17. Kapitel

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Etwas verunsichert stand ich im Türrahmen des kleinen Büros.
Professor Morgan schien eine ziemlich ordentliche Person zu sein, denn das Zimmer sah aufgeräumt, allerdings auch sehr leer aus.
Keine Fotos oder persönlichen Gegenstände befanden sich in ihrem Büro.
"Mach ruhig die Tür zu", wies mich Professor Morgan an, die einige Meter von mir entfernt an der Fensterbank lehnte. Von ihrem Büro aus hatte sie einen eher langweiligen Ausblick auf die Mauern, die die Akademie umgaben.
Ich dreht mich zur Tür um und schloss sie, während Professor Morgan geräuschvoll einatmete.
Mir fiel auf, dass ihre Hände zitterten, was sie damit zu verstecken versuchte, dass sie sie miteinander verschränkte.
"Du solltest etwas erfahren", fing sie an und ihre Stimme klang dabei anders als sonst.
Fragend blickte ich sie an.
"Ich habe dich angelogen, als ich sagte, ich könne dir nichts über deine Eltern erzählen."
Sie schluckte und ich sah, wie schwer es ihr fiel, weiterzusprechen.
"Es stimmt auch nicht, dass ich deinen Vater kaum gekannt habe."
Wieder stockte sie. "Die Wahrheit ist, ich habe ihn besser gekannt als jeder andere. Ich habe John in meinem ersten Schuljahr an der Akademie kennengelernt. Er war unfassbar witzig und sehr charmant. Und ich habe mich in ihn verliebt..."
Ich hörte ihre Worte, doch mein Kopf schien sie nicht zu verstehen.
"Es tut mir so leid, dass ich euch beide zurücklassen musste. Ich habe das nicht gewollt. Das musst du mir glauben, Aline!"
Etwas Flehendes trat in ihre Stimme.
Ich hingegen starrte sie weiterhin nur mit leerem Blick an.
"Ich wollte nicht, dass du ohne Mutter aufwachsen musst, und schon gar nicht, dass du ohne uns beide aufwachsen musst."
Tränen traten in ihre Augen.
"Es tut mir leid. Aline. Bitte sag etwas."
Fassungslos schüttelte ich den Kopf.
Mein erster Reflex war es, einfach wegzurennen. Weg von dieser Frau, weg von der Akademie, weg aus der Unterwelt, weg von der Wahrheit.
Doch meine Beine fühlten sich bleischwer an.
Das konnte einfach nicht wahr sein. Das alles war doch wie ein irrer Traum!
"Ich... ich versteh das nicht", stammelte ich. "Wenn Sie die ganze Zeit hier waren, wieso... wieso haben Sie sich nicht bei mir gemeldet? Wieso sind Sie nach Johns Tod nicht zu mir gekommen? Und wieso sagen Sie mir das alles jetzt wenn..."
Ich biss mir auf die Lippe, da mir nun ebenfalls die Tränen in die Augen traten. Allerdings waren es keine Tränen der Trauer oder Erleichterung. Sondern Tränen der Wut.
"Wenn ich Ihnen so egal bin?", stieß ich hervor.
In meiner Stimme lagen die ganzen Vorwürfe, die sich über Jahre hinweg in mir aufgestaut hatten. Ich hatte nicht mal wirklich gewusst, dass sie da waren. Doch jetzt brach alles aus mir hervor.
"Ich dachte meine Mutter wäre tot! Oder vielleicht entführt worden."
Meine Stimme wurde immer lauter und ich merkte, dass ich so langsam keine Kontrolle mehr über das hatte, was ich Professor Morgan an den Kopf warf.
"Fühlen Sie sich denn gar nicht schlecht? Sie führen hier ihr schönes, einfaches Leben, ohne einen Gedanken an ihre Tochter zu verschwenden! Und Sie denken, Sie haben John geliebt?!"
Ich funkelte sie an. "Sie wissen überhaupt nicht, was Liebe ist!"
Mit diesen Worten drehte ich mich um, lief aus dem Raum und knallte die Tür hinter mir so stark zu, dass das Geräusch im Gang widerhallte.
Auf wundersame Weise trugen meine Beine mich nach draußen.
Ich hatte keine Ahnung, wohin ich lief, oder wie ich es überhaupt fertig brachte, zu laufen.
Doch irgendwann, als ich mitten im Wald war, hörte ich eine Stimme, die meinen Namen rief. Ich wollte jetzt einfach nur alleine sein, also lief ich weiter und ignorierte die Stimme.
"He Aline! Jetzt bleib doch mal stehen", rief Argon, der mich nun fast eingeholt hatte.
"Lass mich in Ruhe", sagte ich leise und dreht mich von ihm weg.
Argon legte jedoch seine Hände an mein Gesicht und zwang mich so, ihn anzusehen.
"Was ist los, Aline?", fragte er besorgt, als er in meine höchstwahrscheinlich geröteten Augen blickte.
Ich schloss die Augen, um nicht wieder weinen zu müssen.
"Bitte sag mir, was passiert ist"
Argon zog mich behutsam zu sich heran. "Lass mich dir helfen"
Ich biss mir auf die Lippe und ließ mich widerwillig an seine Brust sinken, während Argon seine Arme um mich legte.
So standen wir einige Minuten lang da und ich spürte, wie die Ruhe, die von Argon ausging, auch mich wieder ruhiger werden ließ.
"Ich weiß, wer meine Mutter ist", flüsterte ich gegen Argons Oberkörper.
"Wer ist sie?", hakte Argon nach, als ich nach einiger Zeit immer noch nicht weitergesprochen hatte.
Ich schluckte, doch das bedrückende Gefühl ließ einfach nicht von mir ab.
Ich wusste, dass, wenn ich es aussprach, es damit real wurde und ich der Wahrheit ins Gesicht sehen musste.
"Professor Morgan", sagte ich mit belegter Stimme. "Professor Morgan ist meine Mutter."
"Was?", entfuhr es Argon entsetzt, der sofort wieder versuchte, sich zu fangen.
Doch wahrscheinlich hatte er genauso wenig wie ich mit dieser Neuigkeit gerechnet.
"Sie hat es mir eben gesagt. Aber... ich verstehe das einfach nicht. Und ich bin einfach so unglaublich wütend auf sie. Und enttäuscht. In meinem Kopf sind einfach viel zu viele Gedanken und ich... ich wusste nicht einmal, dass es mich so überfordern würde, zu erfahren, wer meine Mutter ist", sprudelte es auf einmal aus mir heraus.
Argon sah mich mitfühlend an und nickte verständnisvoll.
Und auch, wenn diese Situation sich so verdammt beschissen anfühlte, war ich doch froh, dass er da war.

Nachdem ich die ersten beiden Schulstunden verpasst hatte, wollte ich am liebsten auch den restlichen Unterricht schwänzen.
Doch Argon schaffte es, mich zu überreden, mit ihm zur 'Lehre der Sprachen' bei Professor Jones zu gehen.
Ich hörte dem Leiter der Nyx kaum zu, allerdings sprach er mich diese Stunde auch nicht an. Entweder ich sah so erbärmlich aus, dass er Mitleid mit mir hatte, oder er hatte einfach einen besonders guten Tag. Ich hoffte inständig auf letzteres.
Ich war froh, dass keiner der anderen mich auf mein Fehlen in den ersten beiden Stunden ansprach. Doch ich merkte, dass Eve und Lucas einige Fragen auf der Zunge brannten und sie sich wirklich zusammenreißen mussten, mich nicht damit zu durchlöchern.
Argon wich jedoch den ganzen Tag über nicht von meiner Seite.
Auch als wir uns zum Elementartraining aufmachten, lief er neben mir her, wie mein persönlicher Bodyguard.
"Du siehst echt mies aus", ertönte Shadows Stimme plötzlich neben mir.
Ich verdrehte die Augen.
Auf ihn konnte ich jetzt wirklich gut verzichten.
"Lange Nacht gehabt?", raunte er mir mit einem süffisanten Grinsen zu. "Wahrscheinlich sind dir einfach zu viele Gedanken durch den Kopf gegangen"
Ich kniff die Augen zusammen.
"Nicht alles dreht sich um dich, Shadow", sagte ich kühl. "Lass mich einfach in Ruhe"
Sein Blick verfinsterte sich.
"Sorry, hab vergessen dass du so eine zickige Spaßbremse bist"
Ich schnaubte. "Na, dass du ein arroganter Egomane bist, vergisst du doch auch nicht", erwiderte ich abfällig.
Argon zog mich am Arm weiter.
"Lass ihn einfach. Er ist es nicht wert"
Als wir auf dem Trainingsgelände stehen blieben, rempelte mich Shadow plötzlich so hart von hinten an, dass ich mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden landete.
"Sag mal, spinnst du?", hörte ich Argon Shadow anfauchen.
Dann ging alles ganz schnell.
Argon schubste Shadow mit seiner ganzen Kraft zu Boden, wo dieser ziemlich unsanft aufschlug. Shadow riss ihn jedoch durch einen geschickten Tritt von den Füßen und verpasste ihm eine - was Argon nur noch rasender machte.
"Hört auf!", rief ich und rappelte mich auf.
Argon ignorierte mich jedoch und schlug immer wieder auf Shadow ein. Ich war mir bereits sicher, dass es ziemlich schlimm für ihn ausgehen würde, als plötzlich Professor Rutherford und Professor Morgan auftauchten und in den Kampf einschritten.
Sie schafften es zwar die beiden Jungs voneinander zu trennen, doch die Blicke, die Argon und Shadow sich zuwarfen, reichten schon aus, um mir das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.
Ich wusste, dass das Ganze ein Nachspiel haben würde.

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