Kapitel 34 - Alexander

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Nach London zu kommen ist immer aufregend. Immer gibt es Neues zu betrachten, die Stadt scheint immer in Bewegung zu sein.

Aber in einer Sache ist London immer zuverlässig. Das Wetter.

Auch heute regnet es wieder einmal, der Himmel wird von grauen Wolken bedeckt.

Vielleicht mag ich die Stadt deswegen so sehr. Was das Wetter betrifft gibt es keine böse Überraschungen. Und von denen habe ich in meinem kurzen Leben schon genug gehabt.

Schmunzelnd betrachte ich Jessy, die sich an der Fensterscheibe beinahe die Nase plattdrückt. Genauso während des Fluges. Kurz hatte ich Bedenken, dass der Wochenendtrip ins Wasser fallen würde, weil sie so nervös vor dem Flug war. Aber sobald wir in der Luft waren, hat sie sich entspannt und aufgeregt aus dem Fenster geschaut.

„Das sind unglaublich alte Gebäude, oder?" Ich sehe zu den alten Mauern. „Hier in London gibt es viel mehr alte Gebäude als bei uns. Auch kriegsbedingt. Es gibt aber auch eine moderne Seite von London." Sie hört mir kaum zu, sie ist viel zu sehr damit beschäftigt, alle Eindrücke in sich aufzusaugen. Ich sehe ihr lächelnd zu. Es macht mich unheimlich glücklich, ihr eine so große Freude mit dem Wochenende zu machen.

John wohnt in einer etwas ruhigerer Gegend im Westen der Stadt. In guter britischer Manier steht er mit einem dunklen Regenschirm am Bordstein, um uns in Empfang zu nehmen. Wir haben uns nicht mehr gesehen seit ich mich von ihm verabschiedet habe vor etwa einem Jahr. Seitdem haben wir nur ein paar Mal telefoniert.

Er begrüßt mich überschwänglich mit einer festen Umarmung. „Wir haben uns lange nicht gesehen! Gut siehst du aus!", sagt er auf Englisch und ich klopfe ihm freundschaftlich auf den Rücken. Ich freue mich ihn zu sehen. Er ist mir ein guter Freund geworden, während ich in der Stadt war. Seine dunkelbraunen Haare trägt er etwas länger, aber sein breites Grinsen ist wie immer dasselbe.

Ich ziehe Jessy an meine Seite und stelle sie ihm vor. Falls er verwundert darüber sein sollte, dass nicht Anna neben mir steht, sondern Jessy, lässt er es sich nicht anmerken. Er begrüßt sie mit einem ebenso warmen Lächeln wir mich.

Schnell verziehen wir uns nach drinnen, damit wir der Kälte entkommen.

Ich laufe mit den Taschen hinter Jessy her, die sich für die Einladung bedankt. „Er versteht auch deutsch. Mehr als er zugibt. Er ist nur zu faul, auf Deutsch zu antworten.", sage ich leise zu ihr. Ich hoffe, die Sprachbarriere macht ihr nicht zu viel zu schaffen.

„Schon okay. Im Restaurant muss ich manchmal auch ins Englische wechseln." Eine ärgerliche Falte erscheint zwischen ihren Augenbrauen. „Oder glaubst du, ich könnte nicht so gut Englisch? Weil ich die Schule geschmissen habe?"

Ich versuche mir nichts anzumerken und zucke lässig die Schulter. „Das wollte ich nicht sagen. Ich kenne nur einige Menschen – studierte Menschen – die Sprachschwierigkeiten haben. Ich wollte dich nicht angreifen."

Fakt ist, dass ich genau das gedacht habe. Sie war auf einer öffentlichen Schule und hat sogar abgebrochen – viele Englischkenntnisse wird sie dort wohl nicht aufgeschnappt haben.

Ich ermahne mich, die Welt nicht zu engstirnig zu betrachten. Sonst werde ich noch wie meine Eltern.

Johns Wohnung im zweiten Stock ist recht groß, größer als meine Zuhause. Neben einer Küche mit Wohnbereich gibt es zwei Zimmer, die John für sich beansprucht hat und noch ein Gästezimmer, in dem er Jessy und mich unterbringt.

Für ihn ist es nur selbstverständlich, seine Gäste in den gleichen vier Wänden unterzubringen und sie nicht in ein Hotel abzuschieben.

„Packt in Ruhe aus. Ich koche heute Abend." John geht zurück zur Küche. Ich schließe die Tür hinter mir. Jessy steht mit dem Rücken zu mir und betrachtet das, in der Mitte des Raums stehende, Bett.

Herbststurm - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt