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Novel
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Ich war bisher noch nie in einem Land gewesen, wo ich nicht zumindest den Sinn der Tageszeitung begriff. Man hatte Camilla eine Ausgabe in ihren Salon gebracht, aber ich wurde aus den Schriftzeichen nicht schlau. Unruhig tigerte ich auf und ab und versuchte dabei so wenig Lärm wie möglich zu machen. Ich wollte, dass Camilla sich ausruhte - besonders, da wir gestern die halbe Nacht nicht geschlafen hatten. Obwohl ich selbst die Müdigkeit spürte, konnte ich nicht länger im Bett bleiben. Mir schwirrten so viele Gedanken durch den Kopf und ich hatte das dringende Bedürfnis Anweisungen zu erteilen, aber ich wusste bei Gott nicht, wie ich mich darauf vorbereiten sollte, Vater zu werden.
Vor allem, sollte es ein Junge werden. Dann würde der Adel erwarten, dass ich ihm dem Militär überlasse und so wie die Dinge standen, kam das für mich nicht infrage.
Verärgert beobachtete ich, wie sich die Türklinke leise nach unten bewegte und kurz darauf die Tür einen Spalt geöffnet wurde. Camillas neue Sprachlehrerin schob sich leise durch den Türspalt, erstarrte aber in ihrer Bewegung, als sie meinem Blick begegnet. Was hatte sie um diese Uhrzeit in Camillas Räumen zu suchen? Mehrere Sekunden starrte sie mich verlegen an, bevor sie ungeschickt vor mir auf die Knie sank. Widerwillig trat ich auf sie zu. Immerhin war sie die Tochter meines neuen Verbündeten.
„Prinzessin", begrüßte ich sie und verstummte anschließend, da ich mir nicht sicher war, wie ich darauf reagieren sollte, dass sie inmitten unserer Räume stand. „Bitte entschuldigt, Majestät", sie starrte betreten auf den Boden und schien genauso nach Worten zu suchen, wie ich selbst.
„Ihre Majestät schläft noch", sprach ich das offensichtliche aus, worauf sie langsam nickte. „Ja ... natürlich. Ich wollte nach ihr sehen, weil sie ansonsten immer als Erste auf den Beinen ist", erklärte sie und lächelte mich schief an. Noch bevor ich sie zurechtweißen konnte, dass sie über Camilla als Ihre Majestät zu sprechen hatte, öffnete sich unsere Schlafzimmertür.
Camilla hatte ihre dichten Haare zu einem Zopf zusammengefasst, der ihr den halben Rücken hinunterfiel. Anscheinend hatte sie uns gehört, denn sie trug nur ihren seidenen Morgenrock und noch keine Schuhe.
„Guten Morgen", begrüßte sie uns, ließ mich aber keinen Augenblick aus den Augen. Sie schien in meinem Gesicht nach einer Erklärung für diese eigenartige Situation zu suchen. Ich ergriff die Initiative und schritt eilig auf sie zu. Lächelnd drückte sie einen Kuss auf meine Wange und ich strich ihr kurz liebevoll durchs Haar. „Bitte entschuldigt, dass ich das Frühstück verpasst habe, Estia", wandte sie sich an ihre Freundin, die hastig nickte. Es sei ihr auch geraten, Camilla nun keine Vorwürfe zu machen.
„Ich würde den freien Vormittag gerne nutzen um mit Seiner Majestät einen Spaziergang am Strand zu machen. Könntet Ihr Leutnant Gabrielle unterrichten?"
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Fasziniert beobachtete ich, wie Camilla aus einem lockeren Ring von Soldaten umgeben neben mir über den Strand schlendert. Die Situation wäre eigenartig, hätte uns nicht der gesamte Haushalt begleitet. Camilla lächelte mich entschuldigend an, als ich sich ihre Hofdamen unter die Dienstboten und Kinder des Hauses mischten. Das Großfürstenpaar war nicht hier, aber Camilla stellte mir noch einige andere Adelige vor, die ebenfalls zu Gast waren und Camilla anscheinend jeden Tag begleiteten.
Die Soldaten wechselten sich immer wieder ab, einige von ihnen liefen zum Meer hinunter, während andere wieder heraufkamen und sich in den lockeren Ring eingliederten. Mich hätte das Chaos in dieser Situation gestört, wäre mir nicht aufgefallen, dass die Soldaten ihre Aufgabe sehr ernst waren. Der Strand war breit und wir befanden uns am oberen Ende davon, ein Stück entfernt vom Meer und den Angestellten, die sich näher am Wasser aufhielten. In dem Zwischenraum näherte sich plötzlich ein Fußgänger aus entgegengesetzter Richtung und sofort löst sich einer der Soldaten aus dem Ring und ging auf ihn zu. Die Stimmung hatte sich merklich angespannt – auch die Soldaten am Strand hielten inne und wandten sich gespannt um – selbst jene Männer unter ihnen, die keine Uniform trugen waren in Alarmbereitschaft.
Fragend wandte ich zu Gabrielle um, der nur ungern den Blick von dem ungebetenen Besucher abwandte. „Es ist wahrscheinlich nichts, Majestät", beruhigte mich Gabrielle sofort, dass mich schief lächeln ließ, „Aber wir nehmen Eure Bitte, gut auf Ihre Majestät zu achten sehr ernst" Gabrielle trat im selben Moment wieder zurück um sich dem Soldaten zuzuwenden, der direkt auf ihn zusteuernd. Einen Moment später nickte er mir beruhigend zu.
„Die Stimmung ist hier unter der Oberfläche immer angespannt", flüsterte Camilla in mein Ohr und ich sah sie überrascht an. Diese Vorstellung passte überhaupt nicht in das Bild, das sich mir gerade bot.
„Majestät", Estia hatte zu uns aufgeholt und ich musste mir Mühe geben, nicht das Gesicht zu verziehen. Sie schien Camilla zum Mittelpunkt ihrer Welt auserkoren zu haben. „Wir haben Picknickdecken mit, Majestät. Es wäre am besten, wenn wir uns setzen", redete sie bestimmt auf meine Frau ein, worauf Camilla widerwillig nickte. Estia wandte sich sofort ab. Ich folgte Camillas Blick, die ihn einmal über die Küste schweifen ließ. Aber ich erkannte keine Gefahr, wusste nicht, warum plötzlich alle so angespannt waren.
„Machst du diese Spaziergänge oft?", fragte ich interessiert nach und Camilla nickte begeistert. „Ich liebe diese unendlich lange Küste und den weichen Sand" – „Erinnert er dich an zuhause?" – „Zuhause? Ich habe in Bonheur noch keinen Sandstrand gefunden" Camilla runzelte verwirrt die Stirn, bevor sie amüsiert auflachte. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und drückte ihr einen Kuss auf ihre in Falten gelegte Stirn.
„Ich sprach von Italien" – „Du bist mein zuhause, Novel" Mein Lippen verzogen sich unwillkürlich zu einem Lächeln und meine Brust wurde von solcher Wärme durchströmt, dass ich für einen Moment das Bedürfnis hatte, die ganze Welt zu umarmen. Anstelle half ich Camilla, sich auf die grün-blaue Decke zu setzen. Sie streckte ihre Glieder und lächelte mich warm an.
„Können wir einige der Termine in den nächsten Tagen streichen?", fragte ich Camilla, die erneut die Stirn runzelt, aber schließlich nickte. Zögerlich legte ich einen Arm um sie und sie reagierte sofort auf die Berührung und legte ihren Kopf auf meine Schulter. „Ich werde Estia Bescheid geben, dass sie uns bei einigen Empfängen entschuldigen soll" – „Ich will dich für eine Weile für mich haben, Cam" Meine Frau hob ihren Kopf mit einem wissenden Lächeln und gab mir einen Stups auf die Nase.
„Mein restliches Leben gehört dir, Novel"
„Versprochen?"
„Versprochen"
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Historical FictionDorians Flucht reißt nicht nur Lavinia den Boden unter den Füßen weg, sondern auch ihren Kindern, die mittlerweile zu jungen Erwachsenen herangewachsen waren. Novels vom Militär abgehärtete Seele vertraut sich erstmals einer italienischen Gräfin...