Geschwister

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Kapitel 10

Violet hatte einmal mehr keine Ahnung, was sie mit sich anfangen sollte. So langsam aber sicher glaubte sie hier vor Langeweile durchzudrehen und die Tatsache, dass sie dagegen Machtlos zu sein Schein, verstärkte das Gefühl nur noch. Sie hatte es so satt, keine Kontrolle über ihr Leben zu haben, darauf warten zu müssen, das Nicolas ihr irgendeinen Krümel Informationen zuwarf und sich dazu herabließ, sie endlich nicht mehr wie eine - ja, was eigentlich? Ein Spielzeug? Eine Marionette? - zu behandeln? Am liebsten hätte sie geschrien. Laut und Schrill, damit sich – was auch immer sich hier aufhielt – von ihr fernhielt.

Sie sollte einen Ausweg finden, sich versuchen zu retten, aber der Gedanke ihn zu Verlassen schreckte sie ebenso ab, wie der Gedanke, bei ihm zu bleiben. Es war zum Wahnsinnig werden.

Als sie verzweifelter den je die Augen schloss und versuchte, all die Merkwürdigkeiten in ihrem Leben zu verdrängen, hörte sie ein surrendes Geräusch von sich, und fuhr aus dem Sessel auf, als sie die Augen wieder öffnete und das Malus auf ihren Schoß wiederfand. Dieses kleine, wahnsinnige Buch, hatte ihr gerade noch gefehlt es.

>>Ich gebe dir die Antworten, die du brauchst<< säuselte es plötzlich und Violet hielt den Atem an. Hatte es da etwa gerade mit ihr gesprochen? Die Stimme, die sie hörte, war definitiv nicht dieselbe, die sie sonst von Malus wahrgenommen hatte – obwohl man das, was sie da sonst vernommen hatte, nicht als Stimme bezeichnen konnte. Es waren Schreie gewesen, Geräusche, einfach Lärm und nun...ihre Haut leuchtete. Fasziniert sah Violet dabei zu wie die Symbole auf ihrer Haut, die meistens kaum sichtbar waren, wieder begannen zu leuchten und das Malus schnurrte geradezu.

>>Ich gehöre dir, meine Königin. Ich bin deines, wie wir alle dir gehören. Du bist erwacht.<<

Violet verzog das Gesicht und machte ein Schritt von dem Buch, das Menschenhaut beschrieb und sich dann einverleibte, weg. Sie wäre verrückt diesem Ding zu vertrauen, sie wäre verrückt, es anzufassen oder auch nur zu lange mit ihm in diesen Raum zu sein. Und sollte es nicht in irgendeiner Vitrine liegen und tot sein?

>>Ich musste dich Testen, dich schmecken, warten, bist du mich verstehen kannst. Ich hab dir meine Sprache geschenkt. Unsere Sprache. Jetzt verstehst du uns, benutzt uns. Wir sind dein.<< sprach es weiter als würde es ihre Gedanken lesen können.

>>Lesen, ja. Ich kann lesen. Die Worte auf deiner Haut, in deinem Kopf.<<

„Wieso sollte ich dir glauben?", fragte Violet vollkommen überrascht und das Buch verschwand, um eine Sekunden Später so nahe an ihren Händen wieder aufzutauchen, dass sie wie reflexartig zugriff. Sofort wollte sie es wieder loslassen und nach Nicolas schreien, doch... es passierte nichts.

>>Keine Zeit für Vertrauen, keine Zeit zu warten. Es ist hier, es spricht mit der Königin. Es Tricks und lügt. Zu gefährlich, zu wenig Zeit. Du musst gehen. Erwacht aber noch nicht stark, nicht mächtig. Du musst gehen.<< Es?

Immer noch war Violet dabei zu verarbeiten, dass das Buch, dass sie einst so gequält hatte, nun in ihren Händen lag und absolut nicht passierte, bis auf die Tatsache, dass es plötzlich sprach. Doch Violet wusste sofort, was das Buch meinte. Es. Dieser Geist.

Nicolas hatte ihr auch gesagt, dass er lügen würde.

„Du meinst diesen Geist, der aussieht wie ich? Was will er von mir? Was hat es vor?", fragte sie aber das Buch schien weiter ungeduldig.

„Noch nicht in Besitz genommen. Eine neue Maschine, gerade erwacht, jetzt wie ein böser Geist. Gefährlich für eine junge Königin. Der Sammler hat es erschaffen. Er wird aufsteigen, mächtig sein, mächtiger als junge Königin. Die Flammen verletzen ihn nicht"

„Was? Du meinst Nicolas? Er hat was erschaffen? Eine Maschine? Meinst du eine Deux Macina? Ich versteh es nicht."

>> Nicht sicher. Du musst gehen. Ich kann Wissen schenken und aufnehmen, nicht beschützen. Beschützen tut der Sperr, finde den Sperr.<< Den Sperr finden? Diese Waffe , die Nicolas gefunden hatte und sich ständig verwandelte? Aber...Mist was sollte sie jetzt machen? Sie konnte doch diesem Ding nicht glauben! War genau das der Trick von diesem lügenden Geist? Instinktiv fragte sie sich wo Nicolas war, um ihn fragen zu können, aber...

Die ganze Zeit hatte sie sich gewünscht die Kontrolle zu haben und dennoch war ihr erster Gedanke, bei dieser Entwicklung Nicolas zu rufen und ihm um Hilfe zu bitten? Das war alles andere als Kontrolle. Und Violet schämte sich für diese Schwäche, aber sie war ratlos, fühlte sich unter Druck gesetzt und hatte keine Ahnung, ob sie dem Ding trauen sollte, oder nicht?

„Nicolas beschützt mich. Ich weiß nicht, ob du lügst oder die Wahrheit sagst. Du bist schließlich das Malus.", sagte sie und legte das Buch demonstrativ auf einen der Tische und verließ diesen Raum, um sich auf der Suche nach Nicolas zu machen. Ob er immer noch in dieser Schreibstube saß und irgendetwas abschrieb? Sie stürzte, die ihr bekannten Gänge entlang und ignorierte dabei den merkwürdigen Krempel um sich herum. Die belebten und beleuchteten Gänge, die ungefährlich waren, waren über und über mit Sammelobjekte versehen. Mancher wohl wertlos, andere wohl nicht. Sie hatte Museen schon als Kind nicht gemocht und würde auch jetzt nicht fasziniert vor irgendwelchen Exponaten stehen bleiben.

„Nicolas?", rief sie laut und gerade als sie in diese Kammer einbiegen wollte, in der sie ihn vermutete, trat er ihr entgegen.

„Das Malus! Es spricht mit mir! Es sagt, dass dieser Geist auch eine Deux Macina ist und dass du sie geschaffen hast und das..."

Sein Blick fiel auf ihr und strahlten sie in einem perfekten Ozeanblau an, den seine Augen noch nie gezeigt hatten. Seine Kiefermuskeln bewegten sich nicht, dafür aber schien er etwas ungelenk und als er lächelte, lief es ihr eiskalt den Rücken herunter. Das war nicht Nicolas. Definitiv nicht. Sie kannte Nicolas, hatte sein Gesicht schon viel zu oft in ihren Träumen gesehen, jeden seiner Mimik und Gestik studiert und obwohl er so aussah wie er, war er es nicht.

„Nico..." Seine Hand schnellte ihr entgegen und packte ihre Kehle.

Violet war überrascht, aktivierte instinktiv ihre Kräfte. Die Tür in ihren Kopf öffnete sich und Flammen züngelten über ihre Finger, die sie abwehrend an seine Handgelenk gelegt hatte, ihn aber nicht aufhalten könnte. Er drückte zu, heftig, so, als wolle er ihr den Kopf abreißen, wie diesen einen geborenen Vampir vor ein paar Monaten. Sie bewegte ihre Lippen, wollte etwas sagen, doch das Lächeln wurde noch breiter, als ihr die Worte in der Kehle stecken blieben. Dieses Grinsen kannte sie. Dieser Geist hatte sie so angelächelt als er noch glaubte, Violet könnte auf seine Spielchen eingehen könnte..

„Er ist immun gegen dich und ich bin es auch. Erfülle meine Forderung und stirb", sagte eine Stimme aus Nicolas Mund, die aber nicht von Nicolas war und drückte sie an die Flurwand, direkt gegen einen Spiegel. Violet spürte wie die Muskeln an ihren Hals nachgaben, wie ihre Füße den Halt verloren und wie die Flammen immer höher zügelten, aber wie zuvor schon nichts gegen Nicolas ausrichten konnten.

Sie würde sterben. Wieder. Der Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen, weil sie nicht wusste, wie Nicolas reagieren würde, wenn er wieder zu sich kam und erneut feststellte, dass er sie umgebracht hatte. Er hatte sie schon beim ersten Mal nicht gehen lassen wollen und würde auch diesmal nicht tun.

Wieder formten ihre Lippen seinen Namen und etwas Dunkles blitzte in seinen Augen auf. Er war noch immer da drin, er war da, wurde nur überlagert von diesen Geist der sich ...ja was? Seinen Körper einfach besetzt hatte? War Nicolas besessen? Konnten Vampire von Geistern besessen sein?

Sein Griff wurde lockerer und Violet hörte auf zu Kämpfen, ihre Flammen zügelten zwar immer noch aber sie Zappelte nicht mehr und ließ das Feuer, in einer Fast liebevollen Geste über seinen Arm wandern. Er hatte gesagt, er würde sie nicht lieben, er würde sie nur haben wollen und sie beschützen. Das hatte er versprochen! Ihr versprochen! Er konnte sie nicht noch einmal umbringen, vor allem, weil es ihr egal war, das er sie angeblich nicht liebte, sie tat es! Und sie wollte ihren Nicolas zurück!

Beta: noch nicht

Nicolas (Bd.2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt