SIEBENUNDDREISSIG

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Vor der Tür blieb ich kurz stehen und scannte die Umgebung, dann machte ich mich flott auf den Weg zum Bushäuschen. Ein bisschen komisch war es schon, mutterseelenalleine durch ein fremdes Viertel zu laufen, wo einen niemand kannte. Noch komischer war es aber, sich in ein Bushäuschen zu stellen, in dem bereits drei Typen standen. Alle drei trugen Hoodies, deren Kapuzen sie über den Kopf gezogen hatten, wodurch ihre Gesichter im Dunkeln lagen. Trotzdem sah ich, wie sie mich mit den Blicken taxierten, mich für uninteressant befanden und sich wieder einander zuwendeten. Ihnen per se zu misstrauen, weil sie ein bisschen abgefuckt rumliefen, war nicht in Ordnung und von Vorurteilen geleitet. Auch dass sie Alkohol aus Brownbags tranken und sich eine Kippe teilten, sollte meine Meinung nicht beeinflussen, oder?

Trotzdem konnte ich in diesem Augenblick nicht raus aus meiner Haut und versuchte den Männern nicht zu viel Aufmerksamkeit zu widmen, was sie provozieren oder auf blöde Ideen bringen konnte. Gleichzeitig wollte ich sie aber im Auge behalten und fragte mich, warum ich nur eine Dose mit Reizgas hatte. Ich hatte schließlich zwei Hände!

Wie auch immer. Als der Bus anhielt, war ich froh, dieser unangenehmen Situation zu entfliehen und mit meinem Spiegelbild als einzige Gesellschaft auf verschlungenen Buslinienpfaden zur Uni zurückzufahren.

Mein knurrender Magen wurde von Haltestelle zu Haltestelle ein ungeduldigerer Gesprächspartner. Als ich endlich am Ziel war, hatte ich den Verdacht, dass ich bereits meine Magenschleimhaut verdaute. Trotzdem zählte ich meine Schritte bis zum Eingang des Wohnheims, damit mir die Wege in Fleisch und Blut übergingen. Nur für den Fall der Fälle.

Das Zimmer lag, wie am Samstag zu erwarten, in stiller Dunkelheit vor mir, als ich die Tür öffnete. Dennoch erwarteten mich, als ich Licht machte gleich zwei Überraschungen. Zum einen lag ein Brief knapp hinter der Türschwelle auf dem Boden. Weitaus mehr überrumpelte mich jedoch das grüne Kleid, das auf einem Drahtbügel, umhüllt von einer dünnen Folie, an meiner Schranktür hing. An dem Schwanenhals des Bügels war mit einer Kordel ein in Seidenpapier eingeschlagenes Päckchen befestigt.

Mit dem Fuß drückte ich die Tür hinter mir zu, ließ die Tasche mit der Sportkleidung achtlos vor meinem Bett fallen und trat mit klopfendem Herzen an das Kleid heran. So viele Erinnerungen tauchten mit dem Kleid zusammen auf. Erinnerungen an den Abend im Club und an einen Ian, der mich trotz meines peinlichen Benehmens nicht im Stich gelassen hatte.

Ich ahnte bereits, was in dem Paket war, wollte es aber genauer wissen. Vorsichtig löste ich das Klebeband von dem zarten Papier und wickelte den Inhalt aus, der mir zusammen mit einem kleinen gelben Post-it entgegenfiel.

Hey Anna,

ich war nicht sicher, wie man Dessous wäscht, also hab ich sie lieber auch in die Reinigung gebracht.

Viele Grüße,

I.

Die Frau bei der Annahme der Sachen hatte bestimmt ihre helle Freude, als Ian mit dem Kleid und meiner Spitzenunterwäsche am Tresen stand. Ein anderer hätte sich sicher geniert, aber Ian, da war ich felsenfest überzeugt, hatte das souverän gemeistert. Bestimmt schaffte er es sogar, Tampons zu kaufen, ohne vor Scham zu sterben.

Mit einem Grinsen im Gesicht räumte ich die Spitzenunterwäsche in mein Schrankfach und hängte das Kleid an die Stange. Die Haftnotiz, die noch auf dem dünnen Einwickelpapier der Reinigung lag, klebte ich innen an die Schranktür. Dann zog ich mein Handy hervor, um mich bei Ian zu bedanken. Erst als ich durch die Liste der Nummern scrollte, dämmerte mir ein kleines nicht unbedeutendes Detail. Ian war hier. In diesem Zimmer. Der Ian, der angeblich gestern und heute zu krank war, um beim Projekt zu erscheinen.

Hey! Vielen Dank, dass Du mir die Sachen gebracht hast. Tut mir leid, dass ich mich nicht selbst darum gekümmert habe. Weiterhin gute Besserung, scheinst auf einem guten Weg zu sein.

BLINDFOLDED - Blindes VertrauenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt