31. Kapitel

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Am nächsten morgen fanden Argon und ich uns pünktlich in der Eingangshalle ein, wo Professor Jones bereits auf uns wartete.
Damien und fünf andere Nyx, alle in den schwarzen Sweatjacken, erschienen auch wenige Minuten später.
"Gut, wir sind vollzählig", verkündete Jones. "Also dann. Ich habe eine sinnvolle Aufgabe für euch.
Da ihr allesamt verantwortungslos seid, könnt ihr den heutigen Tag verwenden, um über eure Fehler nachzudenken und etwas Verantwortung zu übernehmen."
Er überreichte jedem von uns einen Rucksack mit Proviant, Waffen Tarnkleidung und einem kleinen technischen Gerät, von dem ich nicht genau wusste, was es war.
"Wohin gehen wir?", fragt Argon, als wir das Schulgelände verließen.
"Das werdet ihr noch früh genug sehen", antwortete Jones vage.
Ich verdrehte die Augen und tauschte einen skeptischen Blick mit Argon.
Wir liefen mindestens eine Stunde lang durch den Wald und gerade als ich mich fragte, ob diese Wanderung überhaupt noch ein Ende nehmen würde, blieb Professor Jones stehen.
"Wir müssen jetzt ein kleines Stück durch den Düsterwald, dann sind wir da. Ihr dürft also auf keinen Fall irgendwelche Pilze oder andere Pflanzen am Wegrand berühren, habt ihr mich verstanden?", fragte er streng.
"Sind wir Kindergartenkinder, oder was?", flüsterte ich grinsend.
Meiner Meinung übertrieb es Jones manchmal ein bisschen mit seinen ach-so-wichtigen Lektionen.
Argon lachte nur. "Warte, bis du den Düsterwald siehst."
Und tatsächlich hatte er Recht.
Die riesigen Pilze, die den Boden des Waldes anstelle von Bäumen bedeckten, schimmerten in einem hellblauen Licht und ich musste mich zusammenreißen, um Jones' Anweisung nachzukommen.
"Wow, ist das cool", raunte ich Argon zu, während ich versuchte den Himmel zwischen den gigantischen Pilzen über unseren Köpfen auszumachen.
"Im Dunkeln, wenn die Sumpflichter auftauchen, ist es nicht mehr ganz so cool", gab Argon leise zu Bedenken.
"Hast du schon mal eins gesehen?", fragte ich neugierig.
Argon schüttelte den Kopf.
"Glücklicherweise nicht. Mit denen ist echt nicht zu spaßen."
Er blickte zur Seite und deutete auf etwas kleines Rotes. "Oh, sieh mal"
Ich folgte seinem Blick und grinste.
"Dich kenne ich doch"
Neben uns hockte ein kleiner Fliegenpilz und starrte mich aus großen Augen an.
"Bist du sicher?", fragte Argon und lachte.
Ich wollte gerade bejahen, da sah ich, dass hinter dem Pilz-Kobold noch mindestens zwanzig weitere Kobolde hockten und uns interessiert musterten.
"Okay, aber einen davon kenne ich!", beharrte ich grinsend.
"Aline!", rief Jones barsch. "Wir sind hier nicht zum Rumtrödeln! Nur weil du die Unterwelt zum ersten Mal siehst, musst du dich nicht wie ein dämlicher - wie sagt man bei euch? - Tourist verhalten!"
Ich schnaubte. "Ist ja gut, ich komm' ja schon!"
Der Weg führte uns weiter über ein paar moosbewachsene Steinstufen und hinauf auf einen Hügel.
Dort blieb Jones abermals stehen.
"Wir sind da", erklärte er mit leiser Stimme.
"Ich rate euch, euch so unauffällig wie möglich zu verhaltet - solange ihr nicht sterben wollt. Das hier", er deutete den Hügel hinunter, "war mal eine Nymphenstadt. Mittlerweile müsste sie eigentlich unbewohnt sein. Aber es könnte auch sein, dass die Nymphen sich hier wieder angesiedelt haben."
Erschrocken blickte ich ihn an. "Sie haben uns zu den Nymphen geführt?!", fragte ich vorwurfsvoll.
"Was sollen wir machen, wenn sich hier ein ganzes Dorf an Nymphen aufhält?"
Jones zuckte bloß die Schultern.
"Nun ja, ihr seid die Schüler, auf die die Akademie auch gut verzichten kann."
Mit diesen Worten zog er sich die Tarnkleidung über und machte sich daran, den Hügel hinabzusteigen.
"Das kann doch nicht sein Ernst sein!", murmelte Argon aufgebracht, während er ebenfalls seine Tarnkleidung und eine Schusswaffe herauskramte.
"Ich schätze, Professor Morgan und Professor Rutherford würden es gar nicht gut finden, wenn sie von dieser Mission wüssten", gab ich zurück.
"Die beiden wollten doch nach einer Lösung suchen - und nicht uns Schüler dafür losschicken!"
Argon nickte und musterte mich besorgt.
"Du solltest lieber hier bleiben"
"Wie bitte?", fragte ich und hob die Augenbrauen.
"Ich bleibe doch nicht hier! Ich komme mit dir!"
Argon verschränkte die Arme.
"Aber hier bist du in Sicherheit. Du hast es doch selbst gesagt: Wer weiß, wie viele Nymphen sich hier aufhalten."
Ich schüttelte den Kopf.
"Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich komme mit und damit basta!"
Bevor er noch etwas einwenden konnte, hatte ich mir bereits meine Sachen geschnappt und lief Jones hinterher.
Im Schutz der Bäume näherten wir uns einem Fluss, an dessen Ufern kleine Holzhütten in die Stämme großer Bäume gebaut waren. Einige der Hütten waren hell beleuchtet und ließen keinen Zweifel daran, dass sich hier jemand aufhielt.
Die Bäume waren mit einem System aus Seilbrücken verbunden und das Wasser des Flusses in ein undurchsichtiges Braun-Grün getaucht. Alles in allem kam mir das hier wie ein Ort vor, der einem düsteren Fantasyroman entsprungen war.
"Sollten wir nicht lieber umkehren?", fragte einer der Nyx leise, woraufhin er einen bösen Blick von Damien kassierte und schnell zu Boden sah.
"Nein", entschied Professor Jones. "Wir müssen uns erst sicher sein, dass es wirklich Nymphen sind."
"Dann müssen wir näher ran", erwiderte ich.
"Du willst also wirklich draufgehen, Aline?", fragte Jones kühl.
Ich schnaubte. "Nein, aber ich will nicht den ganzen Tag hier warten. Ich kann auch freiwillig vorgehen"
"Auf keinen Fall!", mischte sich Argon ein.
"Ich denke, Aline kann schon noch ihre eigenen Entscheidungen treffen", merkte Jones an.
Ich nickte entschlossen.
"Dein Mut ehrt dich, zugegebenermaßen. Aber ich werde selbst gehen", beschloss der Leiter der Nyx. "Minerva wäre nicht gerade begeistert, wenn ich mit einer Schülerin weniger zurückkehren würde."
Tatsächlich war es ziemlich beeindruckend, wie Jones sich näher an das ehemalige Nymphendorf heran schlich, ohne dabei auch nur einen Laut zu verursachen.
Doch bereits nach wenigen Metern, wurde uns allen bewusst, das sein Vorhaben überflüssig und zudem ziemlich riskant war.
Denn plötzlich traten zwei nur mit Moos bedeckte Frauen mit langen, wilden Locken auf eine der Brücken.
Von Weitem waren sie wirklich sehr hübsch. Aber mir war sofort klar, dass es sich hierbei nicht um zwei gewöhnliche Frauen handelte.
Jones blieb wie erstarrt stehen und sah zu den Nymphen hinauf. Doch da er nun nicht mehr im Schatten der Bäume stand, bemerkten ihn die beiden Kreaturen noch im selben Augenblick.
Eine von ihnen stieß einen kreischenden Laut aus, woraufhin mindest ein Dutzend andere Nymphen auf die Seilbrücke hinaustraten.
"Lauft!", rief Jones in unsere Richtung. Und dann tat er etwas, was mich überrascht die Augen aufreißen ließ.
Er setzte sich seelenruhig auf den Boden und wartete, bis die Nymphen ihn fast erreicht hatten.
Dann schloss er die Augen und auf einmal bewegten sich die Nymphen nicht mehr vom Fleck und stürzten zu Boden, wo sie zusammengekrümmt und zitternd liegen blieben.
"Komm!", schrie Argon, zog mich am Arm und rannte mit mir davon.
Nachdem ich aus meiner Starre gerissen war, lief ich, so schnell mich meine Beine trugen den Hügel hinunter und durch den Düsterwald.
"Was ist mit Jones?", rief ich den anderen zu.
"Kann uns doch egal sein", entgegnete Damien, der bereits ziemlich aus der Puste zu sein schien. Dankbar für meine Kondition, sprintete ich noch ein bisschen schneller und erreichte so bald schon das Ende des Düsterwalds.
Als Argon langsamer wurde, drosselte auch ich mein Tempo.
"Bis hier hin werden sie uns schon nicht verfolgen."
"Falls eine von denen überhaupt noch in der Lage ist, uns zu verfolgen", fügte ich hinzu.
"Hab ich euch gesagt, ihr sollt stehen bleiben?!", tönte da eine Stimme hinter uns.
Ich drehte mich um und erblickte Jones, der in unsere Richtung gelaufen kam.
"Was haben Sie da eben gemacht?", fragte ich ihn. Jones lief zügigen Schrittes weiter, sodass ich joggen musste, um mit ihm Schritt zu halten.
"Ich habe euch das Leben gerettet", stellte er mürrisch klar.
"Schon klar", erwiderte ich. "Aber wie haben Sie das gemacht?"
Jones ignorierte meine Frage weiter.
"Ihre Kräfte...", schlussfolgerte ich.
"Sie haben die Nymphen irgendwie psychisch geschwächt"
Jones warf mir einen entnervten Blick zu und gab sich geschlagen. "Ich kann andere starke Schmerzen oder Angst fühlen lassen und sie so, zumindest für einen gewissen Zeitraum, unschädlich machen.
Und wenn du nicht willst, dass ich meine Kräfte an dir vorführe, solltest du jetzt lieber still sein"

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