gedacht, dass Ihr hier seid", die Tür wurde unangekündigt geöffnet und die Kaiserin trat gefolgt von meiner Hofdame ein. Dankbar lächelte ich sie an. Unter dem wütenden Blick der Kaiserin zuckte ich zusammen. Sie rauschte an Esposito vorbei und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Besorgt musterte sie mich.

„Wie könnt Ihr es wagen, die Comtesse jetzt aufzusuchen? Seht Ihr denn nicht, dass Sie unter Schock steht?"

„Wie ich es wagen kann? Ihr sprecht ständig vom engen Verhältnis und dabei ermordet Ihr hinterrücks unsere Staatsbürger"

Die Miene der Kaiserin erstarrte und ich trat unmerklich einen Schritt zurück. Jetzt wollte ich keinesfalls in die Schusslinie geraten. „Ihr habt einer Revolutionärin, einer Spionin Comte Romanos in meinem Land Asyl gewährt, ohne mich um Erlaubnis zu fragen und von ihr verlangt, sie solle meinen Sohn heiraten", fuhr sie Prince Esposito an, der tatsächlich unter ihrem Blick kleiner wurde. In ihren Augen wechselten sich Schmerz, Wut und Enttäuschung ab. Dorian hatte mir erzählt, dass die beiden in deren Jugend eng befreundet waren.

„Meine Familie trauert. Der Mann, der einst mein Freund war, hätte nicht die Dreistigkeit besessen uns in dieser schweren Zeit mit einer diplomatischen Krise zu drohen", feuerte sie weiter. Esposito senkte nun endgültig den Blick. Lavinia legte eine Hand auf meine Schulter und dirigierte mich zur Tür. Esposito verharrte in einer Verbeugung.

Wir saßen alle still in Leilas Salon zusammen und warteten auf Maida, die uns immer wieder Nachricht brachte, sollten sich neue Erkenntnisse ergeben. Aber anstelle, dass die Vorkommnisse klarer wurden, entstanden immer mehr Fragezeichen. Der Mann schien Spanier zu sein und zu allem Überfluss im Gefolge des spanischen Botschafters zu stehen. Lavinia möchte den Mann nicht anrühren, bevor sie sich nicht mit den Spaniern beraten hatte. Grace, Pagets Kind, und ihr Mann, der als spanischer Diplomat hier war, waren bereits seit über einer Stunde in Audienz. Aber am schlimmsten war wahrscheinlich Étiennes Beteiligung. Er hatte Beths Skandal gegen Leilas getauscht und das verwickelte Leila ebenfalls in die Sache. Es schien, als hätten wir alle gemeinsam Beth diesen Dolch in den Bauch gerammt. Die Frage blieb, ob das Paget entlastete.

„Timophly befragt den Mörder gerade", Avel schloss lautlos die Tür hinter sich und wir vier wurden noch kleiner in unseren Sesseln. George, Mathews Sohn, war sofort von seiner Vorlesung an der Universität zurückgekehrt, um bei uns zu sein. „Wie geht es Novel?", fragte Étienne kleinlaut. Avels Blick huschte zu ihm und seine Züge verhärteten sich schlagartig. „Zu deinem Glück quält er sich mit Selbstvorwürfen. Ich an seiner Stelle hätte dich bereits verbannt", fauchte er und ich zuckte zusammen. Entschlossen griff ich nach seiner Hand und zog ihn zu mir auf die Sitzgruppe. Er sollte besser nichts mehr sagen, dass er im Nachhinein bereuen würde.

Zum Glück kam es nicht mehr dazu, da Lavinia Leilas Salon betrat. Wir sprangen alle auf. Lavinia lächelte schwach. „Wir glauben, dass er alleine gehandelt hat", gestand die Kaiserin und setzte sich auf den Stuhl zwischen Étienne und George. In Lavinias Blick stand die Resignation, dass Beth für nichts, als den Wahnsinn eines Mannes gestorben war. In mir wiederholte sich aber immer die Frage, wer von diesem Wahnsinn besessen war.

„Du bist heute am Abend zu einem Konzert eingeladen?", fragte die Kaiserin und ich nickte bang. Ich wäre selbstverständlich nicht erschienen. Mit Sicherheit rechnete man mit meiner Abwesenheit. Mir graute vor den nächsten Worten. „Ich möchte, dass du es besuchst und von unserer tiefen Betroffenheit berichtest. Lenke den Fokus auf den Wahnsinnigen der Beth ermordet hat und nicht auf den Grund seiner Wut", verlangte sie und ich schluckte. Ich sah mich eigentlich nicht im Stande eine Gesellschaft zu besuchen. Trotzdem nickte ich. „George begleitet dich", verfügte sie weiter und erhob sich im selben Moment. Mit Sicherheit würde sie nun zur Novel gehen. Ich schloss für einen Moment die Augen. Wenn ich Beth einen letzten Dienst erweisen konnte, dann war es, von ihrem Skandal abzulenken.

Novel 

Ich sah Camilla dabei zu, wie sie sich ihre Handschuhe überstreifte und ihre Hofdamen die Perlenkette um ihren Hals schlossen. Bei der Erinnerung an das Schmuckstück zuckte ich zusammen. Hatte Beth ihre Kette heute getragen? Bei Gott, ich konnte mich nicht daran erinnern.

Als sie sich zu mir umwandte, erstarrte sie. Bis sie den Blick senkte. Sie schämte sich. Genauso wie ich. „Lasst uns alleine", sagte ich ausdruckslos zu ihren Hofdamen. „In zehn Minuten müssen wir aufbrechen", erwiderte ihre Obersthofmeisterin und ich nickte. Camilla trat noch immer mit gesenkten Blick auf mich zu. Camilla war geradezu prädestiniert für die Rolle einer Kaiserin. Sie kam leicht in vielen unterschiedlichen Sprachen ins Gespräch, hatte weiterreichende Kontakte und genauso viele Freunde, konnte sich aber trotzdem durchsetzen.

Trotzdem war sie nicht Beth.

Sie besaß nicht ihre vornehme Zurückhaltung oder ihre Arglosigkeit. Erst als Camilla vor mir auf die Knie sank und einen Kuss auf meine Hand drückte, nahm ich sie wieder wahr. Und die Angst, die sie ausstrahlte. „Du kennst den Verleger der Zeitung, oder?", fragte ich und Camillas Blick zuckte kurz verwundert zu mir hoch, bevor sie nickte. Étienne hatte sich immer gerne mit ihrer Gesellschaft bei seinen Soireen geschmückt. Der Rest von uns war entweder nicht eingeladen oder wurde milde geduldet.

„Hast du für ihn die Lücken gefüllt, die in Étiennes Geschichte gefehlt haben?", fragte ich prompt. Ich hatte den Artikel gelesen und da wurde von Dingen berichtet, die ich meiner Familie nie anvertraut hätte. Deshalb musste Étienne jemand unterstützt haben, dass er natürlich bestreitet. Camillas Blick zuckte erneut zu mir hoch und ihre Augen sprühten Funken. Wütend verschränkte sie die Arme und schüttelte den Kopf. „Bist du wirklich dreist genug mich zu fragen, ob ich geplant hatte, deine Braut zu deskreditieren?", fauchte sie und einen Moment lang überkam mich Verunsicherung. War es falsch sie zu beschuldigen?

„Ich muss wissen, wer es uns verraten hat"

„Wenn ich Interesse daran gehabt hätte Beth auf eine so schändliche Art und Weise loszuwerden, hätte ich es vor meiner Abreise nach Italien getan"

Sie wandte sich zu mir um und ihre Miene war versteinert, obwohl ihre Wangen feucht von Tränen waren. „Tut mir ...", setzte ich an, doch Camilla schüttelte lediglich entschlossen den Kopf. „Du bist nicht ganz bei dir", stellte sie kühl fest und drückt mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange, verharrte aber länger als notwendig. Ihre Worte waren leise, aber durch die Schärfe in ihrer Stimme konnte ich mit Sicherheit sagen, dass jedes Wort aus ihrem Mund kam: „Wenn du damit fertig bist, Unschuldige anzuschwärzen, stellst du dir vielleicht die Frage, wer wirklich von Beths Tod profitiert" 

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