Novel
Ich hatte mich bei Mama für den nächsten Vormittag angekündigt, stand aber bereits im Morgengrauen auf. Mein Bettlaken waren von meinen Albträumen verschwitzt und ich wollte mir endlich die Beine vertreten.
Als ich in Mamas Audienzzimmer wartete, hatten mich mein wilder Ritt und das anschließende Bad bereits wieder müde gemacht. Aber ich wusste, welche Albträume mich heimsuchen würden, sollte ich dem Drang ins Bett zu gehen, nachgeben. Als mir Mamas Leibgarde die Tür öffnete, erblickte ich zuerst Papa, der sichtlich verstimmt an Mamas Schreibtisch lehnte. Ich versuchte mich zusammenzureißen, damit er nicht merkte, dass ich ihn verdächtigte. Ich hoffte das Papa glaubte, ich würde die Sache mit Dorian wieder ausgraben und die Ermittlungen Mamas Ministern überlassen. In Wahrheit überließ ich die Ermittlungen ihnen, da ich mir sicher war, dass Papa ohnehin alles so vertuscht hatte, dass ich es ihm nicht nachweisen konnte.
„Wie geht es dir mein Liebling?", fragte Mama besorgt und ich verdrehte die Augen, um zu verbergen, wie sehr mich die Frage beschämte. Ich sollte um Beth trauern und dabei weinen und mich schlecht fühlen. Aber anstelle war ich auf die ganze Welt zornig. Ich hasste mich selbst dafür, dass ich mich nicht deutlicher von Camilla distanziert hatte und den Rest meiner Familie, weil sie auf irgendeine Art und Weise in die Vorkommnisse verstrickt waren. In den besonders dunklen Momenten hasste ich auch Beth, weil sie so unvorsichtig war und am Ende den Glauben an uns aufgegeben hatte.
„Ich habe mit Camilla über die Korrespondenzen von Kenneths Bastard gesprochen", erklärte ich und Mama und zog ihre Augenbrauen hinauf. Mit Sicherheit war sie gut darüber informiert, dass ich meine restlichen Geschwister mied. „Sie hat mir erzählt, dass Ihr mit der Information über die Bezahlung eines Dieners etwas anfangen könntet. Was hat sie damit gemeint?", fragte ich und sah Mama scharf an. Es war offensichtlich, dass sie etwas vor uns vergeben wollte.
Anders als erwartet suchte sie allerdings Papas Blick. Hatte sie Dorian wirklich derart schnell ersetzt? „Ich habe den Diener bezahlt", erklärte Papa kurz und ich sah ihn erstaunt an. Warum gab er das zu? Mama wird ihm kaum anvertraut haben, dass sie mir von Paps Beteiligung in Comte Romanos Mord erzählt hatte. Fragend zog ich die Augenbrauen hoch.
„Warum habt Ihr Kenneths Bastard beschatten lassen? Ihr habt uns verlassen!
„Ich stand mit Dorian in Verbindung und wir beobachteten die Entwicklung seines Halbbruders mit Besorgnis. Deshalb beschlossen wir zu handeln"
Hatte er sich das auch gedacht, als er den Spanier auf Beth ansetzte. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. Meine Trumpfkarte hatte sich als wertlos herausgestellt, wenn Papa so bereitwillig zugab, in Comte Romanos Mord verwickelt gewesen zu sein. Dann würde ich wohl Mamas Unterstützung bauen müssen.
„Beth hat Euch bei einem dieser Besuche gesehen. Deshalb habt Ihr sie ermorden lassen", behauptete ich fest und sah Papa herausfordernd an. Mama Blick flog zwischen uns hin und her und ich konnte an ihren starren Augen erkennen, dass sie davon nicht gewusst hatte. Hustend wandte sie sich ab und unterbrach mein Blickduell mit Papa.
„Nein, mein Liebling, so war es nicht", erwiderte Mama schwach aber ich hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme und wünschte sofort, ich hätte das Thema in Papas Anwesenheit gar nicht erst angeschnitten. „Die Zeitung kam mit der Geschichte auf uns zu, weil Étienne zu wenig wusste und weil sie uns insgeheim warnen wollten", Papas Lippen zuckten verdächtig bei dem Gedanken, dass man ihn wieder so wichtig nahm, „Wir haben verhandelt und das Schlimmste herausgehalten. Wir rechneten nicht mit einer so harschen Reaktion" Ich ballte meine Hände abwechselnd zu Fäusten – nicht gleichzeitig, sonst wäre ich noch auf Papa losgegangen. Vielleicht wären die Wellen nicht so hochgeschlagen, wenn Beth sich an diesem Tag nicht gezeigt hätte.
Er hatte eine Eskalation provoziert, damit Beths Ruf geschädigt war und ihr niemand die Wahrheit über ihn glaubte. Papa hatte gewonnen – Dorian war endgültig fort und Beth tot. Es hatte keinen Sinn mehr gegen ihn anzukämpfen.
„Es tut mir so leid, Novel", entschuldigte sich Mama bestürzt und ich wandte mich von ihren feuchten Augen ab. Sie hatte es gewusst und Beth genauso wenig geschützt wie er. Zornig wandte ich mich ab. Gerade sie müsste wissen, dass Papa nicht zu trauen war.
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Historical FictionDorians Flucht reißt nicht nur Lavinia den Boden unter den Füßen weg, sondern auch ihren Kindern, die mittlerweile zu jungen Erwachsenen herangewachsen waren. Novels vom Militär abgehärtete Seele vertraut sich erstmals einer italienischen Gräfin...