Die letzten Tage kommen mir unwirklich und seltsam vor. Ich wohne wieder mit Anna in der Wohnung. Wir schlafen im selben Bett. Als wäre nie etwas zwischen uns vorgefallen. Anna macht alles, um mich glücklich zu machen.
Sie schaut mit mir wortlos die Wirtschaftsnachrichten, sie lässt meine Sporttasche, die ich absichtlich im Flur herumstehen lasse, kommentarlos liegen und sie gibt mir keine Widerworte, wenn ich eine Sache anders sehe. Sie stimmt mir zu, ohne eine eigene Meinung zu haben.
So wie es sich für eine gute Freundin gehört, würde mein Vater sagen.
Ich finde ihre Abstinenz zum Haare raufen. Das ist nicht die Anna, in die ich mich verliebt habe.
Ich habe mich damals in eine Anna verliebt, die mit mir geflirtet hat, unanständige Dinge ins Ohr geflüstert hat, wenn wir bei ihren Eltern zu Besuch waren und die mir ihre eigene Meinung sagt und vor Temperament glüht.
Aber jetzt ist sie nur noch ein schwaches Abbild ihrer selbst. Und es macht mich wütend.
Ein weiterer Beweis dafür, dass sie mich nicht reizen möchte, ist, dass sie mir keine Krawatte für Samstagabend auf das Bett gelegt hat.
„Wie sehe ich aus?" Ich knöpfe gerade mein Hemd zu und ich sehe zu Anna auf, die sich für mich einmal um sich selbst dreht, damit ich sie von allen Seiten betrachten kann.
Das lange hellrote Kleid umspielt ihre Kurven und bringt ihr helles Haar zum Leuchten.
„Du siehst wie immer wunderschön aus." Das sieht sie wirklich.
Aber ich spüre noch immer nicht diese Anziehung wie noch vor drei Monaten. Vor drei Monaten war ich schier verrückt nach Anna und hätte alles für sie getan.
Vor meinem geistigen Auge taucht immer wieder Jessica auf, die ich mit ihren hellbraunen Haaren, ihrer zierlichen Gestalt mit diesem knackigen Hintern und den Beinen, die ich vergöttere, einfach nicht vergessen kann.
Und ich kann sie nicht einfach so loslassen. In meinem Magen kribbelt es angenehm, als ich an unsere Küsse denke. Aber mein kurzes Hochgefühl wird von schweren Schuldgefühlen geplagt.
Ich habe sie angelogen. Mehrmals. Anna war weder verreist, noch suche ich eine Wohnung. Nur das Golf spielen war nicht erfunden. Und ich bekomme das Gefühl nicht los, dass sie mir was Wichtiges erzählen wollte.
„Lass mich das machen." Anna nestelt an meinen Hemdknöpfen herum und versucht sie zu schließen. Von der plötzlichen Nähe bin ich überrumpelt, also bleibe ich einfach stillstehen. Aber als sie sich vorbeugt und auf meine linke Brust kleine Küsse verteilt, gehe ich einen Schritt zurück und halte sie ab. Viel lieber würde ich Jessys Lippen spüren, ihre Zunge, die kurz hervorschnellt.
Und was Anna überhaupt nicht verdient hat, ist, dass ich von einer anderen Frau eine Erektion bekomme, wenn ich mit ihr zusammen bin. Ich atme zischend aus und Anna deutet die gesamte Situation falsch. Sie streckt sich zu mir herauf, um mich zu küssen, aber ich bewege meinen Kopf noch rechtzeitig zur Seite. Es ist ein verzweifelter Versuch, die Distanz zwischen uns zu überbrücken.
„Ich strenge mich an, Alex, wirklich. Du könntest mir bei dieser Sache aber auch mal entgegenkommen. Damit wir das wieder hinkriegen." Sie zieht sauer die Augenbrauen zusammen und zeigt damit, dass sie doch noch ein wenig Temperament in ihr steckt. Ich beiße die Zähne zusammen. „Und ich habe gesagt, ich brauche Zeit." Ich stürme an ihr vorbei, um mein Jackett überzuziehen. Ich benötige nur so viel Zeit, bis ich ein Schlupfloch im wasserfesten Plan meines Vaters gefunden habe, und ich das Unheil und die damit verbundene Katastrophe abwenden kann.
Um mit Jessy glücklich zu sein.
„Fährst du nicht mit dem Wagen?" Anna dreht sich fragend zu mir um, als ich im Aufzug nicht auf den Knopf für die Tiefgarage drücke. „Nein." Ich schiebe meine Hände tief in die Hosentaschen. „Heute Abend werde ich nicht mehr in der Lage sein zu fahren."
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Herbststurm - Zurrenberg Romance
RomanceSie kämpft um das tägliche Überleben und hängt ihren Träumen nach. Er ist mit einem goldenen Löffel im Mund geboren und buhlt um die Anerkennung seines Vaters. Jessica und Alexander führen ein Leben aus zwei verschiedene Welten und treffen durch Zuf...