Kapitel 1

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Ein halbes Jahr später ...

Beth

Lavinia Manches war die mächtigste Frau dieses Landes. Bis jetzt dachte ich auch, dass sie die Freundlichste wäre, aber ihr strenger Blick sagte mir etwas völlig anderes. Novel hauchte ihr gerade einen Kuss auf die Hand und versuchte es mit seinem charmantesten Lächeln. Aber die Stimmung blieb frostig. Ich konnte die Blicke ihres Hofstaates auf mir fühlen und wäre am liebsten davon gelaufen.

Es verstrichen weitere endlose Sekunden, in der sich Mutter und Sohn lediglich anstarrten, bevor mir Ihre Majestät die Hand reichte. „Gräfin", war das Einzige, dass sie sagte und ihr Tonfall war schwer zu deuten. Zwischen sehr verärgert und ziemlich verunsichert. „Lasst uns alleine", fuhr sie schließlich an ihren Hofstaat gewandt fort. Ihre Hofdamen zogen mit rauschenden Röcken ab. Ihre Schultern entspannten sich ein wenig.

„Du hast uns vor der Nachspeise unterbrochen", durchbrach seine Mutter das Schweigen. Novel lachte auf und drückte erneut einen Kuss auf ihre Hand. Endlich erweichte sich ihre Miene. „Mein Liebling ...", flüsterte sie schließlich und Novel rang sich ein Lächeln ab. Ich wusste, dass er diesen Spitznamen hasste. Immerhin war er der Thronfolge und fühlte sich in seiner Würde beleidigt.

„Dürfen Elisabeth und ich Euch Gesellschaft leisten, Mama?" – „Natürlich"

Novel griff nach meiner Hand und zog mich hinter seiner Mutter her. Am liebsten hätte ich mich jetzt verabschiedet. Als die Saalhüter die Türen des grünen Salons hinter uns schlossen, fühlte ich mich wie ein Eindringling. Ich wusste, dass sie hier nur den innersten Kreis hereinließ. Den sie widererwarten klein hielt. Also war es umso besonderer, dass ich hier stand. Die Wände waren mit einer ganz hellen, grünen Seidentapete mit silbernen Ornamenten tapeziert. Passend dazu gab es einige Sitzgruppen in einem dunkleren Grün mit hellem Holz. Vorsichtig fuhr ich über das edle Material. Dasselbe wurde auch am runden Tisch verwendet, auf dem ich neben Novel platz nahm. Die Augen seiner Mutter hatten sich verändert. Vor einigen Monaten hatte ich sie auf einem Hofball kurz näher betrachten können. Ihre Augen waren hell gewesen und ihre Rundungen füllten die prächtige Robe aus.

Das schlichtere, dunkelrote Kleid das sie heute trug, konnte ihren erneuten Gewichtsverlust kaum kaschieren. Ich wandte eilig den Blick ab, als sie herausfordernd die Augenbrauen hochzog. Sie hatte sich eindeutig verändert. „Verzeiht, Mama. Ich dachte, Ihr hättet den Lunch bereits beendet" – „Wir begannen später. Der Ministerrat ..." Ihre Stimme versagte für einen Moment und sie zuckte hilflos mit den Schultern. Novel versteifte sich neben mir und ich griff unter dem Tisch nach seiner Hand. Sofort lächelte er. Ich beteiligte mich nicht sonderlich gerne am Hoftratsch, aber selbst ich habe mitbekommen, dass seit der Flucht des Erzherzogs dicke Luft zwischen der Kaiserin und ihren Ministern herrscht. Vor allem, wenn es Comtesse Camilla Romano ging.

„Ich habe gehört Ihr reitet sehr gerne", wandte sie sich an mich und ihr Blick richtete sich direkt auf mich. Sofort fühlte ich mich unwohl und verkrallte meine freie in meinem Kleid. Als würden ihre Augen einen direkten Weg in meine Seele kennen. „Ja, Majestät", brachte ich hervor und sah unsicher zu Novel. Der mich nur stumm anlächelte. Vielleicht verliefen die Gespräche hier immer so. „Mein Vater schenkte mir meine erste Stute, da war ich erst fünf. Meine Mama verbat mir das reiten, bis ich sieben war, aber ich verbrachte trotzdem jede freie Minute mit ihr" Etwas blitzte in ihren Augen auf. Vielleicht eine Erinnerung? Aber so schnell wie es gekommen war, verschwand es auch wieder.

Die Diener deckten den Tisch in Rekordgeschwindigkeit und sobald die Nachspeise aufgetragen wurde, fielen wir in einvernehmliches Schweigen. Während ich meinen Kuchen nervös von einer Seite des Tellers zur anderen schob, aßen Novel und seine Mutter auf. Bei Novel wunderte mich nichts mehr, aber die Kaiserin sah viel zu dünn aus um Kuchen zu essen.

„Bei welchem Gang haben wir Euch unterbrochen, Mama?"

„Das ist nicht wichtig, Novel"

„Mama!"

Ich fuhr zusammen, als er die Stimme erhob. Die Kaiserin zog ihre Augenbrauen in die Höhe. Als sei dies auch ein ganz normales Tischgespräch. „Ihr esst schon wieder nicht", stellte Novel fest und ich zog meine Augenbrauen zusammen. Was hatte er? Den Kuchen hatte sie doch ratzeputz verspeist. Aber ihre Schultern waren bei diesem Thema nach unten gesackt. Als Novel seinen forschenden Blick nicht von ihr löste, erhob sie sich. „Lass es gut sein, mein Liebling", murmelte sie und zog den Vorhang ein Stück zur Seite, um einen Blick auf die kaiserlichen Gärten zu erhaschen. Das löste ihre Anspannung ein wenig.

„Elisabeth und ich wollte heute Abend ausreiten. Begleitet Ihr uns?"

Ich hatte die Lippen fest aufeinander gepresst, als wir den Salon verließen und mich Novel zurück in meine Räume begleitet. Wie konnte er nur seine Mutter zu unserem Ausritt einladen? Noch dazu, wo er gestern gesagt hatte, er hätte heute keine Zeit! Er schloss die Tür mit Bedacht hinter sich, als wüsste er, dass er mich verärgert hatte. Mit Sicherheit wusste er es!

„Sie mag mich nicht, Novel! Wieso zwingst du mich, dann noch mehr Zeit mit ihr zu verbringen?", fuhr ich ihn und verschränkte wütend die Arme vor mir. „Du irrst dich, Beth", er löste meine Arme voneinander und legte sie sich selbst an die Hüfte. „Mama wird dich mögen. Sie hatte ... ein paar schwere Tage, naja, wohl eher Wochen. Deshalb braucht sie jetzt ein bisschen ungezwungen Gesellschaft" versuchte er mich zu beruhigen und hielt meine Hände an seiner Hüfte fest, als ich mich losreißen wollte. „Ich bin aber nicht ungezwungen in ihrer Gesellschaft" – „Deshalb kommt auch Tante Gwen mit" Ich zog überrascht die Augenbrauen nach oben. Wie lange hatte er das schon geplant, wenn er sogar die Grande Duchesse Nemours her zitiert hatte?

„Ich möchte mich deiner Mutter aber nicht aufdrängen, wenn es ihr sowieso nicht gut geht", startete ich einen neuen Versuch. Diplomatischer konnte ich ihn von dieser Idee nicht abbringen. „Sie ist die Kaiserin, Beth", mahnte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, „Ihr geht es niemals nicht gut, und wenn sie dich nicht interessant fände, hätte sie uns nicht zur Nachspeise gebeten" – „Zur Nachspeise in den grünen Salon" Novel war schon halb durch die Tür, aber drehte sich überrascht um. „Was ist denn an diesem Zimmer so besonders?", fragte er und ich lachte auf. Konnte es wahr sein, dass er hier groß geworden ist und niemals bemerkt hat, dass jeder einen Blick in diesen Raum erhaschen wollte?

„Wenn man von Ihrer Majestät in den grünen Salon gebeten wird, gilt man als in den inneren Kreis aufgenommen. Zumindest in den Augen der Hofgesellschaft"

„Wirklich?"

„Aber ja"

Lachend schüttelte er den Kopf und murmelteetwas von eigenartigen Leuten, bevor er nochmal zu mir ging und mir einen Kussauf den Scheitel drückte. „Ich liebe dich, Elisabeth", flüsterte er und ich sahüberrascht auf. Sein Blick war plötzlich ganz ernst, als er mir über die Wangestrich. „Jetzt, wo der Hof glaubt, du gehörst zu Mamas innerem Kreis, musst dumit auf den Ausritt" – „Natürlich begleite ich dich" Als er mit einem Grinsendurch die Tür trat, begann ich ihn sofort zu vermissen. Auch wenn es lächerlichwar, da ich ihm am Abend wiedersehen konnte.

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