mitten im Nirgendwo

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Kapitel 29

Violet

Als der Wagen mitten im Nirgendwo hielt, sah Violet dabei zu, wie sich die dichten Nebelschwaden durch die bergige Landschaft bis zu ihnen durch drängte und den Wagen samt dem baufälligen kleinen Haus, vordem sie gehalten hatten, geradezu verschlangen.

Violet hatte selten so dichten Nebel gesehen, andererseits war das auch kaum verwunderlich, wenn man bedachte, dass sie ihr Leben lang in nur einer Stadt gelebt hatte. Sie hatte nur wenig Zeit in der Natur verbracht. Nicolas schien das alles nicht zu irritieren.

Die kleine Ortschaft, die sich in diesem Tal angesiedelt hatte und ein wenig so wirkte, als wäre sie irgendwo in den fünfziger Jahren stecken geblieben, lag ruhig und fast schon verlassen vor ihnen. Nur die warme Straßenbeleuchtung, die versuchte gegen den Nebel anzukämpfen, erhellte die Straßen mit Kopfsteinpflaster und deutete darauf hin, dass hier tatsächlich noch jemand lebte.

Nicolas stellte den Motor ab und trat aus dem Fahrzeug, worauf hin auch Violet sich abschnallte und noch einen Blick auf die Rückbank sah, wo Sofie zusammengesunken da saß, als wäre sie nicht mehr als eine hübsche Puppe. Die Trauer, die sie ausstrahlte, traf sie einmal mehr mitten ins Herz und während sie die Wagentür öffnete, um Nicolas zu folgen. Doch sie entschied sich dagegen.

„Ich wage es mir nicht sie alleine zu lassen", meinte sie und Nicolas hielt auf dem Bürgersteig inne und blickte zu der Tür, über der ein altmodisches Schild hing, dass verkündete, dass man hier ein Zimmer mieten konnte.

„Sie wird zurecht kommen, es sind nur ein paar Minuten", sagte er und wollte scheinbar, dass Violet ihn begleitet.

„Aber..."

„Sie kommt zurecht", wandte er schnell ein, bevor sie noch mehr sagen konnte. Doch das pure Drängen darauf, Sofie zu alleine zu lassen machte Violet wütend. Sie lehnte sich aus dem Wagen heraus und versuchte so leise wie möglich zu sprechen. Nicht dass sie tatsächlich glauben würde, irgendetwas könnte Sofie aus ihrer Trance reißen.

„Hast du sie dir mal angesehen? Sie kommt nicht zurecht! Er war ihr Gefährte", erklärte sie Nicolas das offensichtliche, wagte es aber nicht auszusprechen, was sie tatsächlich befürchtete. Dass Sofie die Chance nutzen würde, die Schale zu berühren, um bei Björn zu sein. Im Tod vereint. Der Gedanke hatte Violet bereits die gesamte Autofahrt wach gehalten, weil es für sie eine logische Konsequenz dessen war, was Sofie passiert ist. Die Liebe ihres Lebens war tot und Sophie war verzweifelt genug sich ebenfalls der Schale hinzugeben. Nur um wieder mit ihren Geliebten vereint sein zu können.

Selbst wenn die Schale zu ruhen schien, war sie wahrscheinlich gefährlich genug, um Sofia diesen Wünsch zu erfüllen. Und auch Nicolas schien diesen Gedanken folgen zu können.

„Sie hat Jahrhunderte vor ihm alleine verbracht, sie wird darüber hinwegkommen", meinte er so kalt, dass es Violet den Atem verschlug. Manchmal fragte sie sich, ob sie sich den brummigen, aber gelegentlich sanften und zärtlichen Nicolas, der sie beschützte, nur eingebildet hatte. Denn seit sie erwacht war, schien nicht nur sie sich verändert zu haben. Nicolas selbst schien anders zu sein und sich zunehmend in jemanden zu verwandeln, bei dem Violet offen anzweifelte, dass er zu mehr Gefühl imstande war als ein Stein.

„Wird sie nicht!", bestand Violet fast schon gebieterisch.

„Ich habe ohne dich auch weitergemacht", entfuhr es ihm und Violet konnte sich ein kleines Auflachen nicht verkneifen. Zu behaupten er wäre über ihren Tod hinweggekommen und hätte 'weitergemacht' war nicht das, als was sie sein Tun bezeichnen würde.

„Hast du nicht! Du hast dich in deinem Labyrinth eingesperrt und mich in dein Bett gelegt wie eine Puppe. Das ist nicht das, was man unter 'weiter machen' versteht",

„Von mir aus. Aber ich kenne Sofia besser als du. Sie wird darüber hinwegkommen", bestand er felsenfest, aber Violet weigerte sich das anzuerkennen. Mag sein, dass sie nicht so viel Zeit mit Sofie verbracht hatte wie Nicolas, aber sie hatte gesehen, wie viel Liebe zwischen ihr und Björn existiert hatte. Violet hatte die beiden fast schon neidisch beobachtete und wusste, wenn sie für einen Mann nur halb so viel empfinden würde, würde sie es nicht überleben.

„Du weißt nicht, wie sehr man jemanden lieben kann", entgegnete Violet verbittert.

Darauf hin packte Nicolas ihre Oberarme und schüttelte sie ganz leicht, bis Violet zu ihm aufsah und sie seinen Blick begegnen konnte

„Ich bin hier Violet. Ich bin trotz allem immer noch hier, sagt mir also: Wie sehr liebe ich dich?" fuhr er sie wenig liebevoll an und Violet öffnete ihren Mund nur, um ihn sofort darauf zu schließen.

Er hatte ihr nie gesagt, dass er sie liebte. Nicht wirklich zumindest. Er hatte sie beschützt, sie versteckt und für sie gekämpft, war für sie gestorben und wieder auferstanden. Er hatte auf eine sehr unheimliche und gruselige Art und Weise um sie getrauert und sich dann, nach ihrem Wiederauferstehen, fast schon ungeduldig über sie hergemacht. Aber Liebe, war ein zu starkes für dieses Verhalten und gleichzeitig ein zu schwaches.

„Ich weiß nicht, was du für mich empfindest. Du bist ein Sammler und sagst mir ständig, dass du mich behalten willst. Ja, du hast dich nicht auf Res Seite geschlagen, aber sowie ich das mitbekommen habe, hattest du bereits vor mir Meinungsverschiedenheiten mit ihm und hättest dich vermutlich so oder so von ihm abgewandt. Vor allem jetzt wo er sich so radikalisiert hat. Ich wünsche mir sehr, dass du mich tatsächlich liebst, Nicolas. Denn trotz allem bin ich mir sicher, dass ich so für dich empfinde, aber letztendlich hat diese Welt mir bewiesen, dass ich mir in gar nichts sicher sein kann. Schon gar nicht darin, ob du zu so einem Gefühl überhaupt fähig bist."

Und mit diesen Worten machte Violet sich von seinem Griff los und setzte sich wieder auf den Beifahrersitz des Wagens, wo sie Sofie nicht aus den Augen ließ. Etwas in ihr wollte Björns Verlust nicht wahrhaben und auch nur die geringste Chance bestand, ihn und Sofie wieder zusammenzubringen, würde Violet es versuchen.

Nicolas (Bd.2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt