Kapitel 42 - Alexander

91 6 0
                                    

Das kann heute nur nach hinten losgehen, denke ich, als ich mit Jessy die Stufen zur Eingangstür hinauflaufe. Mein Vater begnügt sich noch immer damit, mich in der Firma größtenteils zu ignorieren, er beschränkt sich darauf, nicht ein Wort mehr als nötig mit mir zu wechseln.

Noch am späten Freitagnachmittag war für den Vorstand ein Meeting angesetzt, noch weiß ich nicht, wie es ausgegangen ist. Aber allein die Tatsache, dass ein Meeting war und die Männer sich über meine Vorschläge Gedanken gemacht haben, verbuche ich als Erfolg.

„Wir müssen da nicht rein.", mache ich einen letzten Versuch, doch noch hier abzuhauen. „Wir bringen das jetzt hinter uns." Jessy fährt mit ihrer Hand über mein Unterarm. „Dieses Treffen ist unausweichlich. Du siehst aus, als hättest du Angst.", sagt sie mit einem schiefen Lächeln im Gesicht.

Das habe ich auch. Meine Eltern werden sie zerfleischen, sie fertig machen, bis sie nichts mehr mit mir zu tun haben möchte. „Bist du denn gar nicht aufgeregt?" Schon die ganze Zeit habe ich das Gefühl, ich sei nervöser als sie.

„Doch, schon. Aber du bist ja da." Sie sieht mich so offen und ehrlich an, dass mir für einen Moment die Luft wegbleibt. „Ich will nicht, dass es zu viel für dich wird.", gebe ich leise zu. An der Beerdigung war sie nicht mehr als eine wandelnde Puppe gewesen, die blind für die Außenwelt in sich zurückgezogen war. Noch am selben Abend, als ich mit zu ihr gegangen war, erzählte sie mir von Selina, und was ihr angetan wurde, als sie ein Kind war.

Jessy stellt sich auf die Zehnspitzen, um meinen Mund zu erreichen. „Es ist nicht zu viel. Ehrlich." Für einen Moment gebe ich mich dem Kuss hin, lasse dieses unglaubliche Gefühl durch meinen Körper gleiten, bis sich das Glück selbst noch zwischen meinen Zehen wiederfindet.

„Bonjour, ca va?" Juliette steht in der geöffneten Tür und betrachtet uns mit einem Lächeln. Sie ist mir also nicht mehr böse. Ich denke an den Sonntag zurück, als ich mit Anna hier stand. Damals habe ich, ganz das Arschloch, das ich war, Anna schon mal vorgeschickt, um Juliette einen Kuss zu rauben. Einfach, weil ich es konnte. Und Spaß daran hatte. Aber das ist vorbei. Ich möchte keine andere als Jessy küssen.

„Hey." Ich schiebe Jessy vor mich in das Haus hinein. Obwohl sie schon einmal wegen der Geburtstagsfeier meines Vater hier war, sieht sie sich staunend um.

„Die Familie ist schon im Esszimmer.", erklärt mir Juliette, ehe sie wieder Richtung Küche verschwindet.

„Bist du bereit?" Ich nehme Jessys Hand und als sie nickt, gehe ich voran zu meiner Familie. Viki begrüßt uns als Erste. „Die Bluse steht dir ausgezeichnet. So hatte ich es gar nicht in Erinnerung." Sie beginnt ein lockeres Gespräch mit ihr. Manchmal habe ich das Gefühl, sie hat einen siebten Sinn dafür, wenn sich Menschen unwohl fühlen.

Ich begrüße Basti mit einem stillen Kopfnicken, Luise umarme ich kurz. Sie trägt einen knielangen Rock mit einer passenden Bluse dazu. Kein Anzeichen darauf, das sie rebellieren würde oder so. Ich achte deswegen darauf, weil mir das Gespräch mit Viki über sie wieder einfällt.

„Maman, du strahlst ja so.", begrüße ich meine Mutter mit Eifer. Sie strahlt eigentlich gar nicht, eher sticht eine Falte zwischen ihren Brauen hervor, aber ich setze auf meinen Charme. Und gewinne. „Du weißt aber auch, wie man die eigene Mutter glücklich macht." Sie küsst mir auf die Wange und ich tue es ihr gleich.

„Du weißt, wie man Frauen um den Finger wickeln kann.", ist nur Papas Kommentar dazu. „Setzen wir uns, wir können gleich essen."

Ich bin mit Jessy keine Sekunde zu früh aufgetaucht. Ich werfe meiner Mutter einen genervten Blick zu, als ich einen Blick auf das Besteck werfe. Wie viele Gänge wird es heute wohl geben? Drei Gabeln, zwei Messer, ein Suppenlöffel?

Herbststurm - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt