Kapitel 39 - Jessica

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Er spielt Für Elise und sieht mir direkt in die Augen. Ich erinnere mich an die schönen Momente mit ihm zurück und mein Herz wird ganz schwer. Mein Vorhaben, ihn aus mein Leben zu verbannen, wird mit jeder Sekunde schwieriger umzusetzen.

Warum macht Alex das? Warum spielt er dieses Stück, wenn er doch in wenigen Augenblicken Anna einen Antrag machen soll.

Warum macht er es uns so schwer? Er sagte, er würde um uns kämpfen, aber ich weiß nicht, ob ich dazu noch bereit bin.

Ich wische mir wütend die Tränen aus den Augen. Warum kann er es nicht dabei belassen, dass es aus ist zwischen uns?

Wir hatten zusammen eine unvergessliche Zeit und nun sollten wir getrennte Wege gehen. Jeder in sein eigenes Leben wieder zurückfinden.

Die Menschen applaudieren lautstark, als Alex vom Flügel aufsteht und wieder zu seinem Tisch zurückkehrt.

Weil ich mit Louisa tauschen konnte, bediene ich einen Tisch, der am weitesten von Alex entfernt ist. Ich könnte es nicht über mich bringen, ihm sein Essen mit einem aufgesetzten Lächeln zu servieren.

Sobald es im Saal etwas ruhiger geworden ist, betritt Alex Vater die Bühne. Groß und selbstbewusst nimmt er das Mikrofon in die Hand. Augenblicklich wird es so still, dass man eine Nadel auf den Boden fallen hören könnte.

Entweder haben alle einen großen Respekt vor ihm oder sie haben Angst.

Er dankt den Gästen, die heute Abend erschienen sind, Pierre, weil er die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hat, und zuletzt einigen Mitarbeiter, wohl hohe Tiere, weil es mit der Firma so gut läuft.

Zu mir und Patrick gesellen sich nun auch Louisa und Paul. Es ist eine kleine Verschnaufpause, in der wir uns ausruhen können. Wir stehen an der Wand und am weitesten von der Bühne weg.

Mein Herz fängt wie wild an zu schlagen, als er Alex auf die Bühne bittet. Er solle die jährliche Rede übernehmen. Dabei benutzt er auffällig oft das Wort Zukunft.

Wie von selbst suchen meine Augen Alex. Anna, die heute einer goldenen Elfe gleicht, so hübsch ist sie, stupst ihn mit dem Ellenbogen an.

Mein Inneres schreit mich an, von hier zu verschwinden. Ich möchte das nicht mit ansehen. Aber meine Beine gehorchen mir nicht. Sie sind wie auf der Stelle mit dem Boden verwachsen, sodass ich mich keinen Zentimeter fortbewegen kann.

Uns so blicke ich mit hämmernden Herzen zur Bühne herauf, die Alex nun für sich beansprucht. Mit seinen breiten Schultern und seiner schmalen Gestalt scheint er wie gemacht für diesen Smoking.

„Die diesjährige Rede soll ich übernehmen. Obwohl mein Vater noch lange nicht daran denkt, das Zepter aus der Hand zu nehmen, ist es an der Zeit, an die Zukunft zu denken..." Wieder Zukunft. Alex redet flüssig und in einem angenehmen Ton. Er blickt auf das gesamte Jahr zurück, lobt die Firma in höchsten Tönen und bringt das Thema Weihnachten und die damit verbundene Stimmung mit in der Rede ein.

Er räuspert sich und sein Blick schweift kurz ins Publikum – vielleicht zu Anna? – ehe seine Augen sich an die Wand über mich heften.

Er schaut auf die Uhr? Was hat das zu bedeuten? Es ist zehn Minuten vor Zehn.

Alex gerät ins Stocken, wiederholt seinen letzten Satz und verstummt schließlich. Er ist es gewöhnt vor Menschen zu sprechen, an Aufregung kann es nicht liegen.

Dann dämmert es mir. Es ist so weit. Jeden Moment wird er Anna auf die Bühne bitten. Mir ist schlecht, aber meine Füße wollen sich noch immer nicht von hier fortbewegen. Alles was ich tun kann, ist Alex anzustarren.

Herbststurm - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt