verdrehte Wahrheit - Teil 2

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Kapitel 46

Nicolas

Er wartete darauf, dass die Kratzer auf seinem Gesicht sich wieder schlossen und blickte dann Re entgegen, der nicht einmal versucht hatte, ihn wirklich umzubringen. Als würde er trotz all dem, was vorgefallen war immer noch zögern. Interessant. Noch vor wenigen Tagen hatte Re sich dazu entschlossen ihn zu töten und es sogar geschafft, aber jetzt zögerte er erneut.

"Wie hast du das damals überlebt? Sie hat dich Jahrzehnte lang gefoltert und dennoch hast du es geschafft ihr zu entkommen und warst trotz all der Tortur sogar noch klar bei Verstand." fragte Re und Nicolas betrachtete seinen Erschaffer, als wäre er geisteskrank geworden.

Hatte Re das wirklich vergessen? War er so alt geworden, dass er all das, was damals geschehen war verdrängt hatte?

"Sie wollte mich nicht töten, nur foltern. Deinetwegen. Sie wollte dich damit treffen. Mich zu töten hätte keinen Sinn gemacht", meinte Nicolas und Re grinste.

"Du törichter Junge. Du warst nicht der Erste meiner Erschaffenen, die sie entführt hatte und sie hat alle getötet. Alle. Es war einer ihrer perversen Vergnügungen auf meine Geschöpfe jagt zu machen und sie ein wenig zu drangsalieren, bevor sie sie umbringt. Aber umgebracht hat sie bis jetzt alle. Immer. Dann kamst du und sie hat dich länger gefoltert als jeden anderen. Hat dich am Leben gehalten als jeden anderen. Sie hat sogar mich darüber hinaus vergessen. Mich und ihre Rache an mir. Ich hielt dich für tot. Doch dann kamst du wieder. Du warst ihr nicht nur entkommen, sondern hast sie auch noch selbst getötet. Es war mir schon immer ein Rätsel gewesen, warum es bei dir so anders lief. Warum immer alles bei dir anders zu laufen schien.", meinte Re und Nicolas antwortete darauf so wahrheitsgetreu, wie er immer darauf geantwortet hatte.

"Ich erinnere mich nicht. Nicht ganz. Daran hat sich nie etwas geändert. Was spielt es auch für eine Rolle? Ich war wahnsinnig vor Schmerz, ich habe mich befreien und sie töten können. Ich bin entkommen", erwiderte er und Re nickte. Weil er diese Diskussion leid war. Das was damals geschah hatte nichts mit dem zu tun, was hier gerade passierte.

"Ja. Das bist du. Du bist immer allem entkommen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich dich damals fand. Als Mensch. Du hattest gerade deine Frau verloren. An einer Seuche, die alle Bewohner dahingerafft hatte. Bis auf dich. Du hattest nicht mal einen verdammten husten. Ich habe sofort gewusst, dass du etwas Besonderes bist, deshalb habe ich dich verwandelt. Und dafür, dass ich selbst recht wenige Jahrhundert alt war, bist du mir von Anfang an extrem gut gelungen. Erinnere dich daran, was aus deinen anderen Geschwistern geworden ist. Erst Jahrhunderte nach deiner Erschaffung war ich so gut geworden, noch eine Vampirin zu erschaffen. Sophie. Und sogar sie hatte einige Macken. Aber du warst tadellos. Und dein Blut damals...köstlich. So hatte noch nie ein Mensch geschmeckt. Es war als würde man von der Quelle selbst trinken."

langsam verstand Nicolas, was Re damit andeuten wollte und alleine die Vorstellung war albern.

Er war nicht wie Violet. Er konnte nicht wie sie sein. Er war kein König. Es hatte nie einen männlichen König gegeben und selbst wenn: Re jagte doch Königinnen, er hätte es doch erkannt und von Anfang an gewusst. Warum hätte Re ihn dann am Leben lassen sollen, wenn er ihn doch für einen König hielt-

"Das ist lächerlich." erwiderte Nicolas und schüttelte den Kopf. Re selbst hatte ihn erschaffen, er konnte kein König sein! Die müssten doch genauso wie Königinnen geboren werden, oder?

"Du hast den Verstand verloren. Es wird Zeit, dass ich dir und der anderen Königin da drinnen Ende bereite!" entschied Nicolas und wollte wieder nach ihm schlagen, aber da war Re wieder weit von ihm entfernt und lächelte ihn an.

An den Fingern seines Erschaffers hingen noch immer Blutstropfen von Nicolas und plötzlich erinnerte er sich daran, dass es verboten war das Blut eines anderen Vampirs zu trinken und dennoch heimlich getan wurde. Vor allem bei Paaren.

Aber Re hatte davon nie viel gehalten. Jetzt aber schob er sich einen seiner Finger in den Mund und kostete von Nicolas.

Genießerisch schloss Re die Augen und öffnete sie dann wieder, ohne ihm mitzuteilen, was er da geschmeckt hatte.

"Es gibt keine Aufzeichnungen über Könige. Alle Quellen der Unsterblichkeit waren stets weiblich. Bis auf eine. Die Erste. Da gab es zwei. Sie waren der Anfang von allem. Gleichzeitig erschaffen. Ebenbürtig. So heißt es", begann Re und Nicolas schnaufte.

Beim letzten Wort musste er sogar lachen. Ebenbürtig? Violet und er waren viel, aber nie ebenbürtig gewesen. Nie.

Er war mächtiger als sie und wenn ihre Kraft mit dem Alter anstieg, würde sie irgendwann mächtiger als er sein. Von Ebenbürtigkeit konnte da absolut keine Rede sein! Alberne Legenden, Sagen und Erzählungen. Einige stimmten vielleicht, andere waren absoluter Humbug. Aber sollte Re ruhig an all das glauben und seine Schnitzeljagd weiter verfolgen. Nicolas hatte Besseres zu tun, als dazustehen und über Rätsel zu lamentieren, die nicht zu lösen waren.

Er griff Re erneut an, diesmal ausdauernder und mit dem direkten Einsatz von Feuer, dem Re aus dem Weg ging.

Er traf nicht, aber das war auch nicht Nicolas Plan gewesen, er sorgte lediglich dafür, dass Re zu sehr damit beschäftigt war ihm auszuweichen, als darauf zu achten, dass er weiter diesen Transporter schützen konnte.

Es funktionierte, Re wicht weiter zurück und dann wandte sich Nicolas von ihm ab. So schnell, dass selbst Re einige Sekunden brauchte, um zu verstehen, was Nicolas da eigentlich getan hatte.

Und mehr brauchte Nicolas nicht. Er erreichte das Fahrzeug, riss die Türen des Transporters regelrecht aus den Angeln und warf es in Res Richtung, um sich noch einmal einige Sekunde zu erstellen. Dann wandte er sich an die Kreatur, die vor seinem geistigen Auge aufleuchtete wie eine Leuchtreklame.

Doch anstatt eine gefesselte Frau vorzufinden, sah Nicolas nur eine Kiste. Eine Kiste aus Glas, die an Schläuchen hing.

Eine Kiste, in der eine grünliche Flüssigkeit schwamm und darin etwas, was man als Frauentorso identifizieren konnte. Sofern man dieses Stück, verwesende Leiche überhaupt als irgendetwas bezeichnen konnte.

Es war nicht tot, hatte zerfledderte Haut, an den Stumpfen, an denen mal Arme und Beine gewesen waren, hingen gräuliche Fleischfetzen. Doch der Kopf war noch dran und aus diesem starrten ihm zwei azurblaue Augen entgegen, die so viel Leid offenbarten, dass es selbst Nicolas nicht kaltließ.

Sie war eine Königin und sie war nicht mehr als ein Stück Fleisch, das sich nichts weiter wünschte, als endlich sterben zu können. Re hatte es geschafft dafür zu sorgen, dass diese Königin keine Chance hatte ihm zu entkommen, egal wie mächtig sie einmal werden würde. Und als Nicolas dieses bedauernswerte Geschöpf betrachtete, dachte er darüber nach, ob so auch Violet enden würde.

Ob er ihr das antun könnte, nur um sie zu behalten. Um sie davon abzuhalten, ihn zu verlassen. Ob das seine Art der Liebe war.

 Ob das seine Art der Liebe war

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Nicolas (Bd.2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt