Flucht

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"Das Handy auf dem Tisch.", sagte Aiden leise und nickte mit dem Kopf Richtung Tisch. "Nimm es und such nach Juliens Nummer."
Schnell griff ich danach und tat wie mir geheißen. Aiden ließ seinen Blick über das gläserne Dach gleiten. Seine Gesichtszüge waren hart und konzentriert. Das verhieß alles nichts gutes! Ganz im Gegenteil. Mit zitternden Fingern scrollte ich durch seine Kontakte und atmete schließlich erleichtert auf, als ich Juliens Namen entdeckte.
"Habs." Meine Stimme war leise und dünn.
"Okay, dann schick ihm eine SMS mit folgenden Zahlen...", befahl er stimmlos.
Ich tippte auf das entsprechende Symbol und sah abwartend zu Aiden.
"Drei Sechs Vier Acht.", flüsterte er und lief zu einem Schrank an einer der gegenüberliegenden Wänden. Gekonnt zog er einen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete den Schrank, während ich die Zahlen eingab und die Nachricht versendete.
"Wofür stehen die Zahlen?", fragte ich, als ich vorsichtig durch die Halle geschlichen war und nun neben ihm stand.
Aiden bedachte mich mit einem komischen Blick und ließ den Schlüssel wieder in seiner Tasche verschwinden.
"Absoluter Notfall.", erklärte er dann und riss die Tür des Schranks auf. Ich versuchte noch zu realisieren was da gerade passierte, als Aiden mir einen langen Dolch in die Hand drückte.
"Hier. Und jetzt geh ins Bad und zieh deine Kleidung an und vor allem deine Schuhe und beeil dich!", forderte er und ich drückte ihm den Dolch wieder in die Hand.
"Den werde ich dabei nicht brauchen.", erklärte ich und rannte los.
Ich weiß, dass ich eigentlich fragen sollte was los war. Oder warum er so nervös war. Aber ich wusste, dass dort draußen etwas, oder besser jemand, auf uns wartete dem ich nach Möglichkeit nicht gegenübertreten wollte.
Beinahe riss ich mir Aidens Kleidung vom Leib und warf sie in die Ecke. Wenn wir hier gesund herauskommen würden, würde er es mir mit Sicherheit verzeihen.
Schnell sammelte ich meine eigenen Stücke von der Heizung und schlüpfte so schnell es ging hinein. Sie waren nicht mehr so nass wie zuvor, aber auch noch nicht ganz trocken. Aber klamme Kleidung war momentan mein kleinstes Problem.
Danach sprang ich ihn die Schuhe und riss keine Sekunde später die Badezimmertüre auf.
Aiden kam auf mich zu. Das Schwert hing um seine Hüfte und um in seinem Rücken kreuzten sich zwei lange Dolche. Erneut presste er mir den Dolch in die Hand. "Vergiss es.", fuhr ich ihn. Egal was da draußen auch sein mochte, ich würde gewiss niemanden verletzen oder gar erstechen.
Ich versuchte ihm den Dolch zurückzugeben, aber er wich nach hinten aus.
"Du wirst nicht zögern, diese Waffe zu benutzen, verstanden? In meiner Welt sieht es ein bisschen anders aus, als in deiner. Bei uns bringen Diskussionen nichts. Ich musste früh lernen, dass man kämpfen muss um zu überleben. Und du wirst das jetzt lernen! Stich zu bevor dein Gegner es tut. Versuch die Brust zu erwischen." Er sah mich eindringlich an und wusste ganz genau, dass mir der Gedanke jemand anderem wehzutun nicht behagte.
"Du oder Er, verstanden?", wiederholte er.
Ich nickte und ließ zu, dass er mir eine Scheide gab. Seufzend nahm ich sie, steckte den Dolch hinein und klemmte das ganze mir hinten in den Hosenbund. Es musste ja nicht gleich jeder sehen, dass ich wie eine wahnsinnige mit einem Dolch durch die Gegend lief.
"Gut. Dann lass uns abhauen. Wir haben nicht mir viel Zeit.", verkündete er und lief voraus zu der Tür hinter der sich die Garage befand wie ich gleich feststellen sollte. Einige teure Autos standen hier, doch Aiden schien nicht einmal daran zu denken, eines von ihnen zu benutzen um zu fliehen.
"Warum können wir uns nicht einfach hier drinnen verbarrikadieren?", wollte ich wissen, während wir durch den dunklen Raum schlichen.
"Damit rechnet er und dann würde er uns einfach herausscheuchen, wie Ratten die ein sinkendes Schiff verlassen. Er müsste nur warten und dann hätte er uns.", erklärte er und ich gab ihm im Stillen Recht.
Wir verließen das Gebäude durch eine kleine Tür an einer Seite der Garage. Das Haus war in Hanglage erbaut worden, so dass wir jetzt eine Etage tiefer waren, als bei unserer Ankunft.
Obwohl es vormittag war, war der Himmel dunkel und die Sonne war nirgends zu sehen. Schwere Gewitterwolken hatten sich vor jegliches Blau geschoben und verdunkelten die Welt. Der Regen fiel gleichmäßig und schwer auf uns nieder und ich war innerhalb weniger Sekunden wieder komplett durchnässt.
Aiden half mir den rutschigen Hang hinauf, da ich keinen Schritt machen konnte ohne auszurutschen. Als ein Blitz den Himmel erleuchtete, schreckte ich allerdings vor ihm zurück. In seinem Gesicht lag derselbe Ausdruck wie in Juliens, wenn er sich in den Hunter verwandelte. Kalt, hart und ohne Gnade.
Offenbar merkte Aiden, dass er mir Angst machte, denn er lächelte aufmunternd und reichte mir die Hand. Doch der kalte Ausdruck in seinen Augen blieb. Während er uns durch die ganzen Gebäude lotste fühlte ich mich mit jedem Schritt unbehaglicher. Ich spürte Augen die sich in meinen Rücken brannten und uns verfolgten.
Aiden sah sich immer wieder um und hatte die Hand am Griff seines Schwertes.
Die großen Hallen malten dunkle Schatten auf den Boden und die gläserlosen Fenster verängstigen mich jetzt noch mehr, als vor knapp einer Stunde.
"Er ist nicht alleine.", flüsterte Aiden irgendwann und drückte mich in eine uneinsehbare Nische in einem der Gebäude. Keine Sekunde zu früh, denn ein Schatten tauchte vor uns auf und stellte sich auf die Stelle an der wir eben noch gestanden hatten.
Ich hielt den Atem an und hoffte, dass niemand mein viel zu schnell schlagendes Herz hören konnte. Aiden stand vor mir und drückte mir die Hand auf den Mund, lauschte angestrengt und ließ den dunklen Umriss nicht aus den Augen, während seine andere Hand zu seiner Waffe wanderte.
Die Angst die ich in diesem Augenblick verspürte, war unbeschreiblich. Dafür konnte man keine Worte finden.
Es waren nur Sekunden die wir so verharrten, bis der Schatten wieder verschwand und trotzdem fühlte es sich an wie eine halbe Ewigkeit.
Langsam löste Aiden seine Hand von meinen Lippen und warf einen kurzen Blick auf sein Handy. "Julien ist auf dem Weg. Er wird dich abholen."
"Und was ist mir dir?", fragte ich entsetzt.
"Ich bleibe hier. Das ist mein Loft. Wenn Maxim auch nur ein Teil anfasst und nicht auf den Millimeter passend wieder zurückstellt, hacke ich ihm jeden einzelnen Finger ab.", knurrte er und spähte aus der Nische um zu überprüfen ob uns keine Gefahr drohte.
Geduckt liefen wir auf das nächste Haus zu, aber mein Bauch sagte mir, dass uns genau in dieser Richtung Gefahr drohte. Meine Füße waren kurz davor zu streiken. Aber ich lief trotzdem hinter Aiden her. Er wusste schon was er tat und wo es ungefährlich war. Mir blieb ja auch nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen. Also würde ich genau das jetzt tun. Keuchend suchten wir hinter einer schmalen Wand Schutz. Rechts war ein Fenster, links ebenfalls. Alles schien ruhig.
Doch dann hörten wir plötzlich Stimmen und Schritte. Jemand brüllte laut Kommandos.
Aiden und ich tauschten einen Blick aus.
Wir wussten genau wer dort drinnen lauerte.
Bedächtig schluckte ich.
Aiden deutete mir genau dort zu bleiben wo ich war. Und dagegen hatte ich ehrlich gesagt nichts einzusetzen. Ich war nicht sehr scharf drauf, durch ein Fenster zu sehen nur um auf der anderen Seite auf Maxim zu stoßen.
Er kroch ein Stück nach links und spähte vorsichtig hinein. Wenige Sekunden später kam er zurück.
"Sieht nicht gut aus. Es sind zu viele. Alleine kommen wir da nie durch.", erklärte er. Langsam ließ er sich mit dem Rücken die Wand hinuntergleiten, bis er schließlich neben wir an der Wand saß.
"Ja und jetzt?", fragte ich aufgebracht und musste mich zeitgleich zusammenreißen um nicht laut zu werden.
"Ich habe eine Idee. Aber du musst mir vertrauen.", meinte er dann und kniete sich vor mich.
"Okay." Ich nickte. "Ich mach alles. Ich will nur hier weg."
"Gut, dann bleib einfach hier sitzen und in genau fünf Minuten läufst zur Straße. Julien wird dich sehen. Verstanden?" Er sah mich eindringlich an, dann löste er die Uhr von seinem Handgelenk und gab sie mir.
"Fünf Minuten. Ich werde sie ablenken. Und dann läufst du. Ich weiß, dass du schnell bist.", ermunterte er mich.
"Warte... Woher weißt du das?", wollte ich verwirrt wissen und strich mir die nassen Haare aus dem Gesicht. Der Regen übertönte unsere Stimmen und trotzdem mussten wir leise sein.
"Ich musste doch wissen, mit wem Julien sich rumtreibt. Ich brauchte doch schließlich ein wirksames Druckmittel damals im Wald.", lachte er leise und zwinkerte mir zu.
"O-Okay.", piepste ich unsicher und nickte erschreckt. Ich wollte gar nicht wissen, was er noch alles wusste.
Er grinste mich spitzbübisch an und tippte mit dem Zeigefinger auf die Uhr.
"Fünf Minuten. Nicht vergessen. Ab jetzt.", erinnerte er mich und tätschelte mir aufmunternd aufs Knie. Danach war er weg. Und ich war alleine.
Der Regen fiel gleichmäßig und mit jedem Tropfen der auf dem Kopfsteinpflaster aufschlug wuchs meine Angst. Meine Finger klammerten sich um die Uhr und ich fühlte mich, als würde ich sterben vor Angst.
Mein Blick klebte auf den Zeigern der Armbanduhr, aber irgendwie wollten sie einfach nicht weiter vorrücken. Über mir donnerte es und ich schreckte zusammen.
"Nur ein Donner.", redete ich mich selber leise ein.
In meinem ganzen Leben waren mir Fünf Minuten noch nie so lange vorgekommen. Es war ein Albtraum.
Und dann war es soweit. Der Sekundenzeiger hatte fast seine Runde gemacht. Drinnen war es ruhig geworden. Das hieß wohl, dass Aiden sein Ziel erreicht hatte.
Ich atmete tief durch und rappelte mich auf. Das hieß ich wollte es...
Als sich plötzlich ein paar Schuhe in mein Blickfeld schoben.
"Hallo Charly!"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 10, 2015 ⏰

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