Finn. Die Erinnerung an ihn traf mich wie ein Keulenschlag und hastig drehte ich das Wasser ab. Neben der Dusche tastete ich nach dem hellblauen Handtuch in der Hoffnung, es war okay, wenn ich das erneut benutzte. Vorsichtig tappte ich Richtung Spiegel, wo meine Brille lag. Prompt verhakte ich mich jedoch in Teilen meiner Kleidung. Strauchelnd versuchte ich Halt zu finden, fasste aber ins Leere. Mit dem Ellbogen rempelte ich hart gegen den Waschtisch. Ein Kribbeln schoss vom Ellbogen bis in meine Finger. Das war ein echter Volltreffer gewesen.
„Scheiße!", jaulte ich auf und rieb über die schmerzende Stelle.
Ordnung halten, Anna! Kann nicht so schwer sein, oder?
Wenn diese gehässige Stimme mal die Fresse halten könnte und sich in meinem Kopf nicht wie Davis...
„Anna? Bist du okay? Hast du dir weh getan?"
Klar, selbst Ian hielt mich für den größten Tölpel. Wen wunderte es?
„Ja, alles gut. Ich hab nur... egal! Passt schon!", stammelte ich eine Antwort zusammen. Brillant. Ein Tölpel und obendrein zu bekloppt einen sinnvollen Satz zu bilden.
„Ich hab dir Kleidung vor die Tür gelegt. Bist du sicher, dass..."
Gereizt unterbrach ich Ian.
„Mir geht es super! Wirklich!"
„Okay, dann ist ja gut." Seine Schritte entfernten sich. Zischend holte ich Luft. Von wegen gut. Mein Ellbogen schmerzte wie die Hölle!
Mit der Brille auf der Nase wurde schnell klar, dass mir ein Jeansbein zum Verhängnis wurde. Was legte ich Blindschleiche auch meine Klamotten auf den Boden! Ich war in meinem Leben oft genug über mein eigenes Zeug geflogen, um daraus am Ende zu lernen, könnte man meinen. Aus der hinteren Hosentasche fischte ich das Handy und blickte auf die winzige Anzeige der Uhrzeit. Drei vor sechs.
„Hey, Finn. Tut mir leid, dass ich dich versetzen muss. Bin nass bis auf die Haut", textete ich schnell. Stimmte auch, rede ich mir ein. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gefühl, weil ich ihn versetzte.
„Das tut mir sehr leid. War nicht meine beste Idee, uns dort zu treffen. Nimm ein heißes Bad oder so. Vielleicht können wir uns im Laufe der Woche sehen?"
Mit klopfendem Herzen starrte ich auf das Display. Auf die Tür hinter der Ian rumorte. Ian, der mich geküsst hatte.
„Ich melde mich bei dir", schrieb ich unverbindlich, steckte das Handy weg und öffnete dann die Badtür einen winzigen Spalt weit, nur eben genug, damit ich den Stapel Kleidung ertastete.
Ein dicker flauschiger Hoodie, der bei mir als Minikleid durchgehen konnte und eine dunkelgraue weiche Jogginghose. Diesmal kein Höschen einer Verflossenen. Seufzend hob ich meinen Slip mit spitzen Fingern vom Stapel.
Weil die Hose viel zu lang war, schlug ich den oberen Bund einmal um, damit sich nicht Unmengen Stoff um meine Knöchel bauschten, dann schlüpfte ich in den weichen Sweater, der innen angeraut war. Bei dem dicken Stoff fiel es kaum auf, dass ich keinen BH trug, beschloss ich nach einem prüfenden Blick in den Spiegel und wagte mich dann mit Herzklopfen nach draußen in den kleinen Flur, wo ich stehen blieb und lauschte.
Wegen der dichten Wolkendecke sickerte nur wenig Helligkeit in den winzigen Raum und füllte ihn nur spärlich mit Licht, dafür aber mit dem volltönenden Geräusch prasselnden Regens auf der Glasscheibe. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich mir fast einbilden, ich würde in unserem Trailer stehen und die geschäftigen Geräusche aus der Küche würden von meiner Granny stammen. Meine Phantasie reichte weit genug, mir den Geruch des Schwarztees vorzustellen, den wir tranken, wenn mein Grandpa wegen eines Wolkenbruches früher von einer Baustelle nach Hause kam.
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BLINDFOLDED - Blindes Vertrauen
RomanceManchmal muss man blind vertrauen: Anna findet Ian unerträglich. Selbstverliebter Mädchenschwarm. Der Mittelpunkt seines Universums. Rauchender Partygänger, der Gott und die Welt kennt. Genau der Typ, den Anna meidet wie der Veganer das Fleisch. Doc...