Entgegen meines Gefühls überlebte ich dennoch. Starker Kaffee und der eine oder andere Energydrink hatten einen nicht zu verachtenden Anteil und am Ende der Vorlesungen flatterten meine Finger vom Koffein. Auf Stellas Anweisung hin wendete ich, obwohl ich unser Zimmer eben erst betreten hatte, und begab mich unter die Dusche. Einen ganzen Arm voller Pflegeprodukte balancierte ich den Flur hinunter und war stolz, dass ich nur einmal die Haarkur verlor, die mir meine übereifrige Mitbewohnerin untergejubelt hatte. Im selben Zuge mit der Ermahnung mit der Mahnung, mich bloß gründlich zu rasieren und zwar überall! Pff, gehirnamputiert war ich auch nicht!
Nach einer wahren Duschorgie kehrte ich in unseren Raum zurück und staunte nicht schlecht. Mein grünes Kleid hing am Schrank zusammen mit hauchfeinen Seidenstrümpfen, davor standen meine Schuhe. Stella schob mich ungeduldig zu meinem Bett, wo ich mich hinlegen sollte und mich entspannen.
Brav machte ich mit und tat, was sie mir auftrug. Was wusste ich schon, was Mädchen und ihre Freundinnen vor Dates alles taten? Wahrscheinlich musste ich Stella vertrauen, dass sie schien eine imaginäre Abhakliste zu haben, mittels der sie kontrollierte, was wir zu erledigen hatten. Und während mir die Tränen in die Augen schossen, weil Stella unsanft meine Augenbrauen zupfte, wurde mir klar, dass ich für meinem Abschlussball völlig unvorbereitet gewesen war. Weder hatte jemand mich gepeelt, noch hatte ich eine Gesichtsmaske gemacht. Geschweige denn eine Maniküre oder Pediküre. Also klar, meine Fuß- und Fingernägel waren lackiert gewesen. Aber nicht annähernd so sorgfältig, wie Stella das fertigbrachte. In meinen Nägeln war nicht eine Rille sichtbar, als die Deckschicht trocken war.
„Du glaubst wirklich, dass diesem Finn auffällt, dass ich auf Hochglanz poliert bin? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Männer auf sowas achten."
„Ehrlich Anna? Ich hab keine Ahnung, was Männer genau sehen. Sie bemerken aber sicher das Gesamtergebnis. Und vielleicht, ob du dich wohlfühlst in deiner Haut."
„Dann übertreib das Schminken aber bitte nicht. Sonst fühle ich mich bestimmt nicht wohl", bat ich die Blonde kleinlaut.
„Mach dir keine Sorgen, ich weiß, was ich tue. Jetzt sind erstmal deine Haare dran."
Sie wedelte mit dem kleinen Fläschchen in ihrer Hand vor meiner Nase und schon verbreitete sich der beißende Geruch nach künstlichem Vanillearoma. Kurz darauf der von warmen -nein, heißen- Haaren, als Stella ihnen mit Lockenstab zu Leibe rückte und meine Haare mit sanfter Gewalt dazu bringt, sich in großen regelmäßigen Locken über meine Schultern zu ergießen. Vorsichtig zupfte sie an einigen Spitzen, damit sie über meine Schultern nach vorne fielen und grinste mich im Spiegel an.
„Zieh schon mal das Kleid an", fordert sie mich auf „Ich geh nur schnell aufs Klo."
Noch immer überwältigt von meinem Spiegelbild nickte ich und legte meine Brille auf den Schreibtisch.
Ich griff ich nach dem Bügel mit dem grünen Kleid und streifte es vorsichtig über meinen Kopf. Nur jetzt nicht die Frisur ruinieren!
Ich steckt gerade halb in dem Kleid, als es an der Tür klopfte. Was für ein blödes Timing von Ian! Hektisch tastete ich nach der Brille. Wieder klopfte es.
„Sekunde! Ich komme schon!", fluchte ich und ließ die Brille Brille sein und schloss lieber den Reißverschluss, bevor sich überlegte unaufgefordert hereinzukommen.
Mein Versuch elegant aber blind die Tür zu öffnen, scheiterte kläglich, als ich hart mit den Knöcheln gegen den Knauf schlug.
„Scheiße!", zischte ich, riss die Tür auf und biss in meinen schmerzenden Zeigefinger. Wie jedes Mal stellte ich fest, dass Gegenschmerz den ersten nicht wirklich aufhob, sondern nur die Wahrnehmung verzerrte.
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BLINDFOLDED - Blindes Vertrauen
RomanceManchmal muss man blind vertrauen: Anna findet Ian unerträglich. Selbstverliebter Mädchenschwarm. Der Mittelpunkt seines Universums. Rauchender Partygänger, der Gott und die Welt kennt. Genau der Typ, den Anna meidet wie der Veganer das Fleisch. Doc...