Erwachen

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Kapitel 3

Es war, als triebe man in einem warmen Strom. Pechschwarz und ewig, ohne Furcht und ohne Vermissen. Kein Gedanke, kein Wort, nichts erfüllte sie und nichts ging verloren. Es war vollkommen. Rein und vollständig. Absolut und endlos. Und es endete so abrupt, dass sie innerlich schrie. Ihre Stimme zerschellte an der Klippe all dessen was Ist und Sein wird. Die Unendlichkeit folgte ihr wie ein dunkler Schatten, fesselte sie, knebelte sie und erdrosselte jeden ihrer Atemzüge, als sie schrie. Angefüllt vor Angst, Glück, Freude und Leid. Alles kehrte zu ihr zurück. Bilder und Erinnerungen, Hoffnung und unendliche Trostlosigkeit. Zurück ins Leben, belastet von dem schweren Gepäck. Die Unsterblichkeit, die sich in ihrem Nacken verbissen hatte und nicht loslassen wollte, sich mit ihrer Wirbelsäule verband und dann zu schwarzen Schwingen wurde, die sie über die Wolken tragen sollten und gerade als sie glaubte wieder der Vollkommenheit des Todes nahezukommen, ließ die Kraft ihrer Flügel sie im Stich und sie zerschellte auf dem harten Boden der Realität.
Ihr Schrei erklang weiter, lange schon, nachdem sie die Augen aufgeschlagen hatte, lange, nachdem sie an den Schultern gepackt und zurück in den weichen Untergrund gepresst wurde. Sie schrie, weinte, schlug um sich und kämpfte gegen das Leben an, dass sie zwang aus der absoluten Perfektion zurück in eine Unvollkommenheit der Welt zurückzukehren, die man erst wirklich als Plage erkannte, wenn man den Tod erlebt hatte.Erst als ihre Stimmbänder Aufgaben und Tränen ihren Blick trübten und die Erinnerungen zurückkehrten, verstand sie was geschehen war. Was ihr angetan wurde und vor allem, wer es ihr angetan hatte.
„Du hast mich getötet!", hauchte sie anklagend, während Nicolas sie mit untrüglicher Miene einfach nur anstarrte. Verwunderung, Skepsis und Wahnsinn glitzerte in seinen Iren auf wie bei einem Monster, das nur ab und an den Kopf aus dem Wasser strecke, um zu sehen wie das nächste Opfer wohl sein würde. Der Schmerz des Lebens erfüllte Violet und sie glaubte nie im Leben oder im Tod so viel Hass gefühlt zu haben. Ja. Sie hasste ihn. Sie liebte ihn. Nicolas.
Er saß direkt auf ihr, seine Augen hielten ihren anklagenden Blick stand und obwohl sich so wenig in seinen Gesichtszügen von dem widerspiehgelte, was sie alles auf einmal fühlte, beugte er sich hinab, sog ihren Duft in sich auf und blieb dann eine Weile einfach so liegen.
„Das ist keine Einbildung", hauchte er und sein Gesicht presste sich in ihre Halsbeuge und seine Lippen an ihrem Puls brachten ihr Herz dazu, sich zu überschlagen.
„Ich höre, wie das Blut in dir fließt, wie dein Puls rast, ich höre wie deine Lungen sich mit Sauerstoff füllen. Du bist ... warst tot und nun bist du wieder da", sprach er immer weiter und Violet wusste, das diese Worte nicht für sie bestimmt waren. Er sprach zu sich selbst und dann glitt eine Hand zu ihrer Kehle und hielt sie fest, während er mit der Nase über ihren Kiefer und ihre Wangenknochen rieb und dann seine Lippen ganz nahe an ihren waren.
„Vergib mir. Deinen Tot und dein Leben, aber ich musste dich zurück haben", hauchte er und während Violet immer noch dabei war sich zu beruhigen, überkam sie die Erkenntnis, dass sie tatsächlich Tod gewesen war. Sie hätte nicht hier sein sollen. Niemals wieder.
„Wie lange?", fragte sie und bemühte sich dabei ruhig zu bleiben, obwohl alles in ihrem Inneren schrie, dass nichts richtig daran war hier zu sein.
„Dreizehn Monate. Ich habe einen Deal mit dem Teufel gemacht um dich zurückzubekommen und das weggegeben, was mir am meisten bedeutet", hauchte er und Violet wusste kurz nicht, ob er in Metaphern sprach oder es ernst meinte. Es gab keinen Teufel, denn es gab auch keinen Gott. Kein leben nach dem Tod, sie hatte es gesehen. Da war nur das unendliche Nichts gewesen. Aber eines schien ihr sicher: Er sprach immer noch zu sich selbst, glaubte wohl immer noch nicht, dass sie wach war und das konnte man ihm auch nicht verübeln. Sie konnte es selbst nicht glauben.
„Nicolas", hauchte sie sanft gegen seine Lippen, umfasste mit ihren Fingern sein Handgelenk, dass immer noch sanft um ihren Hals lag und berührte dann sein Gesicht. Er schloss die Augen, genoss ihre Liebkosung und sie sah, wie er den Schmerz des Momentes herunterschluckte. Er hatte sie vermisst, so sehr, dass er kurz davor war zu weinen. Dabei hätte sie nicht gedacht, dass sie ihn jemals so emotional entwaffnet erleben würde. Und dann auch noch ihretwegen.
„Ich bin hier, aber du musst von mir runter!", hauchte sie während Nicolas sein Gewicht von ihr herunterschwang, versuchte Violet sich aufzusetzen. Für einen Moment schwankte sie, ihr wurde schwindlig und mit einem Mal krampfte sich ihr Magen zusammen und sie verspürte einen Hunger, den sie noch nie zuvor verspürt hatte.
„Ich habe Hunger, Nicolas. Richtigen Hunger!", sagte sie und noch während sie sprach, spürte sie wie ihre Zähne sich verlängerten und sie nur noch daran denken konnte wie gut sein Blut immer geschmeckt hatte und wie sehr sie trinken wollte.
Nicolas zögerte auch keinen Moment, riss an den obersten beiden Knöpfen seines Hemdes, zog den Kragen grob herunter und rutschte an sie heran, bis er ihren Hinterkopf umfassen konnte und ihr Gesicht an seinen Hals drückte. Violet zögerte nicht und biss sofort zu. Sobald ihre immer noch winzigen Zähne die Haut an seiner Halsschlagader durchstießen und warmes, kraftvolles Blut in ihren Mund strömte, fühlte sie sich so lebendig wie schon lange nicht mehr. Ihre Haut begann zu kribbeln, die Erinnerungen an ihren vorigen Zustand verblassten und unglaubliche Gier drang an die Oberfläche. Sie trank mehr als sie braucht, minutenlang und Nicolas tat nichts, um sie davon abzuhalten. Erst als ihr Magen begann zu protestieren und sie glaubte sich gleich übergeben zu müssen wenn sie nicht aufhörte, löste sich ihr Kiefer, in dem sich schon eine gewisse steife bemerkbar machte. Wenige Sekunden später machte sich Müdigkeit in ihr breit und noch einige Augenblicke danach wollte sie wieder nichts anderes als schlafen. Aber Nicolas hielt sie davon ab.
„Nein, Violet. Ich lasse dich nicht wieder gehen", hauchte er mit einem Hauch von Zorn in der Stimme, den sie selten bei ihm vernommen hatte und die Zicke in ihr, die ihn eigentlich nicht leiden konnte, kämpfte sich an die Oberfläche.
„Lass mich schlafen!", hauchte sie genervt und wollte sich aus seinen Armen lösen und sich zurück in die Kissen sinken lassen, aber Nicolas hielt sie fest, gab aber nach indem er sich mit ihr in die weichen Decken fallen ließ und sie im Arm hielt, bis ihr Verstand wieder abschaltete. Nur am Rande bemerkte sie seltsame Symbole auf ihrer Haut und realisierte, dass sie eigentlich Tod sein sollte und dennoch in seinem Bett lag. Wo war sie eigentlich? Doch nichts davon spielte eine Rolle, denn sie liebte seinen Geruch erinnerte sich an die Gefühle, die sie für ihn hatte und freute sich über seine besitzergreifenden Worte, bevor sie wirklich wieder einschlief.

Beat: Geany

Nicolas (Bd.2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt