Der Samstag kam schneller, als mir lieb war und damit nicht nur der Abschied von Davis, sondern auch ein anstrengender Nachmittag im Projekt, dem ein langer Vormittag in der Bücherei voranging. Und meine Schonfrist, was Ian anging, war damit auch vorbei. Schon als ich die Tür aufdrückte, kam ich nicht umhin, seine Anwesenheit zu bemerken. Lautstark stritt er sich mit Zoe. Offenbar hatte er schon wieder Stunden geschwänzt und wenn ich Zoes Tirade richtig deutete, hatte sie es bereits gemeldet.
„Jetzt sitzt der Gute echt in der Scheiße", kommentierte Biscuit neben mir. „Gegen Bewährungsauflagen zu verstoßen, ist nie eine gute Idee."
Auf seinen Besen gestützt, mit dem er bis eben noch den großen Saal ausgekehrt hatte, blickte er in die gleiche Richtung wie ich. In dieser lag das Büro. Unter die zornige Stimme der Tänzerin und die aufgebrachte von Ian, mischte sich dort der Bariton von Nicolai in dem Bemühen die Wogen ein wenig zu glätten und mit Vernunft zu Ian durchzudringen, wo Zoes emotionale Art scheiterte.
Viel Erfolg schien der Russe mit seiner abgeklärten Art nicht zu haben, denn Sekunden später stürzte Ian mit einem „Ach leck mich!", aus dem Raum und rauschte an uns vorbei, ohne auch nur „hallo" zu sagen.
„Hat sich da jemand verzockt?", kommentierte Carter staubtrocken Ians rasanten Abgang. Biscuit nickte weise zu der Äußerung und fuhr dann mit dem Kehren fort. Mein Blick blieb jedoch an der Tür hängen, durch die Ian soeben verschwunden war.
„Alles okay?", erkundigte sich Carter leise, nachdem sich Elaine verabschiedet hatte und mit einem der anderen Mädchen in der Umkleide verschwunden war.
Ich zuckte ratlos mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Ist grad alles ein bisschen viel. Am Dienstag hat er mir noch Hühnersuppe gebracht. Und jetzt kann er nicht mal hallo sagen?"
Carter hob belustigt einen Mundwinkel.
„Hühnersuppe?", echote er. „Na, das muss wahre Liebe sein", neckte er mich und legte tröstend einen Arm um meine Schulter. „Jetzt weiß ich endlich, warum ich noch immer Single bin. Ich dachte bisher, es reicht, gut gebaut zu sein."
„Katzenbabys, Carter. Das ist der Schlüssel zum Erfolg", wies ich ihn auf den Schwachpunkt seiner Argumentationskette hin.
„Wie jetzt?" Irritiert sah er mich an.
„Naja, heiße Typen gibt es im Internet zu Hauf, aber kaum haben sie ein Katzenbaby auf dem Arm, flippen die Frauen aus und liken wie verrückt. Welpen gehen aber notfalls auch."
„Nur damit ich dich richtig verstehe, Anna... Du siehst dir im Netz heiße Typen an?" Er zog tadelnd eine Augenbraue hoch. „Mit Katzen? Oder bist du eher der Hundetyp?", erkundigte er sich mit viel zu viel Interesse.
„Ich bin allergisch gegen Katzen", gab ich schnippisch zurück. Meine Hoffnung, ihn damit abzuwimmeln musste ich sehr schnell begraben. Seine nächste Aussage wirkte schon fast bedrohlich auf mich.
„Das beantwortet noch nicht alle meine Fragen, aber wir können später auf das Thema zurückkommen, wenn ich Elaine abhole. Mach's gut, Anna!"
Kopfschüttelnd sah ich Carter nach, wie er davonschlenderte. Gott möge mich davor bewahren, dass er dieses Thema weiter vertiefen wollte!
Gott hatte kein Mitleid mit mir. Pünktlich zum Ende der Stunde lehnte Carter an der gegenüberliegenden Wand des Tanzsaales und scrollte durch sein Handy. Als er mich rauskommen sah, schenkte er mir ein breites Lächeln.
„Du hast absolut recht. Hunde bringen es voll. Schau dir mal den Typen an. Der Vollpfosten hat Tausende Likes, nur weil er oben ohne mit seinem Köter auf der Couch kuschelt."
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BLINDFOLDED - Blindes Vertrauen
RomanceManchmal muss man blind vertrauen: Anna findet Ian unerträglich. Selbstverliebter Mädchenschwarm. Der Mittelpunkt seines Universums. Rauchender Partygänger, der Gott und die Welt kennt. Genau der Typ, den Anna meidet wie der Veganer das Fleisch. Doc...