Kapitel 13
Violet starrte in den Spiegel, der in Sofias Salon hing und fragte sich, wie schon dutzende Male zuvor, was nun aus ihr werden sollte. Sie fühlte sich wie eine Schachfigur, die nach Wahl hin und her geschoben wurde und trotz aller Versuche, sich davon zu lösen, klebte diese Machtlosigkeit an ihr, wie ein unliebsamer Kaugummi. Und nun war sie plötzlich eine Königin.
In ihrem Kopf war eine Königin alles andere als Machtlos, sie war anmutig und selbstbewusst und keine traurige, ironisch, bittere Figur in einem Spiel, wo sie weder die Regeln, noch die Spieler kannte. Und vor allem stand eine Königin nicht vor einem Salon-spiegel und bemitleidete sich selbst und fühlte sich hilfloser als zuvor.
Das musste aufhören, dringend. Aber immer, wenn sie es versuchte, sich daraus zu befreien, lief sie scheinbar gegen eine Mauer. Eine Mauer die meistens den Namen „Nicolas" trug.
Es war entwürdigend, dass sie sich tatsächlich in ihn verliebt hatte und er das dafür benutzte, sie quasi zu besitzen. Warum hing sie eigentlich so sehr an ihm? Ja, er hatte ihr den ersten Jahren ihrer Existenz geholfen, aber seit ihr Vater gestorben war und sie sich ihm und seiner Führung mehr oder weniger Unterworfen hatte, war alles nur noch schlimmer geworden.
Er hatte ihre Unwissenheit, ihre wenige Erfahrung und ihre Einsamkeit gegen sie benutzt, um ihr die Kraft zu nehmen, sich selbst ein Leben aufzubauen. Dabei war sie sich damals, in ihrer Wohnung mit ihren schlecht bezahlten Job, so selbstständig vorgekommen. Jetzt war sie eine Gefangene in einem Glaskasten.
Nicolas war kein guter Mann und wenn sie nur halbwegs Selbstachtung vor sich hatte, würde sie diese Gelegenheit nutzen, um ihn ein für alle Mal loszulassen. Sollte er doch in seinem Labyrinth aus Flüchen und Kuriositäten verrotten!
„Worüber denkst du nach?", fragte Sofia hinter ihr und reichte ihr dabei ein Glas, in dem eine dunkelrote Flüssigkeit schwamm. Sie mochte kein Blut aus dem Glas, sie nahm es lieber aus der Quelle, aber wahrscheinlich sollte sie zufrieden sein, überhaupt etwas zu bekommen, denn Vampire empfanden es, als Sakrileg von anderen Vampiren zu trinken. Und Menschenblut vertrug sie einfach nicht.
Als nahm Violet das Glas entgegen und schnupperte daran. Es roch nach Sofia und als ihr Blick auf das zarte Handgelenk von Nicolas Schwester fiel, sah sie noch den letzten Überbleibsel einer Wunde.
„Wie es mit mir weiter gehen soll. Ich hab es satt mich herumschieben zu lassen", sagte sie entschlossen und war fast beleidigt, als Sofia darauf hin ein kleines Kichern entwich. Was genau war so lustig an ihren Worten?
„Du wärst überrascht, wie wenig dieser Eindruck tatsächlich stimmt", sagte sie nur und ließ sich auf eine der bequemen Couchs in dem Salon fallen.
In diesem Haus, oder besser: in diesem Anwesen, war es wesentlich freundlicher und aufgeräumter als in Nicolas Behausungen. Hier gab es keine Bücher die im Weg herumstanden oder gruselige Dinge in Gläsern, die in Regalen verstaubten, die bis unter die Decke reichten. Die herrschaftliche Einrichtung war alles andere als Modern, sondern wohl irgendwo in den Zeiten des Unabhängigkeitskrieges stecken geblieben, wirkte aber dennoch nicht altmodisch. An einer Wand sah sie einen großen Flachbildschirm und auf einem Beistelltisch lag ein Tablett, das an einem Ladekabel hing.
„Nach dem Tod meines Vaters, hat Nicolas mich aufgelesen und quasi eingesperrt. Erst in seiner Kellerwohnung und nun in seinem Labyrinth des Grauens. Er hat meine Neugierde und fast zwanghafte suche nach Antworten, gegen mich eingesetzt, um mich an sich zu binden." stieß Violet hervor und setzte sich in den Sessel gegenüber der Vampirin vor ihr.
„Das stimmt wohl. Er ist Sammler und behält Dinge bei sich, die er als Wertvoll betrachtet. Dennoch hat er doch auch beschützt. Du kennst die Welt nicht, aus Vampir-Perspektive, aber du hast kurze Einblicke darüber erhalten wie grausam diese ist. Schwache Vampire sind darin nichts weiter als Opfer und Spielbälle der Mächtigen. Du brauchst seinen Schutz, auch jetzt noch. Vielleicht sogar gerade jetzt, den, wenn ich eins und eins zusammen zählen konnte, dann auch Re. Obwohl du so besonders ist, hat dich Nicolas immer wieder Blicke in diese Welt erhaschen lassen, wo die Mächtigen sich aus purer langweile an den Schwachen vergehen. Du hast mehr gesehen, als ich meinen ersten zehn Jahren, als Vampirin. Die meisten frisch Erschaffenden werden erst einmal versteckt gehalten, bis man weiß, ob sie macht aufbauen und wenn: Wie schnell und wie viel. Ich hab in meinen ersten Jahrzehnten kaum einen Schritt vor die Tür gemacht. Zu meiner eigenen Sicherheit. Und für deine Unwissenheit kann mein Bruder nichts, er hat doch selbst kaum antworten darauf, was du bist und was aus dir wird. Niemand hatte das, bis vor ein paar Tagen."
Ein paar Tage?
Violet ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen und wollte noch Nicolas perverse Obsession anbringen, die ihn dazu verleitete hatte, ihren tot-geglaubten Körper in sein Bett zu legen, ihr die Haare zu kämmen und ihr die Fingernägel zu machen, um sie weiter schön zu halten. Und was er sonst noch mit ihr getan hatte....das versuchte sie zu verdrängen. Doch das blieb ihr im Hals stecken, als ihr plötzlich klar wurde, dass Sofia von ihr wusste und nicht überrascht war, als sie sich als Königin outete. Und Re würde es wohl auch nicht sein. Aber wieso?
„Was ist vor ein paar Tagen passiert, dass du mir glaubst und kaum verwundert warst, dass ich am Leben und eine Königin bin?"
Dabei grinste Sofia wieder und tippte mit einem Finger auf die Kette um ihren Hals. Eine DeuxMacina, die angeblich mit ihrem Flüstern Leute in den Wahnsinn treibt, aber nach Sofias früheren Aussagen, ziemlich still war und wenn, hatte man kaum etwas verstehen können.
„Sie reden. Und zwar alle. Selbst Gegenstände, die man nie als DeuxMacina wahrgenommen haben, scheinen aus eine Art Winterschlaf erwacht zu sein und sie quatschen wie Wasserfälle. Die meisten in toten Sprachen, aber andere, wie meine Kette, scheinen durch die Zeit hinweg geläufige Sprache gelernt zu haben und je nachdem wie wohlgesonnen sie den Leuten um sie herum sind. Erzählen sie viel oder wenig." Violet betrachtete das Malus, dass sie auf einer Kommode an der Seite lag und so harmlos wirkte, wie jeder andere älterer Schinken. Es hatte vor hin fast schon fröhlich ein altes Gedicht über Tod und Krieg rezitiert, schwieg aber momentan.
Dafür kribbelten die eigentlich verblassten Schriftzeichen auf ihrer Haut, als würden die ihr ebenfalls etwas sagen wollen und sie konnte es nur nicht erfassen.
Beta: noch nicht
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Nicolas (Bd.2)
Vampire(Update jeden Dienstag) Nicolas ist dem Wahnsinn verfallen und trauert um Violet ohne wirklich wahrhaben zu wollen, dass sie tatsächlich Tot sein soll. Als eine mysteriöse Frau, die große Ähnlichkeiten mit Violet hat, auftaucht und ihm verspricht si...