Vermissen

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Kapitel 17

Violet

Sie konnte es lesen.

Violet fuhr geradezu andächtig über die Buchstaben, die eine Sprache bildeten, die sie nie gelernt hatte und dennoch formte ihr Verstand darauf Worte und Sätze, dessen Inhalt sie eindeutig und klar nachvollziehen konnte. Als würde ihr jemand die Übersetzung ins Ohr flüstern. Doch sie hatte kaum Zeit sich näher mit dieser Fähigkeit zu befassen, denn sie durchforstete dieses alte Buch nicht, um ihre sprachliche Gewandtheit zu testen, sondern um Antworten darauf zu finden, wie es nun weitergehen konnte. Mit ihr als Königin.

Sofia unterstützte sie dabei, legte selbst gerade eines der Bücher beiseite und nahm sich das Nächste vor. Die Vampirin hatte huderte von Büchern von Björn in Violets Zimmer bringen lassen, auf der Suche nach all den kleinen Nebenerwähnungen von Königinnen. Recherchieren ohne Internet war wirklich ein sehr langwieriger Prozess, aber das Internet hatte zu Thema Vampirlegenden alles und nichts zu sagen. Sofia hatte gemeint, dass das Internet zu jung wäre, um von älteren Vampiren tatsächlich benutzt zu werden, vor allem um tatsächliche Vampirangelegenheiten zu klären. Kaum verwunderlich, wenn man daran dachte, dass selbst die Hälfte der Menschheit noch seine Schwierigkeiten damit hatte. Violet eingeschlossen. Als das World Wide Web seine Anfänge feierte, hatte sie gerade festgestellt, dass sie nicht mehr alterte und hatte damit ihr eigenen Probleme gehabt.

„Nummer einhundert siebzehn kümmert sich um unseren Besucher", verkündete Björn, der gerade wieder Raum betrat und diesmal nicht um Bücher zu bringen. Violet hatte ihn gebeten, nach den jungen Geborenen zu sehen, der noch immer nicht aus seiner Ohnmacht aufgewacht war und den sie in einen der Nebenzimmer auf eine Couch gelegt hatten.

„Ihr gebt ihnen nicht einmal Namen?", fragte Violet und meinte damit die eher unvollkommenen Vampire, die durch das Haus schlurften und mal sehr einfache, mal komplexere Arbeiten verrichteten. Umso öfter Violet diese „nicht gelungenen" Vampire sah, umso sicher wurde sie, dass in ihnen der Mythos der Zombies begründet lag.

„Man gibt dingen keinen Namen, die man vielleicht irgendwann töten muss und sie sind mir nicht gut genug gelungen, um eine Zögling-Meisterverbindung auszulösen.", meinte Sofia und um ihre Aussage zu bestätigen, trat eine korpulentere Frau zu ihnen ins Zimmer, einen Staubwedel in der Hand und begann damit die nicht vorhandenen Spinnweben zu entfernen, die vielleicht oder vielleicht auch nicht, unter der hohen Decke hingen. Das tat sie ständig. Tag und Nacht ohne Unterlass. Ansonsten gar nichts. Sofia hatte bereits viele Male versucht Vampire zu schaffen, aber besondern erfolgreich war sie damit nicht. Sofia und ihr Mann beachteten diese Fehlschläge kaum und der große Wikinger reichte Violet stattdessen ein Kelch mit einer roten Flüssigkeit. Blut. Blut das weder nach Björn, noch nach Sofia roch.

„Ist das sein Blut?", fragte Violet und meinte damit den geborenen Vampir, der sicherlich nicht dazu in der Lage gewesen war, sein Einverständnis dafür zu geben.

„Wenn er wach ist, ist er wieder geheilt und du brauchst was zu trinken", meinte Björn nur und zuckte mit den Schultern. Also hatte er ihn doch angezapft, wie einen Blutbeutel.

„Toll", knurrte Violet, nahm das Glas aber an. Sie musste ja irgendetwas trinken.

„Es ist praktisch, dass er da ist. Auch wenn wir aufpassen müssen, dass du nicht noch mehr geborenen anziehst. Hilf mir jetzt lieber beim Durchsuchen dieser Bücher, es sei denn, du hast wieder einer deiner Intuitiven antworten", gab Sofia von sich und legte wieder eines der Bücher erfolglos beiseite.

„Nein, tut mir leid. Ich scheine nur über das Wissen zu verfügen, welches das Malus hatte und es hat keine Erfahrung mit etwas namens „Glamour".", sagte sie und Sofia stöhnte genervt auf. Sie wusste davon, hatte aber keine Ahnung wo es genau stand, um es noch einmal nachzuschlagen.

„Vielleicht haben es nicht alle Königinnen. Ich bin beim Durchblättern auf so viele unterschiedliche Fähigkeiten gestoßen, dass ich eher glaube, jede Königin hatte andere Kräfte aber es wiederholt sich auch viel", meinte sie nur und Violet trank den Kelch aus, bevor sie ein weiteres Buch auf ihren Schoß zog und aufschlug. Sofort fiel ihr das Schriftbild ins Auge.

„Das hier ist Nicolas Handschrift", hauchte sie und erkannte neben den Sätzen auch kleine Tintenzeichnungen, die ebenfalls von ihm stammen konnten.

„Ja, ich hatte irgendwann keine Lust mehr verfallene Texte abzuschreiben. Nicolas hatte dafür allerdings immer genug Geduld. Er schrieb für mich die alten Legenden ab, wenn er welche fand. Für ihn waren sie eher uninteressant. Er hielt sich immer eher an der Wahrheit fest, dieser Langweiler." sagte Sofia, lächelte aber selig, als würde sie in einer alten glücklichen Erinnerung schwelgen. Nicolas und sie waren als Geschwister aufgewachsen, obwohl Jahrhunderte zwischen ihrer Erschaffung lagen. Trotz allem sie so unterschiedlich waren, haben sie stets Kontakt zueinander gehalten. Sich besucht, geschrieben und anderweitig die Verbindung gehalten. Es war schön zu sehen, dass man in der Ewigkeit wohl nicht unbedingt allein sein musste.

„Und Königinnen waren für ihn nicht real.", sagte Violet und Sofia nickte.

„Das waren sie für niemanden, bis das Gequatsche der Deux Macinas anfing und selbst wenn, hätte Nicolas jede Information ausgeblendet, wenn er die Quelle für unseriös hält. Er ist da sehr pingelig. Das hilft zwar bei wissenschaftlichem Kram, aber wenn es um Legenden geht, läuft er mit der Methode gegen eine Wand. Deswegen hat er sich auch nie ernsthaft mit den Deux Macinas auseinandergesetzt. Sie existierten zwar, aber viel zu erforschen gab es nicht, weil es kaum quellen gibt und sie nicht mit sich herumexperimentieren ließen. Auf Spekulationen ließ er sich auch nie ein. Also wurde ihm das Thema schnell langweilig" Das klang tatsächlich sehr nach ihm.

„Sie passen nicht in sein Weltbild, also ignoriert er sie", dachte Violet laut nach. Er hatte die Fähigkeit manchmal unfassbare Dinge einfach hinzunehmen, weil er es sich abgewöhnt hatte Antworten auf etwas zu benommen, auf die es keine geben würde. Für ihn wäre es Zeitverschwendung, sich Theorien auszudenken, die er weder beweisen noch widerlegen konnte.

„Ja so ähnlich. Mein Gott du schmachtest ihm tatsächlich hinterher und das, obwohl du mir noch gestern die Ohren voll geheult hast, wie schlecht er dich behandelt." Tja dagegen konnte sie nicht viel sagen. Violet dachte andauernd an ihn und wenn sie ehrlich war. Vermisste sie ihn auch.

„Ich kann das nicht abstellen", murmelte sie leise und hasste sich selbst dafür ein bisschen. Nicolas hatte sie wirklich nicht gut behandelt und sie sollte froh sein, endlich von ihm losgekommen zu sein, aber das tat sie nicht. Sie wünschte sich zu ihm zurück und das war fast erbärmlicher, als immer noch in ihn verknallt zu sein.

„Das solltest du aber", sagte Sofia und hatte damit einmal mehr recht. Sie musste ihn aus seinen Gedanken vertreiben. Sie konnte keine Königin sein, wenn er sie in einem Labyrinth einsperrte oder auch sonst alles daran setzte, sie davon abzuhalten sich zu entfalten. Sie musste Nicolas vergessen.

 Sie musste Nicolas vergessen

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Nicolas (Bd.2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt