Ich wische mir mein verschwitztes Gesicht an meinem T-Shirt ab. „Ihr wart großartig heute.", sage ich schnaufend zu den Kids.
Mit den Kindern gibt es gute und schlechte Tage, aber momentan habe ich das Gefühl, dass die Guten überwiegen. Yasin und Juan streiten sich nicht mehr so oft und Ninas Launen lassen sich aushalten. Selbst Phillip scheint aufgeschlossener zu sein. Mittlerweile redet er sogar mit mir und wirft mir keine böse Blicke mehr zu. Dieser Fortschritt ist vor allem Sebastian zu verdanken, der mindestens einmal die Woche hier ist und Kai und mir unter die Arme greift. Er hat einen Zugang zu Phillip gefunden und sogar Kai bewundert ihn dafür.
„Es ist echt toll wie du hier mithilfst.", sage ich deshalb zu Sebastian. Er zuckt nur die Schultern. „Es ist eine gute Sache und wenn ich hier bin muss ich nicht zu Hause sein." Über sein Gesicht huscht kurz ein Schatten. Nachdem ich sein Vater am Mittwoch im Belle Vue erlebt habe, kann ich mir vorstellen, was er damit meint.
„Geht es Alex besser?", frage ich und beiße mir sofort auf die Lippe, weil ich wie eine liebeskranke Freundin klinge. Alex hat zwar gesagt, dass er mich anrufen würde, aber er hat es noch immer nicht getan.
„Besser? Keine Ahnung. Ich bekomme nicht so viel mit." „Oh, klar. Er wollte nur anrufen...", murmle ich vor mich her und wende mich zum Gehen.
„Hey, Alex hat immer viel um die Ohren. Außerdem leben wir im 21. Jahrhundert. Du kannst ihn auch mal anrufen." Er wirft mir einen wissenden Blick zu. Es stimmte also, als Alex sagte, er hat das mit uns seinen Geschwistern erzählt.
„Okay, alles klar." „Wieso fragst du? Ging es ihm nicht gut?" Aus Sebastians Stimme höre ich leichte Panik heraus. „Er meinte nur, er habe einen grippalen Infekt. Es hat ihn wohl schlimmer erwischt als gedacht."
Wir beginnen die Tische und Stühle zurechtzuschieben. „Naja, für morgen hat er noch nicht abgesagt. Begleitest du ihn?" „Wohin begleiten?", frage ich und komme mir dabei dumm vor, weil ich ahne, was Sebastian darauf antworten wird. „Am Samstag, morgen. Das Firmendinner im Hotel." Ich schüttle den Kopf. „Nein, ähm, wir haben besprochen, dass er allein hingehen wird.", lüge ich, um mein Gesicht zu wahren. Gleichzeitig macht sich Wut in meinem Bauch breit. Alex hat noch nicht mal was von einem Firmendinner erwähnt und weil es anscheinend in einem Hotel stattfindet, wird das Belle Vue auch kein Catering übernehmen, sodass ich deswegen auch nichts davon mitbekommen habe.
„Dann wünsche ich dir ein schönes Wochenende.", verabschiedet er sich von mir. „Danke." Die letzten Kinder räumen ihr Zeug zusammen und verabschieden sich ebenfalls.
Ich schließe mich im Betreuerzimmer ein, damit ich mich in Ruhe wieder umziehen kann. Unter normalen Umständen wäre ich in den Leggins nach Hause gelaufen, aber ich muss noch Geld abheben.
Morgen Abend ist Zahltag. Ich schulde Carlos noch Siebentausend. Wenn er jede Woche 500 Euro fordert, dann geht das noch 14 Wochen so. Das sind über drei Monate. Ich will, dass es endlich vorbei ist und ich nach vorne schauen kann. Davon mal abgesehen, dass das Geld bald knapp wird. Und ich möchte Pierre nicht schon wieder um einen Vorschuss bitten. Vor allem, weil ich ihm den wahren Grund dafür nicht nennen kann.
Ein kleiner Teil von mir hat überlegt Alex davon zu erzählen. Ich bin überzeugt davon, dass er die Schulden sofort für mich bezahlen würde.
Aber ich will es allein schaffen. Aber ich kann nicht. In zwei Wochen wird das Geld knapp. Ich überlege ernsthaft, Alex zu fragen, ob er mir das Geld geben kann, das ich ihm dann wieder zurückzahlen kann. Jeden Cent. Meinetwegen auch mit Zinsen.
So habe ich dann wenigstens das Gefühl, Carlos die Schulden aus eigenem Geld bezahlt zu haben.
Ich packe mein Zeug zusammen und trete mit Kai kurze Zeit später nach draußen.
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Herbststurm - Zurrenberg Romance
RomanceSie kämpft um das tägliche Überleben und hängt ihren Träumen nach. Er ist mit einem goldenen Löffel im Mund geboren und buhlt um die Anerkennung seines Vaters. Jessica und Alexander führen ein Leben aus zwei verschiedene Welten und treffen durch Zuf...