Nele
Ich bin nach Hause gerannt. Es gibt schon Essen, als ich ankomme, aber ich schlinge es diesmal nicht so runter wie alle anderen. Mir ist der Appetit vergangen. Man schaut mich mitleidig und besorgt an, aber ich beteuere, dass alles gut sei. Was aber nicht stimmt.Am Abend, als alle schlafen, krame ich das Buch heraus und schlage es ehrfürchtig auf. Bei uns würde man die Schreiberin als Heldin bezeichnen.
Ich sehe, dass die Reihenfolge falsch ist und lese weiter. Genau an der Stelle, wo Mike zerfleischt worden war, hat die Geschichte davon aufgehört. Wahrscheinlich hatte sie das überlebt...
Die Ereignisse sind also davor passiert, bevor sie starb:Ich weiß nicht wie lange ich gerannt bin, doch die Straßen sind apokalyptisch. Überall liegt Schutt, Häuser zerbombt. Doch es waren keine Bomben gewesen. Sondern Feuermagier.
Mein Körper von Angst durchflutet, versuche ich allen Magiern, die die Straßen durchforsten um die letzten Menschen in der Stadt zu töten auszuweichen. Meine Angst steigt, als die Gefahr immer höher wird.
Und ich bin noch ein Kind! Was soll ich machen? Tränen rollen über meine Wangen, mein Mal brennt höllisch. Ich fasse an die Stelle und unterdrücke einen Schrei. Es tut so weh!
Taumelnd suche ich nach einem sicheren Unterschlupf. Es gibt aber Menschen. Zumindestens sind keine zu sehen. Nur ab und zu gellen Schreie in meiner Nähe, die mich jedesmal zusammenzucken lassen. Ich schlucke.
Irgendwann bemerke ich ein einigermaßen heiles Haus. Ich schlüpfe hinein, darauf achtend, ja keinen Ton zu machen. Ich könnte jederzeit entdeckt werden und direkt sterben.
Die Kellerstufen sind aus Holz und knarzen fürchterlich. Bei der Mitte kracht die Stufe plötzlich in sich durch und ich falle. Entschlossen, dem Tod nicht ins Auge zu blicken, schließe ich die Augen. Vielleicht würde der Tod schnell gehen. Vielleicht auch nicht.
Als ich aufkomme, zieht es nur in den Beinen und an den Ellebogen. Ich lebe noch. Ich lebe!
Ich öffne die Augen und erkenne durch den Tränenschleier Prellungen an meinen Beinen. Als ich danach meine Ellebogen inspiziere, sehe ich auch dort aufgerissene Haut. Doch ich lebe.
Der Jubel ist von kurzer Dauer, denn ein Mann kommt auf mich zu und schaut auf mich herunter. Ist er ein Magier?
,,Nur ein Kind. Kein Magier.", ruft er in einer fremden Sprache.
,,Schön. Schön. Schön.", antwortet jemand und tritt aus dem Schatten. Die Angst schnürt mir die Kehle zu. Wer sind die? Wahrscheinlich Menschen.
,,Ein Kind. Wie lange ist her dass wir eins gesehen haben?", fragt die Frau, die aus dem Schatten getreten war, sich eher selbst. ,,Ihr seid Menschen.", will ich mich nochmal vergewissern.
,,Ja, das sind wir.", ,,Und was spricht er für eine Sprache?", forsche ich nach.
,,Niederländisch." Die Frau zuckt mit den Achseln. ,,Wieso... Was macht ein Holländer hier?", ,,Die Magier sind an der Macht Schätzchen. Nicht wir. Und da müssen Menschen zusammenhalten. Das ist die einzige Möglichkeit zu Überleben. Und die uns bleibt." Die Frau zeigt mit dem Finger auf eine verrostete, eiserne Tür. ,,Komm.", fordert sie mich lächelnd auf. Erst jetzt bemerke ich ihre Brandwunden. So wird es also zugehen...
Ich folge Ihnen.
,,Willkommen im Untergrund. Dort wo Menschen Zuflucht finden."Ich lächle. Die Schreiberin fand nun endlich den Untergrund. Es stimmt. Dort finden Menschen Zuflucht. Doch so wie man Verbündete findet, kann es auch Verräter geben.
Ich starre nachdenklich gegen die Wand. Ich bin auch auf der Flucht gewesen, habe aber kein Mal. Plötzlich bekomme ich Angst. Ich will nicht sterben. Nicht jetzt. Nicht durch Magie.
Ich lege das Buch zur Seite und lasse meinen Blick über meine Gruppe schweifen: Alles angsterfüllte, normale Menschen, die Angst vor jeder Nacht und jedem Tag haben. Sie könnten jederzeit entdeckt und getötet werden.
Ich nehme das Buch wieder in meine Hand und lese weiter:Ich staune. Es ist ein Gewölbe von riesigen Tunneln und Räumen. Die Frau geht eine steinere Treppe runter und ich tue es ihr nach. Menschen kommen auf sie zu. Sie reden durcheinander, doch ich kann Wortfetzen raus hören: ,,Tot.",
,,Erik!", ,,Was sollen wir tun?"
,,Ruhe, Ruhe!", brüllt die Frau. Direkt sind alle ganz Ohr.
,,Erik wird nicht mehr zurückkommen, ich weiß. Doch wir dürfen nicht aufgeben! Taten wir dass, als wir noch an der Macht waren?" Stille, danach zustimmendes Gemurmel.
,,Wir geben nicht auf! Eines Tages werden wir hervorkommen und uns wehren. Doch jetzt erstmal müssen wir einfach zusammenarbeiten. Wir sind Menschen. Und wir sind alle gleich!"
Diese Worte prägten mich. Ich behandele alle so wie sie sind. Doch es gibt so gut wie keine Kinder. Ich bin sozusagen das einzige im Untergrund. Doch so wie ich andere behandele, behandeln sie sich mich genauso. Ja, manchmal ist es schwer, aber man kann es nicht jedem recht machen.
Doch als ich sechzehn bin, tritt ein Gestaltwandler die Tür auf. Er hat uns entdeckt. Ein neuer Verrat? In seinen Augen sehe ich nur reine Gier nach Blut und Verderben. Er verwandelt sich in einen Wolf, seine Zähne gefletscht. Angstschweiß läuft meinen Rücken hinunter. Als ich schon in meinen eigenen Tod blicke, schmeißt sich jemand auf die Bestie. Ein Junge, ungefähr so alt wie ich. Der Gestaltwandler schüttelt sich und der Junge fällt einfach ab. Der Wolf dreht sich von mir weg und will sich auf sein zweites Opfer stürzen, doch ich reagiere schnell.
Schon habe ich eine Metallstange in der Hand und schlage den Wolf damit auf den Kopf. Wirkungslos.
Entsetzt knurrt die Bestie und springt. Panisch krabbele ich zurück, stoße gegen die Steinwand und packe einen spitzen Stein. Dann ritze ich den Bauch des Gestaltwandlers auf und er winselt nur kurz. Dann fällt er wie ein Sack auf den Boden. Die Augen vom Schock weit aufgerissen robbe ich über den Boden. Blut bleibt an meiner Hose hängen, doch ich ignoriere es und schaue den Jungen an. ,,Wie heißt du?", frage ich.
,,Lucas.", antwortet er. ,,Wieso hast du das gemacht? Du müsstest doch wissen, dass du gegen so ein Biest keine Chance hast.", ,,Ich weiß nicht." Er guckt weg und ich fixiere ihn.
,,Danke.", bedanken wir uns gleichzeitig und lächeln. Ein wohles prickeln durchfährt meinen Körper. Und ich habe einen Freund gefunden.Ich frage mich, wann Mike und Matthias zu ihr stießen. Lucas wurde nicht genannt, dabei war er bei ihrem Tod anwesend gewesen.
Mit diesen Gedanken schiebe ich das Buch vorsichtig unter das Drahtgestell namens Bett und schließe die Augen. Morgen würde ich weiterlesen. Und wissen, was danach passierte...
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Deadline for Humans
FantasiDie Ära der Menschen ist vorbei: Magier erheben sich wieder und rächen sich für die Opfer der Hexenverbrennung. Der Anführer: Lucius Mainheart. Ob er gestürzt werden kann und das Gleichgewicht der Welt wiederhergestellt werden kann? Niemand kann es...