DREISSIG

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Vorsichtig nippte ich immer wieder an dem Getränk, in dem aus einem mir nicht ersichtlichen Grund, eine herrenlose Kirsche umherschwamm.

„Also, woher kennst du das Prachtexemplar?" Stella warf bei dieser Frage einen sehr eindeutigen Blick in Richtung Treppenaufgang, wo Carter in bester Militärmanier stand. Hände auf dem Rücken verschränkt. Bauch rein. Brust raus.

„Wir waren eine Weile Nachbarn." Diese Info musste reichen, fand ich. Nur war Stella anderer Meinung.

„Und wie ist er so?", brüllte sie in mein Ohr.

„Schwierig."

Die Antwort war einsilbig, schon klar, nur hatte ich wirklich keine Lust, unentwegt über den Lärm hinweg zu brüllen.

„Schwierig, wie im Sinne von... lass es lieber sein", setzte ich hinzu. Von Stella erntete ich für meine Einschätzung einen Blick aus ihren funkelnden Augen, der andeutete, dass sie diese Herausforderung gerne annehmen würde. Trotz der Warnung musterte sie Carter weiterhin über ihren Drink hinweg, als wäre er ein Appetithäppchen.

„Aber er wäre evolutionär betrachtete perfekt, um unseren Nachwuchs zu beschützen. Ich mag starke Männer."

Wer mochte sie nicht, diese fettfreien, durchtrainierten Typen, die mit einem Messer zwischen den Zähnen und Marschgepäck auf dem Rücken Strecken schwimmen konnten, die ich nicht mal im Badeanzug bewältigte.

„Er war bei den Marines. Bei 'nem Einsatz ist was schiefgegangen. Carter wurde dabei verletzt und hat seither einen Knacks", vertraute ich Stella an. „Ich kann dir wirklich nur abraten."

„Na gut, du hast mich überzeugt. Ein Mann mit Knacks in der Familie ist mehr als genug."

Vielsagend sah sie zu ihrem Bruder, der sich zu zwei Typen gesellt hatte, die mir aus der Uni vage bekannt vorkamen.

„Hast du Lust zu tanzen?", fragte Stella fast übergangslos.

„Klar, immer!" Ich zwinkerte ihr zu.

„Dann trink mal aus. Was dauert denn bei Dir so lange?"

Sie stellte ihr Glas auf dem niedrigen Tischen ab.

„Kommt ihr mit?", erkundigte sie sich bei Nora und Felicity, was mich sofort veranlasste, ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken. Meine nicht ganz geheimen Wünsche wurden erhört, denn beide schüttelten den Kopf und deuteten auf die Bühne. Klar, sie wollten ihre Inspiration nicht verpassen. Was ein Glück, dass ich nicht in dem Workshop war, sondern bei Nicolai tanzte. Was mich zu einer dringenden Frage brachte, die ich Ian stellen musste, wenn wir uns beim Projekt sahen. Ich verstand nicht, warum er nicht Nicolai oder Zoe um Unterstützung bat. Das dürfte an sich für die beiden kein Problem sein.

„Träumst du mit offenen Augen?" Stella wedelte vor meiner Nase herum. „Jetzt trink endlich aus. Wir holen uns unten Nachschub."

Stella trippelte voraus, nachdem ich endlich das Glas geleert hatte und ich folgte ihr auf die vollgestopfte Tanzfläche. Hier unten war es enger als im Bus und dampfiger als in einer Sauna. Wirklich bewegen konnte man sich da nicht. Langsam fragte ich mich, warum Davis und seine Freunde ständig in irgendwelche Clubs wollten. Toll fand ich das alles nicht. Aber wenn ich schon mal hier war... Innerlich zuckte ich mit den Schultern und fing an, mich zur Musik zu bewegen, sehr vorsichtig nur, damit ich niemanden anrempelte.

Stella, die vor mir tanzte und mich verschmitzt anlächelte, war da weit weniger zimperlich. Mit ihren Armen machte sie ausladende Bewegungen und verschaffte uns dadurch ein bisschen Platz. Allerdings ließ sich nicht jeder davon abschrecken, wie sie wild herumzappelte. Ein Typ in etwa unser Alter plus ein oder zwei Jährchen, fand Stellas kurzes Kleid anziehender als ihre Armbewegungen abstoßend. Aufdringlich tanzte er sie an und allmählich verstand ich, was Ian mit dem Schild meinte, das sich Stella umhängen sollte. Innerhalb kürzester Zeit war sie umringt von paarungshungrigen Männern, die um die Gunst der hübschen Blonden buhlten. Sie brüllten ihr Dinge ins Ohr, tatschen mal hier und mal dorthin. Der Mutigste von ihnen, legte irgendwann seine Hände auf ihre Hüften und damit waren die anderen aus dem Rennen und trollten sich schließlich.

BLINDFOLDED - Blindes VertrauenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt