Ich gehe zwischen Jessica und Elias und reiße ihn von ihr los. „Sag mal, hast du sie noch alle?" Ich bringe so viel Abstand zwischen ihnen, wie ich kann. Elias, der Trottel, fängt laut zu lachen an. „Mit dir kann man echt kein Spaß haben." „Das ist kein Spaß, Elias!", fauche ich. Wie viel hat er heute Abend getrunken? Ich habe ihn immer mal mit einem Auge beobachtet, weil er die ganze Zeit an Viki hing, aber sie hat ihn immer schön auf Abstand gehalten.
Was meiner Meinung richtig war in Anbetracht der Situation.
Ich schlage ihm gegen die Brust. „Willst du so auch meine Schwester behandeln? Verpiss dich!" Ich schubse ihn zur Tür. Ja, Elias ist mein bester Freund, aber jetzt bin ich stinkwütend auf ihn.
Elias trollt sich und ich gehe ihm noch zwei Schritte hinterher, damit er ja nicht auf die Idee kommt, noch mal zurückzukommen.
Ich frage mich, wie viele Frauen er den ganzen Abend an gegraben hat. Und ich frage mich, ob ich mit jemanden, der so wenig Respekt Frauen gegenüber hat, überhaupt befreundet sein möchte.
Das Adrenalin schießt noch immer durch meine Adern, als ich mich zu Jessica umdrehe. Sie hat sich ihre Kleidung wieder gerichtet, aber die Tränen in ihren Augen und die Tatsache, dass ihr gesamter Körper zittert, können ihren Schock nicht verstecken.
Als sie mich ansieht, sprühen wütende Funken in meine Richtung und ich senke beschämt den Kopf.
Ich war schon öfters in unangenehmen Situationen, in denen beispielsweise mein Vater rassistische oder sexistische Bemerkungen gemacht hat, aber jetzt, in diesem Moment, schäme ich mich zutiefst, in dieser sozialen Klasse aufgewachsen zu sein.
Weil Jessica glaubt, jeder, der in solchen Kreisen verkehrt, ist so wie Elias. Und damit schließt sie mich mit ein.
Weil ich mir nicht anders zu helfen weiß, schenke ich ein Glas Wasser ein und reiche es ihr.
„Sie kennen dieses Arschloch?", fragt sie schließlich. Ihre Stimme klingt fester, als ich angenommen habe.
Ich zucke unbeholfen mit den Schultern, eine Geste, für die ich von meiner Mutter einen tadelnden Blick kassieren würde.
„Er ist eigentlich mein bester Freund." Wieder senke ich den Blick. „Aber Sie sind nicht er.", stellt sie klar.
„Nein, bin ich nicht."
Sie hält mich also nicht für ein Arschloch, das Frauen bedrängt?
Mein Blick fällt auf die Glaskaraffe mit dem leeren Glas daneben. Elias hat sich vom guten Whisky meines Vaters bedient. Ich stelle sie wieder auf den Seitentisch, damit es nicht auffällt. Dabei bleibe ich mit den Augen beim Safe hängen und werde daran erinnert, was im Safe ist und auf mich wartet.
Der Hochzeitsantrag liegt mir zwar immer noch im Magen, aber ich habe jeden Tag so viel zutun, dass ich es immer wieder schlicht vergesse.
„Waren Sie schon einmal in so einer Bibliothek?", frage ich Jessica, um mich abzulenken, will meine Frage aber direkt zurücknehmen, weil ich nicht will, dass sie die Frage falsch aufnimmt. Zu meinem Glück aber schüttelt sie lediglich mit dem Kopf und gibt keine spitze Bemerkung ab. „Es ist ganz schön beeindruckend, oder? Früher als Kind konnte ich mich kaum daran satt sehen." „Ach ja?" Sie kommt näher. „Sie glauben mir nicht? Warum?" „Sie machen nicht gerade den Eindruck, als könnten Sie auch nur fünf Minuten stillsitzen und konzentriert ein Buch lesen."
Ich lache leise und schiebe meine Hände in die Hosentaschen. Ihr ist wohl aufgefallen, dass ich nicht besonders lange ruhig sitzen kann, ohne etwas zu tun. „Wer hat denn was von Lesen gesagt? Ich bin staunend hier herumgerannt." Ich nicke in den Raum. Das bringt sie zum Lachen und dieses Lachen zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.
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Herbststurm - Zurrenberg Romance
RomanceSie kämpft um das tägliche Überleben und hängt ihren Träumen nach. Er ist mit einem goldenen Löffel im Mund geboren und buhlt um die Anerkennung seines Vaters. Jessica und Alexander führen ein Leben aus zwei verschiedene Welten und treffen durch Zuf...