Kapitel 2
Nicolas hatte keine Ahnung wie die Welt sich veränderte und sobald seine Gedanken einmal genau in diese Richtung abdrifteten, war es ihm auch schon wieder gleichgültig. Die ehemaligen Widerstandskämpfer, die den Untergang der geborenen Vampire zu verantworten hatten und damit auch den Untergang der ersten Hochkulturen, waren dabei, das Chaos aus Anarchie in der Vampirwelt zu lösen. Koste es, was es wolle. Re, sein eigener Erschaffen, war einer davon. Und obwohl es Nicolas wahrscheinlich kümmern sollte, konnte er sich nicht dazu durchringen sich für das Schicksal der Vampire dieser Welt zu interessieren und auch nicht der Menschen. Würden Re und seine Verbündeten der Menschheit ihre Existenz offenbaren und es schaffen die letzten noch lebenden geborenen Vampire auszumerzen? Nicolas zweifelte an beidem, aber was spielte es schon für eine Rolle wie die Welt über ihm aussah, wo sie doch immer noch schlief.Er könnte förmlich spüren, wie er immer tiefer in den Wahnsinn abdriftete und ab und an, wenn er sich neben Violet legte und die Augen schloss, bildete er sich ein ihre Stimme zu hören. Die Erinnerungen an ihr Wesen verschwammen vor seinem geistigen Auge und vermischten sich mit seinen Idealvorstellungen.
Die Frau, die er glaubte manchmal wach vor sich sitzen zu sehen, war nicht die Frau, die Violet tatsächlich war. Er träumte nicht von dem verwirrten, kleinen Mädchen, das alles verloren hatte und nicht wusste, wo ihr Platz in der Welt war. So unendlich verloren und dennoch versuchte sie ihre Unsicherheit hinter einer Mauer aus bitteren Sarkasmus und Härte zu verstecken, die sie nie besessen hatte. Violet hatte ein weiches Herz, die Grausamkeit in seiner Welt hatte ihr Angst gemacht. Sie hatte sich nach Ordnung und Frieden gesehnt und sie hatte so unendlich viel Mitleid für Wesen, die nichts als Verachtung verdienten. Von Margaretas Kreaturen, gescheiterte Verwandlungen die sie absichtlich sabotiert hatte, um einfach zu sehen, was passierte. Die schwächeren Vampire, die Opfer der stärkeren wurden, die unendlichen Blutfeiern, die Kleinkönige wie Margareta feierten, um sich vor der Langeweile der Unsterblichkeit zu retten. Auch mit ihm hatte sie Mitleid gehabt. Er, der versuchte sich neutral zu verhalten, obwohl er weder den Genozid an den Geborenen noch die Sklaverei der erschaffenen Vampire guthieß, die die Rebellion damals erst auslöste. Er hatte sich schon immer zurückgezogen wenn es ernst wurde und Violet hatte seine Tatenlosigkeit sowohl verstanden als auch verachtet. Sie hatte es zwar nie gesagt, aber er hatte es in ihren Augen gesehen. Jedes Mal, wenn sie neben ihm eines seiner Bücher gelesen hatte – zur Untätigkeit verdammt, während andere Leid erfuhren. Am liebsten hätte sie alle gerettet, denn ihr Herz war zwar nie menschlich gewesen, besaß jedoch mehr Liebe als Nicolas jemals verloren hatte.
Sie würde sein jetziges Verhalten auch nicht gutheißen. Seine Besitzgier kannte sie, er hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er sie nur behielt, weil sie etwas Besonderes war. Wie weit es aber ging hätte sie sich nicht einmal vorstellen könne. Er behielt sie über ihren Tod hinaus, kämmte ihr Haar, kleidete sie an, gab ihr Blut damit ihr Körper warm blieb und er sich der Illusion hingeben konnte, dass sie noch da war.
Und es war nicht das erste Mal, dass er das tat. Nicolas war kein Mann, der jemals etwas zurückgab was ihm gehörte. Violet war die dritte Frau, die er selbst nach ihrem Tod aufbewahrte und sie würde auch nicht die letzte seinWie immer öffnete er kurz vor Sonnenaufgang seine Augen und wartete darauf, dass auch Violet aus dem Schlaf erwachte und wie immer gab er es erst auf, als der Mond schon weit oben am Himmel stand und er sich erhob, weil er es nicht mehr ertragen konnte. Er hasste diesen Moment, diese eine Sekunde in dem er wahrhaft realisierte und akzeptierte, dass sie nicht zurückkommen würde. Er flüchtete geradezu aus dem Schlafzimmer um es nicht mit ansehen zu müssen. Um sich seiner Wut hinzugeben, die Welt und sich selbst verfluchte, bis er es wieder vergaß.
Mit gezwungenen ruhigen Schritten glitt er durch die Gänge seines unterirdischen Königreiches und vernahm mit einer gewissen Genugtuung, wie Benjamin ihm weiträumig aus dem Weg ging. Er hatte auf die harte Tour lernen müssen, dass es nicht klug war seinem Meister in diesen Stunden unter die Augen zu treten und besaß genug Selbsterhaltungstrieb um es ernst zu nehmen. Es gab eben Momente, da war Nicolas nicht besser als all die anderen viel zu alten Vampire, die sich in der Grausamkeit verloren hatten. Es gab wahrlich nichts, was er noch nicht getan hatte. Er hatte schon ganze Dörfer ausgelöscht. Damals in seiner wilden Zeit, kurz nachdem Re ihn als Zögling freigegeben hatte und Juna ihn fand, verschleppte und folterte. Es war schwer einen Unsterblichen bleibende Narben zuzufügen, es erforderte eine Menge Geduld und noch sehr viel mehr Können. Juna hatte es gekonnt, hatte wie eine Künstlerin auf seiner Haut ihre Spuren hinterlassen, so tief, so oft und so gezielt, dass es selbst nach so vielen Jahrhunderten immer noch zu sehen war.
Als würde das Bild nach seinem Meister rufen, führten Nicolas Schritte sie zu dem steinernen Sarkophag, der mitten in einem der vielen Räume stand, in denen er seine Sammelstücke aufbewahrte. Unendlich viele Bücher, Artefakte und Geheimnisse. Wie ein pechschwarzer Fleck dominierte das Grab seiner Peinigerin den Raum, während auf einer Säule dahinter die Asche seiner ersten Frau stand ohne zu wissen, wie viel Bösartigkeit sich in dem steinernen Gefängnis unter ihr tatsächlich verbarg.„Was ist es, was du dir am meisten wünschst?", hauchte eine Stimme in seinem Kopf. Er scherte sich nicht darum und es überraschte ihn auch nicht. Es gab viele Stimmen in diesen unendlichen Hallen und Gängen, nicht wenige seiner Artefakte verbreiteten Wahnsinn in der Welt, bevor er sie hier einsperrte. Aber nicht für alle Stimmen trugen die verwunschene Puppen und verhexte Gegenstände die Schuld. Es gab Stimmen in seinem Kopf, die ihn näher in Richtung Wahnsinn trieben, einige hörte er seit er denken konnte. Er war nie wirklich normal gewesen. Wirklich nie. Wahrscheinlich hatte Re mit seiner Verwandlung eine Plage auf die Welt losgelassen. Nicolas glich so einigen Antagonisten aus den unendlich vielen Geschichten, die er sammelte.
„Dass sie wieder lebt", hauchte er in die Finsternis seines Verstandes oder in die Kälte der Gänge, wer konnte das schon sagen? Er würde es nicht.„Was bekomme ich dafür?", fragte diese Stimme wieder und das war der Augenblick, in dem sich Nicolas doch umsah und ein Geist vor ihm stand. Es musste ein Geist sein, denn niemals, nicht mal in den tiefen seines Wahnsinns konnte er sich vorstellen, das Violet vor ihm stand. Aber sie tat es. Von ihren grau-blauen Augen bis hin zu ihren tintenschwarzen, langem Haar mit dem geraden Pony, dass ihre blasse Haut einrahmte. Von dem vollen Schwung ihrer Lippen, bis hin zu ihrer zierlichen Statur, die nicht zu hundert Prozent stimmte.
Nicolas kannte jedes Detail an ihr, er wusste wie groß ihre Brüste waren, wie fest und aufrecht sie von ihrem Oberkörper abstanden und wie das Tal dazwischen an ihrem Bauchnabel endete. Er wusste, wie schmal ihre Taille war, wie wunderbar rund ihrer Hüften. Er hatte das alles gesehen und sich eingeprägt, von ihrem Geruch bis zu der Art wie es sich anfühlte, sie zu berühren. Violet wäre entsetzt, wenn sie wüste wie schamlos er mit ihrem Körper umging, dieser wunderschönen leeren Hülle ohne Inhalt von der er sich nichts weiter wünschte, als dass sie wieder erwachte.
„Du bist nicht sie", hauchte er der Frau entgegen. Sie hatte eine ähnliche Größe wie Violet, aber sie war es nicht. Denn nichts stimmt wirklich. Violets Augen besaßen nicht diesen merkwürdigen Glanz und niemals würde Violet ihn so ansehen. Keines ihre Gesichtszüge stimmte. Er hatte sich einmal gefragt, wie lange es dauern würde bis er vergaß, wie ihr Lächeln aussah oder wie sie verstimmt die Lippen aufeinander presste, elf Monate schienen dafür nicht zu reichen.
„Nein, aber ich kann sie dir wiederbringen", hauchte der Geist vor ihm, oder das Trugbild, oder was auch immer es war. Vielleicht spielte sein Verstand ihm einen Streich oder eines der DeuxMacina spielte eines seiner Spielchen.„Sie ist Tot", erwiderte er. Es auszusprechen zerriss etwas in ihm, aber es war die Wahrheit und er würde sich nicht von diesem Etwas manipulieren lassen. Niemals.
„Das ist sie. Ich kann sie zurückholen, wenn du es willst", bot sie ihm wieder an und Nicolas wagte es nicht sich zu rühren als sie auf ihn zuging. Ob Trugbild oder nicht, ob Violet oder nicht. Die Ähnlichkeit reichte aus um ihn in ein Gefühlschaos zu stürzen, es reichte aus, um sich einzureden, sie wäre es. Als wären es ihre Hände die sich auf seine Brust legten und ihr Atem, der über seine Kieferpartie strich, als sie flüsterte.„Ich bringe sie dir zurück, so wie sie war. Als wäre sie nie fort gewesen. Aber sie wird den Preis dafür bezahlen." Den Preis? Natürlich hatte es seinen Preis, es hatte immer seinen Preis, aber es war ihm egal. Ihm fiel nichts ein, was sie fordern könnte und was er nicht ohne zu zögern hergeben würde, um sie erwachen zu sehen.
„Welchen Preis?", fragte er und die Frau ging um ihn herum. Berührte ihn, ließ ihre Hände über seinen Bizeps und über seine Schulterblätter wandern.
„Ist das wichtig? Du wirst ihn nicht bezahlen. Nicht wirklich zumindest und gibt es denn etwas, was du nicht hergeben würdest?"
„Nein. Gibt es nicht", sagte er ohne zu zögern. Es war die Wahrheit. Wenn sie zurückkam wie sie war, würde Violet etwas geben müssen. Es war arrogant und absolut nichts was man auch nur entferntesten als Liebe bezeichnen würde. Wenn er seinen Wunsch sie wiederzuhaben über alles stellte, was sie wollen könnte. Aber er liebte sie auch nicht. Er wollte sie. Und sie würde wieder ihm gehören, das war alles, was zählte.„Also stellst du deine eigene Gier über ihren Willen?", fragte sie, als wäre es eine Fangfrage.
„Ja", erwiderte er und jeder normale Mensch wäre schockiert. Aber das war die schmutzige Wahrheit. Er war besessen von ihr. Selbst wenn die Existenz, der sie nun ausgesetzt war ewige Qual bedeutete, würde er sie zurückhaben wollen. Sie gehörte ihm und wer wollte sie zurück. Vollständig. Vielleicht war es wahnsinnig das zu tun, er hatte keine Ahnung, was sie war, ob sie log oder ihn betrog. Er wusste, dass er es lassen sollte, dass es Konsequenzen hatte, aber Nicolas war niemand, der einen Pakt mit dem Teufel ausschlug, weil er die Konsequenzen fürchtete. Er war derjenige der ihn schloss, weil er plante den Teufel über den Tisch zu ziehen, um noch mehr zu bekommen.Beta: Geany
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Nicolas (Bd.2)
Vampire(Update jeden Dienstag) Nicolas ist dem Wahnsinn verfallen und trauert um Violet ohne wirklich wahrhaben zu wollen, dass sie tatsächlich Tot sein soll. Als eine mysteriöse Frau, die große Ähnlichkeiten mit Violet hat, auftaucht und ihm verspricht si...