Die erste Träne

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"Was?", fragte ich ziemlich laut und erschrak beim Klang meiner eigenen Stimme.
"Warum? Ich meine... Du hast doch nur gesagt, dass du ihn überprüfen wolltest! So schlimm kann das doch gar nicht sein, oder? Ja ich weiß, dass er in seiner Vergangenheit ein paar Sachen gemacht hat, die nicht gerade korrekt waren, aber er hat sich geändert! Er ist nicht mehr die gleiche Person! Das damals zählt doch nicht! Das ist Vergangenheit! Das hast du selbst gesagt!", ratterte ich schnell runter und beobachtete Julien. Er wirkte unsicher.
"Ich weiß Charly!", sagte er dann und blickte mich an. "Und ich glaube es dir sogar. Ich meine, ich mag ihn nicht sonderlich, aber... Mann ich weiß doch auch nicht was ich machen soll, verdammt! Töte ich ihn nicht, riskiere ich vielleicht, dass der Rat mich für unfähig hält und dir einen neuen Hunter zur Seite stellt. Töte ich ihn, verliere ich dich!"
Ich barg das Gesicht in den Händen und holte tief Luft. Das durfte nicht wahr sein. Das war ein Traum! Ein böser Traum! Aber wenn das ein Traum war, sind Julien und ich nicht zusammen. Ach Mist!
Das hier war doch alles Unsinn!
"Und jetzt?", flüsterte ich nach einiger Zeit leise in den Raum. Ich traute mich nicht Julien in die Augen zu sehen, aus Angst Entschlossenheit darin zu sehen. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass er lieber Chris tötete als zu riskieren, dass man ihn an meiner Seite ersetzte. Und ich wusste, dass er es machen würde. Auch wenn ich ihn danach hassen würde. Es wäre ihm egal.
Ich erinnerte mich noch ziemlich genau an seine Worte:
'Du solltest aber wissen, dass ich ihn töten werde, wenn ich herausfinde, dass er eine Gefahr für dich ist.'
Schließlich sah ich doch in seine Augen. Und erschrak. Da war sie: die kalte Entschlossenheit.
Er erwiderte nichts auf meine Frage, sondern stürmte nur an mir vorbei in sein Schlafzimmer. Natürlich lief ich ihm hinterher. Eine böse Vorahnung beschlich mich, die noch bestätigt wurde, als ich sah, dass Julien seine Jacke überzog und sich danach wieder an mir vorbeidrängte.
"Julien!", rief ich und folgte ihm.
Aber er hörte mich nicht. Oder wollte mich nicht hören. Er würde gehen, wurde mir klar und auch, dass ich das nicht zulassen konnte.
Ein lauter Knall riss mich aus meinen Gedanken. Julien riss sämtliche Schubladen in der großen Anrichte im Flur auf und suchte nach seinen Schlüsseln.
Schneller als mir lieb war, hatte er ihn gefunden und marschierte Richtung Tür. Nebenbei griff er noch nach meinem Schlüssel und steckte ihn in seine Jackentasche. Warum machte er das denn jetzt? Er wollte mich doch nicht ernsthaft hier einschließen, oder?
Bevor er an der Tür ankam, überholte ich ihn und stellte mich in den Türrahmen. Die Hände an beiden Seiten ausgestreckt, damit er auch ja keine Chance hatte an mir vorbeizukommen.
"Charly! Geh mir aus dem Weg!", knurrte er gefährlich, sah mir aber nicht in die Augen.
"Nein!", stellte ich klar.
Die Schatten der Nacht malten dunkle Zeichen auf sein Gesicht. Um uns herum war es dunkel. Nur der Mond erhellte das Loft.
"Charly bitte!", flehte er. Aber freiwillig würde ich mich nicht von der Stelle bewegen.
"Das ist meine Familie! Chris ist ein Teil davon!", wisperte ich und versuchte ihm in die Augen zu sehen, aber er wich meinem Blick aus.
"Bitte Charly! Mach es mir nicht noch schwerer, als es eh schon ist.", Meinte er leise und ich sah, wie seine Hand sich zu einer Faust verformte.
Wenn er jetzt ging würde er meine Familie zerstören. Jo fehlte bereits. Ich konnte nicht auch noch Chris verlieren. Okay er war manchmal ein Idiot. Aber dieser Idiot war so etwas wie mein großer Bruder.
Mit Tränen in den Augen legte ich meine Hand unter sein Kinn und drehte es in meine Richtung, aber er schloss die Augen.
"Julien! Sieh mich an!", bat ich sanft.
"Ich kann nicht.", behauptete er leise.
"Wenn ich jetzt in deine Augen sehe, weiß ich, dass ich es nicht schaffen werde zu gehen."
Bei seinen Worten lächelte ich leicht, denn ich zweifelte nicht an ihnen.
"Dann geh nicht!", schlug ich hoffnungsvoll vor. Doch ich wusste es hatte keinen Sinn.
In diesem Moment öffnete er seine Augen und unsere Blicke trafen sich. In seinen konnte ich meinen Schmerz erkennen. Allerdings nur kurz, denn dann erschien der Hunter auf seinen Zügen und ich schreckte zurück. Meine Hand ließ ich langsam senken. Es war eine Geste die nur wenige Sekunden dauerte, aber mir kam der Augenblick vor, als würden Stunden an uns vorbeiziehen.
Wir standen einfach nur hier und blickten einander an.
In meinen Augen die stumme Bitte, nicht zu gehen. Hier zu bleiben.
In seinen, die Drohung. Ich wusste, dass ich ihn provozierte. Das hier vor mir war nicht mehr mein Julien. Es war der Hunter, der nicht Zögern und gegen meinen Willen handeln würde. Auch wenn das hieß, dass er mich verletzen oder einsperren musste.
"Verdammt Julien!", versuchte ich es ein letztes Mal. "Bleib hier!"
Er schüttelte den Kopf. "Vergiss es!"
"Warum machst du es uns so kompliziert?" Die Frage war mehr an mich gerichtet und trotzdem hörte er sie.
"Ich mache gar nichts kompliziert! Ich bin nun mal wer ich bin! Ein Monster! Ein Mörder! Verstehst du Charly?", fragte er gefährlich leise. Aber ich wusste er versuchte nur mir Angst zu machen.
"Ja Julien. Ich weiß ganz genau wer du bist und ich liebe genau diesem Mann und keinen anderen!", gestand ich vorsichtig. Sein Blick veränderte sich und dann beugte er sich vor, bis unsere Lippen sich berührten. Unser Kuss wurde immer leidenschaftlicher und wir gingen langsam rückwärts ins Richtung Schlafzimmer. Ich klammerte mich an ihn und versuchte ihn so zu überzeugen, nicht zu gehen. In seinen Schlafzimmer stoppten wir und ich drehte mich um, um schnell meinen Pullover auszuziehen, als Julien plötzlich leise "Es tut mir leid, Minette." flüsterte. Verwirrt drehte ich mich zu ihm, um gerade noch zu sehen, wie er die Türe zuzog und von außen den Schlüssel im Schloss herumdrehte. Er hatte mich eingesperrt. In seinem Schlafzimmer.
"Julien! Mach sofort diese Türe wieder auf!", brüllte ich und trommelte gegen das Holz, das uns trennte.
"Versteh doch! Ich muss das tun!", sagte er leise und danach hörte ich Schritte im Flur und das die Wohnungstür zufiel. Er war fort. Er hatte mich tatsächlich dazu gekriegt ihn gehen zu lassen.
Als draußen ein bekannter Motor aufheulte, brauchte ich nicht nachzusehen um zu wissen, dass der Camaro gerade die Straße entlangfuhr.
Wie hatte ich nur so naiv sein können. Wenn Chris jetzt etwas passierte, könnte ich mir das nie verzeihen.
Was jedoch noch mehr schmerzte, war Juliens Verrat. Meine Brust fühlte sich an als zerquetschte jemand sie in der Faust. Das Atmen fiel mit jedem Zug schwerer. Ich stand noch immer an der gleichen Stelle und starrte die Tür an, vor welcher Julien noch vor wenigen Minuten gestanden hatte.
Mit trockenem Hals schluckte ich und ignorierte das Brennen in meinen Augen. Wenn das Julien war, dann wollte ich ihn nicht! Ich wollte MEINEN Julien. Nicht den Hunter.
Das Zimmer war dunkel. Der Mond leuchtete zum Fenster hinein und spiegelte sich in der gläsernen Front des Kleiderschranks. Ich war allein. Julien war weg. Chris... darüber wollte ich nicht nachdenken. Ich schloss die Augen und wartete darauf das irgendwas passierte. Dass Julien zurückkam. Dass er sich entschuldigte. Dass das gerade niemals passierte wäre.
Aber nach ein paar Minuten in denen nichts passiert war, atmete ich laut aus. Er würde nicht zurückkommen.
Die erste Träne verließ meine Augen und lief einsam über mein Gesicht.
Und Der Schmerz in meiner Brust schien mich fast zu zerdrücken.

Heyo ihr lieben!
Schreibt mir in die Kommis was ihr von dieser Seite an Julien haltet und wie Charly eurer Meinung nach reagieren sollte!
Das Kapitel widme ich wie bereits dem besten Kommentar vom letzen Update und das wäre:
Dorkalicious
Hoffe ich hab's richtig geschrieben!
;-)

Eure

Anna-Lena

Schattenkette (PAUSIERT!)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt