Einer für mich. Einer für dich

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"Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Hast du überhaupt dabei nachgedacht?", schrie Jass mich an. Aber sie hatte ja Recht. Ich hätte ihr erzählen müssen, was passiert war.
"Die Polizei klingelt hier und erzählt mir mal eben, dass du Hauptzeugin im Mordfall von Jonas Kreuzer bist. Aber sie dich leider nicht finden, weil du mit deinem Freund besseres zu tun hast. Verdammt Charlotte! Jo ist tot!" Bis eben war sie noch ziemlich laut gewesen aber jetzt, wurde sie immer leiser.
"Jo ist tot.", flüsterte sie und Tränen rollten ihr über die Wangen. Mir war bewusst, dass sie und Jo ein besonderes Verhältnis zu einander hatten und es war mir irgendwie auch klar, das es nicht nur Freundschaft oder Sorge um mich war, dass die beiden verband.
"Jass, es... es tut mir leid. Ich... Der Wagen war plötzlich da und dann kam der Schuss. Ich hab versucht ihm zu helfen. Sein Blut klebte an meinen Händen.", rechtfertigte ich mich leise.
Sie holte tief Luft und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht.
"Ja Charly. Ja ich habe ihn geliebt. Mehr als du die vorstellen kannst. Als die Polizei mi sagte, dass er tot sei und du vermisst wirst, ist in mir etwas zerbrochen. Ich habe ihn geliebt und jetzt ist er fort." Sie schniefte und sank auf einen Küchenstuhl. Mit feuchten Augen ging ich zu ihr und umarmte sie. Erneut krochen Schuldgefühle in mir empor, aber ich schluckte sie wieder runter. Die Kette um meinem Hals wurde so schwer wie mein Gewissen und leitete eine leichte Kälte durch meinen Körper. Ich fröstelte.
"Es tut mir leid, Jass. Ich vermisse ihn auch." Meine Worte drangen in ihrer Trauer wahrscheinlich nicht weit zu ihr vor, aber ich wollte bei ihr sein und ihr zeigen, dass sie nicht allein war.
"Charly.", stöhnte sie und wir lösten uns nach ein paar Minuten.
"Bitte geh zur Polizei und mach deine Aussage. Jo hätte es auch so gewollt."
Bei dem Gedanken an die Polizei kroch das Bild von Maxim der mit der Waffe auf mich zielte, wieder vor meinem inneren Auge hervor.
Nach kurzem überlegen, hauchte ich ein leises "Okay." und ging danach in mein Zimmer. Hinter mir hörte ich, dass Jass wieder anfing leise zu weinen. Es tat mir leid, aber ich war nicht in der Lage ihr zu helfen. Denn ich musste erst einmal mit meinem eigenen Schmerz fertig werden. Jass half es offensichtlich, wenn sie weinte. Mir half es, nicht darüber nachzudenken und weiterzumachen. Mein Anfall bei Julien auf der alten Burg hatte gereicht. Solange dass hier nicht vollständig geklärt war, würde ich es mir nicht erlauben zu trauern.
In meinem Zimmer atmete ich tief aus. Danach nahm ich meine Schwarze Reisetasche und packte neue Kleidung, Waschzeug, ein paar Klaviernoten, mein Handy, IPod, Kopfhörer und ein Bild von mir in die Tasche.
Auf dem Bild war ich gerade wenige Stunde alt und lag in den Armen meiner Mutter. Es war das einzige Foto, dass ich von ihr hatte und es waren auch nur ihre Arme. Aber besser als nichts.
Auf der Unterseite ihres rechten Handgelenks war ein schwarzes, filigranes Zeichen eintätowiert.
Vor ein paar Jahren hatte ich eine Phase in der ich unbedingt wissen wollte, wer ich bin, wo ich herkam, wer meine Eltern waren. Damals hab ich überall alte Unterlagen durchforstet, Leute befragt, das Rathausarchiv unsicher gemacht. Aber alles blieb erfolglos. Irgendwann war ich sogar soweit, dass ich jeden Tattooladen in meiner Stadt nach diesem Tattoo befragt hab, was einmal ziemlich in die Hose gegangen wäre, wenn Jonas mich nicht rausgeholt hätte.
Ich wusste nicht, wie lange ich gerade auf meinen Bett saß, das Bild in der Hand hielt und darauf starrte.
"Wir sind wieder da!", rief Max aus dem Flur.
"Und wie war's?", fragte Jass mit nasaler Stimme. Wahrscheinlich war ich die einzige, die merkte, dass es Jass eigentlich ziemlich übel ging.
"Hallo Frau Riemann.", hörte ich Julien und kurz darauf erklangen Schritte im Flur. An meiner Zimmertüre wurde geklopft und Julien betrat mein Zimmer.
Schnell sprang ich auf und schloss den Reißverschluss meiner Tasche.
"Fertig?", Julien hustete leise und nahm mir die Tasche aus der Hand.
"Fertig!", antwortete ich und nahm meinen Ersatzschlüsselbund von der Kommode und gab ihn Julien. Mein eigener war in der Hosentasche.
"Der ist für dich.", entschied ich und legte ihn in Juliens Hand.
"Was ist das?" Verwirrt zog er die Augenbrauen in die Höhe.
Ich zuckte mit den Achseln. "Einer für mich. Einer für dich."
Er lächelte und küsste mich.
"Eine für dich. Einer für mich.", wiederholte er seufzend.

Hey!
Das war's mal wieder.
Hoffe es hat gefallen.

Eure

Anna-Lena

Schattenkette (PAUSIERT!)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt