Kapitel 62

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Camilla

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Wie konnte es sein, dass Paget von unseren morgendlichen Aktivitäten Bescheid wusste? Wir hatten uns wirklich bemüht leise zu sein. Es sei denn jemand wäre hereingekommen, während ich geschlafen hatte. So musste es gewesen sein. In Gedanken gab ich Novel eine Ohrfeige für sein frevelhaftes Verhalten und sank tiefer in meinen Sessel. Leilas neckischen Grinsen ließ mich noch tiefer erröten.

Ich erwachte erst aus meiner Verlegenheit, als Paget wütend die Zeitung auf den Tisch donnerte. „Das ist alles erlogen!", schimpfte er und funkelte einem nach dem anderen herausfordernd an. Ich hatte eine ungefähre Ahnung, welche Schlagzeilen er wohl vorfinden würde, deshalb konnte ich ein Zucken meiner Mundwinkel nicht verbergen.

„Wir haben Beweise, die den Artikel stützten"

„Das ist unmöglich – dass ist alles lange vor eurer Zeit passiert"

Paget sah einen Moment ratlos aus, bevor er sein Blick auf mich fiel. Seine Augen verengten sich zu schlitzen und ich verkrampfte unwillkürlich meine Hände meinem Kleid. Beruhigend legte Novel eine Hand auf meinen verkrampften Knöchel. Mein Kopf ruckte zu ihm herum und lächelte mich beruhigend an. Sollte Paget zum Gegenschlag ausholen, würde es mich kaum treffen, weil ich mich in ein Land zurückzog zu dem er keinen Zugang hatte.

„Du hast also die Archive deines Vaters gefunden", stellte Paget leise fest und ballte seine Hände dabei so fest zu Fäusten, dass seine Knöchel sich weiß färbten. „Ich weiß nichts von Archiven, aber Papa hat immer gerne Zeitungsartikel zu Personen die ihm nahestanden, gesammelt", log ich und lächelte schief. Das tat ich immer, wenn ich Halbwahrheiten erzählte, aber hoffentlich war Paget das noch nicht aufgefallen. Novel drückte bestätigend meine Hand, wandte den Blick aber nicht von seinem Vater ab.

„Was wird die Presse wohl dazu sagen, wenn sie wissen, dass sich belastendes Material über das Kaiserhaus in deinem Besitz befindet – das wird die Liebesehe in ein völlig neues Licht rücken"

„Es ist dem Adel völlig klar, dass wir nicht aus Liebe geheiratet haben. Mama hat Camilla erwählt und damit eine gute Entscheidung getroffen"

Ich war Lavinias Wahl, nicht Novels, schoss mir durch den Kopf, und trotzdem hatte ich am Ende des Tages beide auf meiner Seite. Ich musste trotz der Situation lächeln. Pagets Wangen nahmen einen noch tieferen Rotton an während aus seinem restlichen Gesicht alle Farbe wich.

„Es ist vorbei, Papa. Dem Gedächtnis des Hofes wurde auf die Sprünge geholfen", stellte Novel ruhig klar. Mein Vater hatte Dokumente über Pagets Affären – von Grace Mutter über Bonnebelle und die Ministerin, bis hin zu der pummeligen Frau, die ihn hierher begleitete; aber auch Berichte über Mathews und Paget Politik, während des Kriegs in Malheur. Besonders über Lavinias Gefangenschaft. Ich hatte die Akte sicherheitshalber aus Italien mitgenommen und Grande Prince Nemours zur sicheren Verwahrung überlassen. Für unseren Rachefeldzug war sie perfekt.

„Ihr werdet nach Griechenland gehen. Camilla kann Euch in den nächsten Wochen feste Bande knüpfen, wenn Ihr nicht länger gegen uns arbeitet"

„Ich war immer auf deiner Seite, Novel"

„Es gibt nur mehr unsere Seite, Papa. Ich hoffe, dass Ihr Griechenland zu einem verlässlichen Handelspartner machen könnt"

Paget suchte am Tisch vergebens nach Unterstützung. Sein Blick blieb am längsten bei mir hängen und ich hielt erschrocken die Luft an und klammerte mich an Novels Hände, während ich seinem Blick standhielt.

„Du schickst mich also ins Exil?"

„Ich habe Mama versprochen, dass Ihr ein schönes Leben haben werdet – vielleicht irgendwann nicht mehr in Griechenland. Aber noch ist es zu früh, darüber zu sprechen"

„Als ich Lavinia zum ersten Mal gesehen habe, war sie noch ein halbes Kind"

Paget lächelte wehmütig und ließ seinen Blick einmal durch den Raum schweifen. „Ihre Liebe zu mir hat das Kind in ihr eine Weile geschützt. Als sie aus Malheur zurückkam, war sie abgehärtet, kälter und ängstlicher geworden. Das Bunte, Schöne in ihr, dass ich immer so verehrte, hatte einen tiefen Riss bekommen, genauso wie unsere Beziehung– in Wahrheit hatte sie mich viel früher verlassen, als ich sie"

Ich starrte Paget beklommen an. Das mochte seine Sicht der Dinge sein. Solange ich Lavinia kannte, war sie schön und vielleicht war sie nicht bunt, aber doch immer lebensfroh. Paget erhob sich schwerfällig. „Du liebst auch das Außergewöhnliche an Camilla – pass auf, dass sie es nie verliert"

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Novel

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Papas Warnung spuckte noch in meinem Kopf herum, während wir uns langsam auf den Weg zum Hafen machten. Leila und Camilla hatten die Köpfe zusammengesteckt und wenn ich die Augen schloss, konnte ich mir vorstellen, dass alles noch in Ordnung war. Dorian und Mama würden uns in einem Moment einholen und wir wären glücklich. Wehmütig starrte ich Camilla hinterher. Papa hatte nur zum Teil recht – natürlich liebte ich ihre Extravaganz, das Leuchten dass sie ausstrahlte und in das sie alle Menschen in ihrer Umgebung einschloss, aber ich kannte auch ihre Angst und ihr Vertrauen und so viele Aspekte an ihr, die Papa für immer verschlossen werden bleiben.

Ich war mir sicher, dass Camilla und ich nie so enden würden wie Mama und Papa, weil unsere Liebe stärker war. Sie war von unserer ersten Begegnung an ein kleiner Setzling und war besonders von Camilla immer gehegt worden, bis sie in den letzten Wochen zu einem massiven Baum heranwuchs.

„Nichts ist so wichtig, wie das es Ihrer Majestät gut geht", wiederholte ich und Gabrielle lächelte mich warm an, bevor er sich leicht verbeugte und nickte. Ich hatte ihn in den letzten Tagen bei jeder sich bietenden Gelegenheit daran erinnert, deshalb war seine Geduld beeindruckend. „Ihr werdet in wenigen Wochen nachkommen und selbst nach ihr sehen"

Ich erwiderte sein zuversichtliches Lächeln und schloss zu Camilla auf. Leila war bereits in Tränen aufgelöst und Avel zog sie tröstend in eine Umarmung. Ich hätte es bevorzugt, wenn zumindest George sie begleitet hätte, aber hatte noch Studien an der Universität abzuschließen. Seufzend beobachtete ich, wie sich meine Geschwister von Camilla verabschiedeten. Ich erinnerte mich noch gut, dass wir uns vor einem knappen Jahr ebenfalls von ihr verabschiedet hatten. Seitdem hatten wir Mama und Beth verloren und Papa gewonnen und wieder verjagt. Gott gebe, dass bis zu unserem nächsten Wiedersehen nicht so viel geschieht.

Camilla trat vor mich und ich drückte ihr liebevoll einen Kuss auf die Wange, dass sie erröten ließ. Das brachte mich zum Lachen. „Ich liebe dich", flüsterte sie und am liebsten hätte ich sie in eine feste Umarmung gezogen. „Und ich dich – daran wird sich nichts ändern", versprach ich, dass ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

„Ich warte auf dich"

„Und ich werde kommen"


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Kurze Anmerkung zum Stand der Dinge:

Damit sind wir am Ende dieses Teils angekommen. Es folgt in den nächsten Wochen noch ein Epilog (ich bin mir noch nicht ganz sicher ob ich ihn zwei oder dreiteile ;)

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