Ungerechtigkeit!

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Kapitel 15

Kurz nachdem die aufsteigende Nacht Violet aus ihrem Schlaf befreit hatte, stand sie am Fenster des zugigen, englischen Anwesens und starrte auf die Lichter eines nahegelegenen Dorfes, dass sich hier um eine Hügelkette geschlungen hatte. Sie hatte sich bereits vor dem Zubettgehen gefragt, warum Sophie und ihr Gefährte Björn nicht immer noch im Hotel in Amerika waren, hatte aber natürlich keine wirkliche Antwort erhalten.

Die Vampirin hatte es mit „persönlichen Differenzen" abgetan und noch bevor Violet mehr Fragen hätte stellen können, hatte sie bereits die bleierne Schwäre des anbrechendes Tages in ihren Knochen gespürt. Dennoch spukte ihr diese Frage nun immer noch im Kopf herum, genauso wie das schlechte Gewissen, weil sie Nicolas mit einer bösartigen Deux Macina alleine gelassen hatte. In Gegensatz zu Sofia, die volles Vertrauen zu ihrem Bruder zu haben schien, sich selbst um dieses Problem zu kümmern und das alles mit einem Schulterzucken abgetan hatte, wurde Violet die Befürchtung nicht los, dass es ein Fehler gewesen war.

Als ein inbrünstiges Klopfen an ihrer Tür ertönte und der große Wikinger hereintrat aber verschwanden ihre Sorgen und sie blickte lediglich etwas verwirrt auf den jungen Vampir, den Björn mit seiner riesigen Pranke hinter sich herzog.

„Er schlich um das Anwesen, er ist ein Geborener", sagte der sonst eher wortkarge Riese und warf den Vampir vorwärts in Violets Zimmer, wo er zitternd vor ihr kauerte wie ein getretener Hund.

„Ich glaube, ich ziehe sie an. Nicolas musste auch bereits einige Geborene vertreiben" meinte Violet schlicht und ging langsam auf den Vampir zu, weil die Angst in seinen Augen sie einfach nicht kaltließ.

Er war ein schmächtiger, junger Mann, der wohl selbst für menschliche Verhältnisse noch zu jung war, um ihn als Erwachsenen zu bezeichnen, obwohl Violet natürlich nicht wusste, wie schnell oder langsam geborene heranwuchsen. Verlief das bei geborenen Vampiren anders als bei Menschen? Er hatte nasse, braune Haare, Schlamm verschmierte Hosen und ein spitzes Kinn, das ihn fast ein aristokratisches Aussehen verlieh. Als sie sich näherte, wurden seine Augen riesig und er hörte auf zu zittern, bevor sich seine Pupillen sichtbar weiteten und er wie in eine Trance fiel, wo er seine Angst vergaß.

„Sophie meinte, du könntest ihn als Mahlzeit benutzen", sagte Björn eher nebensächlich, „Oder ich zertrete ihm den Schädel, dann hat er es hinter sich"

„NEIN!" entgegnete Violet schnell und betrachtete Björn ernst. Sie hatte noch nie verstanden, wie Vampire es fertig brachten zu töten, ohne groß darüber nachzudenken. Selbst bei einem Nutztier würde doch jeder kurz zögern, aber für die meisten Vampire schienen Geborene sogar noch weniger Wert zu sein als ein Tier.

„Dieses grundlose vernichten einer Spezies werde ich sicherlich nicht dulden, wenn ich auch nur ein bisschen was zu sagen habe! Ich weiß, dass die Meisten von euch unter den Geborenen gelitten haben, aber selbst nach so vielen Jahrhunderten nehmt ihr das, als Grund sie zu jagen und zu töten. Unabhängig davon, ob sie mit eurer Versklavung tatsächlich etwas zu tun hatten! Das muss aufhören! Die erschaffenen Vampire benehmen sich seit Jahrhunderten kein Stück besser als die Geborenen damals!" fuhr sie Björn an und sah zu den jungen Mann herab, der auf keinen Fall auch nur alt genug war, um das letzte Jahrhundert erlebt zu haben.

„Niemand tut dir was. Wie heißt du und warum bist du hier?" fragte sie ihm und er starrte sie immer noch an, als wäre er vollkommen von ihren gefangen genommen.

„Ihr habt mich gerufen. Ich bin hier, ich gehorche Euch, so wie Ihr es wolltet", brabbelte er ohne sich weiter zu erklären. Immer noch blinzelte er nicht und Violet streckte eine Hand nach ihm aus und wedelte damit vor seinem Gesicht, herum. Hatte er überhaupt verstanden, was sie gesagt hatte? Von seiner gerade noch mühsam unter Kontrolle gehaltenen Angst schien absolut gar nichts übrig geblieben zu sein und er wirkte so abwesend, dass Violet sich fragte, ob er durch ihren Anblick so etwas wie einen Kick bekommen hat. War ihr Anblick eine Droge?

Nicolas (Bd.2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt