Kapitel 3 - Jessica

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Bereits am Dienstag habe ich genug von meinem neuen Job und ich überlege ernsthaft zu kündigen. Eine innere Stimme in mir sagt, dass es klar war, weil ich noch nie eine Sache ganz durchgezogen habe.

Die schnöseligen, teils protzig aussehenden Menschen hängen mir zum Hals raus. Sie wurden alle mit einem goldenen Löffel im Mund geboren und haben keine Ahnung davon, wie es ist, sich sprichwörtlich jeden Tag den Arsch aufzureißen, damit man genug Geld zusammenkratzen kann, um sich ein Frühstück leisten zu können.

Nur die Mahnungen und die Drohungen des Vermieters halten mich zurück, zu Pierre zu gehen und das Handtuch zu schmeißen.

Mit meinen Nerven am Ende und mit schmerzenden Füßen gelange ich nach Feierabend zum Jugendzentrum. Im Vorhof spielen ein paar Kids mit einem alten Tischkicker. Ich werde lachend von ihnen begrüßt. In solchen Momenten fällt mir wieder ein, warum ich freiwillig und ehrenamtlich hier mithelfe. Ich will den Kindern einen Ort schaffen, in dem sie für eine Weile ihr kompliziertes Leben vergessen können und einfach nur Kinder sind, die sich mit Freunden treffen, in einer ruhigen Ecke ihre Hausaufgaben und ihren Hobbies nachgehen können.

Ich hatte diese Möglichkeit nicht, umso mehr möchte ich, dass sie die Möglichkeit haben. Innen begegne ich Kai. Er ist Sozialarbeiter und von der Stadt angestellt. „Na, alles klar?" Wir klatschen uns ab. „Anstrengende Schicht hinter mir, aber sonst alles okay." Er bindet sich seine langen, dunklen Haare zu einem Zopf zusammen. Wenn ich die Laune heute hätte, würde ich ihn mit seinen ersten grauen Strähnen in seinem Haar aufziehen, obwohl er noch nicht mal 30 Jahre alt ist, aber mir ist nicht danach.

„Das Holz für das Regal wird jetzt doch erst im Oktober geliefert.", informiert er mich und zieht ärgerlich die Augenbrauen zusammen. „Die Stadt war wohl der Ansicht, dass das Geld woanders besser genutzt werden kann." „Sei lieber froh, dass es überhaupt geliefert wird."

„Hey, Yasin!" Kais Stimme ist ein Donnern. „Lass verdammt noch mal Juan in Ruhe!" Kai läuft zu den zwei Streithähnen hin und reißt sie auseinander. „Ihr seid nicht hier, um euch zu prügeln!"

Ich lasse sie allein und gehe in den kleinen Raum für die Betreuer. Hier können wir uns für kurze Momente zurückziehen, wenn wir von der Meute genug haben. Ich werfe meine Tasche auf die Couch und lasse mich auf ihr nieder. Erschöpft lasse ich meinen Kopf nach hinten auf die Lehne fallen und schließe für einen Moment die Augen.

Ohne es zu wollen muss ich an den arroganten Typen von Samstagmorgen denken, der mit seiner Freundin Anna, die blonde Schönheit mit den langen Beinen, bei uns gefrühstückt hat. Seine Augen sind der Wahnsinn. Es ärgert mich, dass sie mir so lebhaft in Erinnerung geblieben sind, denn er hat mich keine zwei Sekunden lang angesehen. Ich stöhne auf. Und es war auch noch Alexander von Zurrenberg. Ich hatte nicht vor ihn zu googeln, habe es aber doch getan.

Er ist der Sohn von einer der reichsten Menschen der Stadt, Karl Theodor von Zurrenberg. Dessen Vater, Heinrich Otto von Zurrenberg, hat vor rund 50 Jahren das Unternehmen gegründet. Worum es dabei geht, habe ich nicht ganz begriffen. Es hat aber auf jeden Fall mit Gebäuden, Wohnungen und verdammt viel Geld zu tun. Ich lache angesichts der Namen der Familie auf. In solchen Kreisen ist es wohl ein No-go sein Kind Kevin oder Chantal zu nennen.

Ich entscheide, dass meine Pause vorbei ist, und gehe wieder in den Gemeinschaftsraum. In einer stillen Ecke haben wir Tische und Stühle aufgestellt, damit die Kinder ihre Hausaufgaben machen können. Ich helfe den kleineren eine Weile dabei und beantworte ihre Fragen so gut es geht. Als mir Nina eine Frage zu Geometrie stellt, muss ich passen und das ist immer ein Moment, indem ich es bereue, schon in der achten Klasse den Unterricht geschwänzt zu haben. Mit Mühe habe ich den Hauptschulabschluss gepackt, aber wenn man die falschen Freunde und ein miserables Vorbild als große Schwester hat, dann passiert es, ohne einen Realschulabschluss die Schule zu verlassen.

Herbststurm - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt