Carters Schweigen dehnte sich. Erst nur unendlich und dann noch ein kleines Stück weiter und meine Nerven gingen mit, bis sie zum Zerreißen gespannt waren. Um die unangenehme Stille mit Aktivität zu füllen, wischte ich mit dem Handballen über meine Tränenspuren.
„Kannst du mir bitte meine Handtasche rausbringen? So möchte ich nicht mehr reingehen", bat ich Carter leise. Sofort fuhr er mich wieder an.
„Was bin ich? Dein Dienstbote? Geh mit mir essen. Nein, doch nicht. Hol meine Tasche. Was kommt denn als nächstes? Fahr mich nach Hause?" Kopfschüttelnd drehte sich Carter weg und stapfte zur Tür. „Hol deine Tasche selber oder wartete hier bis ich fertig gegessen hab. Ich lass mir nicht irgend so einen Scheiß unterstellen und trag dir zum Dank noch den Arsch nach!"
Leise schnaubte ich.
„Klar. Dein Charakter ist über jeden Zweifel erhaben!"
Kurz warf Carter mir einen giftigen Blick über die Schulter zu, dann murrte er etwas, das nach „Diva" klang und verschwand im Inneren des Gastraums. Verblüfft blieb ich zurück und starrte auf die Tür, die leise hinter ihm zu schwang. Ein paar Minuten stand ich blöd auf dem Gehsteig herum um langsam aber sicher, wurde mir bewusst, dass er es ernst meinte. Er würde nicht zurückkommen und verheult wollte ich nicht mehr reingehen. Kalt wurde es langsam auch. Und dämmriger. Die ersten Beleuchtungen der umliegenden Geschäfte und Bars erwachten summend zum Leben, während ich meine Arme um mich schlang. Mein dünner Häkelpulli war eher hübsch als warm und ich fühlte bereits diese unangenehme Spannung in meinen Muskeln, die bei mir immer kurz vor dem Zittern einsetzt. Um mich warm zu halten, aber auch zur Ablenkung, lief ich zur nächsten Straßenlaterne, umrundete sie, lief am Eingang vorbei bis zur nächsten, umrundete auch diese und ging wieder zurück zur ersten. Wieviel Zeit auf diese Weise verstrich wusste ich nicht, aber in meiner Phantasie hatte Carter zusätzlich zu seinem Essen auch meinen Burger verschlungen und bestimmt noch Kaffee bestellt. Oder diese Pancakes mit Vanilleeis. Schon bei dem Gedanken daran verknotete sich mein Magen vor Hunger.
„Deine Tasche. Deine Jacke." Vor Schreck zuckte ich zusammen, als Carter mir mein Zeug vor die Füße fallen ließ. „Das Geld für dein Essen hab ich aus deinem Geldbeutel genommen. Laurie hat dir dein Essen eingepackt."
Auffordernd hielt er mir eine Plastikschachtel hin. Der Geruch nach kalten Fritten stieg mir in die Nase. Vermutlich sollte ich mich bedanken. Nur war mir bei meinem hin und her vor dem Lokal klar geworden, dass ich Carter gegenüber vielleicht ein bisschen voreingenommen war. Und trotzdem...
„Tut mir leid", gab ich kleinlaut von mir.
„Hast du schon ein paar Mal gesagt. Geht es konkreter? Was tut dir leid? Dass du mich getreten hast? Mir unterstellst, ich würd mich für dich schämen? Dass ich meine Verabredungen absage, damit du nicht allein zu Hause sitzt?"
Seine Stimme war genauso scharf wie zuvor. Offenbar hatte ihn nicht nur der Hunger in einen gereizten Bären verwandelt. Er war richtig angefressen.
„Oder dass du glaubst, mich rumkommandieren zu können wie einen Teenager?"
„Alles?"
„Das klingt jetzt wie eine Frage. Find das nur ich merkwürdig?"
„Was willst du denn hören?", begehrte ich wieder auf.
„Bedauern. Ich will sehen und hören, dass du es ernst meinst!"
Er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Für mich fühlt es sich an, als würdest du nur sagen, was du meinst, dass ich hören will. Im Grunde geht's dir am Arsch vorbei, ob du mich verletzt oder nicht. Ich bin ohnehin nur der Carter von nebenan, der zu nichts taugt. Nicht mal für den Krieg."
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BLINDFOLDED - Blindes Vertrauen
RomanceManchmal muss man blind vertrauen: Anna findet Ian unerträglich. Selbstverliebter Mädchenschwarm. Der Mittelpunkt seines Universums. Rauchender Partygänger, der Gott und die Welt kennt. Genau der Typ, den Anna meidet wie der Veganer das Fleisch. Doc...