Wie durch ein Wunder schaffte ich es in mein Zimmer, erreichte das Bett, ohne mir die Füße an Stellas Eigentum, das über den Boden verteilt lag, zu brechen und bewerkstellige es obendrein, mir bequeme Kleidung aus dem Schrank zu suchen. Auf dem Bett, mit verschränkten Beinen, fühlte ich mich sicher, nahm mein Handy zur Hand und hielt es so nahe vor das bessere meiner Augen, dass ich im Menü die Sprachsteuerung aktivieren konnte.
„Anna?", fragte mich Davis, als er ans Telefon ging. Er klang alarmiert, fast besorgt. Wenn ich ihn freiwillig anrief, stand in meiner Welt die Apokalypse kurz bevor.
„Ich brauche mein Geld, Davis", überfiel ich meinen Stiefbruder und hasste es, dass die Worte wie eine Bitte klangen, nicht wie die berechtigte Forderung, die sie waren. Ich hasste es, dass meine Stimme dünn klang und zittrig. Noch mehr hasste ich, wie eisig meine Finger wurden, die ich um das Handy krampfte und wie mein Herz raste. Ich hasste meine Abhängigkeit von ihm.
„Ich hab es noch nicht, Anna. Sorry."
Er klang total gelangweilt, als würde er nebenbei irgendwas anderes machen, das ihn völlig fesselte und sofort hätte ich vor Wut durch die Decke gehen können. Wenn ich ihn jetzt anschreie, legte er sofort auf.
Durchatmen.
Ruhig Blut bewahren.
„Davis, bitte. Ich brauche eine neue Brille. Vom Grunde her sogar zwei!", erklärte ich gefasster, als ich es vor vier Sekunden für möglich gehalten hätte.
„Hättest halt besser aufpassen müssen", rügte Davis gehässig. Meine Wut breitete sich erneut in meinem Magen aus wie Säure. Diesmal schaffte ich es nicht, meine Stimme neutral halten.
„Darum geht es nicht. Sag mir lieber wie ich die Brille bezahle", blaffte ich ihn an.
„Keine Ahnung. Ich überleg mit was, okay?"
Um Geduld bemüht kniff ich mit der freien Hand in meine Nasenwurzel.
„Meine Güte, Davis! Wir reden nicht über den vollständigen Betrag. Nur einen Teil will ich zurück. Ein paar hundert Dollar! Die ich nicht bräuchte, wenn du dich damals besser im Griff gehabt hättest", erinnerte ich ihn, erreichte damit aber lediglich, dass er auch sauer wurde.
„Anna, stress mich nicht. Ich überleg mir was."
Er klang aggressiv, weil er sich in die Ecke gedrängt fühlte. Und obwohl ich wusste, dass er unglaublich weit weg war, hoppelte mein Herz wegen der Auseinandersetzung wie ein ängstliches Häschen.
„Was auch immer, Davis, es muss schnell gehen. Die Brille ist in ein paar Tagen fertig!", jammerte ich.
Ein Brummen erklang. Nach einer Pause hörte ich, was er für eine Lösung hielt: „Okay, ist gut. Ich leih mir Geld bei einem der Typen hier. Aber komm jetzt nicht jede Woche an, weil du Kohle brauchst!"
Die Aussage konnte ich nur mit einem Schnauben quittieren. Mit einem Anfall von Mut, der für mich völlig uncharakteristisch war, bot ich ihm die Stirn.
„Es ist mein Geld, Davis. Du wirst mir schlecht vorschreiben können, wie oft ich danach frage."
Einen Augenblick war es still in der Leitung.
„Ich gebe mir Mühe, Anna, wirklich", hörte ich von ihm.
Mühe. Darüber konnte ich nur die Augen verdrehen, wollte den brüchigen Frieden aber nicht ruinieren.
„Okay", lenkte ich ein. „Dann zeig deinen guten Willen mal und überweis wenigstens einen Teilbetrag."
Wie viel ich auf seine folgende Zusicherung geben konnte, wusste ich nicht. Ich durfte nur nicht die Hoffnung verlieren. Schließlich war ich zum größten Teil selbst schuld an meiner finanziellen Misere. Niemand hatte mich gezwungen, Davis den Arsch zu retten.
DU LIEST GERADE
BLINDFOLDED - Blindes Vertrauen
RomanceManchmal muss man blind vertrauen: Anna findet Ian unerträglich. Selbstverliebter Mädchenschwarm. Der Mittelpunkt seines Universums. Rauchender Partygänger, der Gott und die Welt kennt. Genau der Typ, den Anna meidet wie der Veganer das Fleisch. Doc...