Als etwas im Geäst aufheulte, zuckte ich leicht zusammen.
"Entspann dich. Das sind nur die Windkatzen", erklärte Shadow lachend. Amüsiert fügte er hinzu: "Nicht, dass du noch glaubst, hier in der Unterwelt gäbe es Werwölfe."
"Ich bin entspannt", entgegnete ich entrüstet.
"Ach ja?", erwiderte er grinsend, als plötzlich ein helles Licht vor uns auftauchte.
Das Licht hatte die Form einer leuchtenden Kugel und schwebte langsam auf uns zu.
Erst nach längerem Betrachten, wurde mir klar, das es sich hierbei um ein Sumpflicht handelte.
Sowohl Professor Morgan als auch Argon hatten mich vor diesen Dingern gewarnt. Doch auf den ersten Blick sahen sie nicht wirklich gefährlich oder bösartig aus - einfach nur wunderschön...
"Was macht das denn hier?", fragte ich leise mit einem verwunderten Schmunzeln. "Ich dachte, die Sumpflichter tauchen nur im Pilzwald auf?"
Als Shadow nicht antwortete, drehte ich mich verwirrt zu ihm um.
Das Sumpflicht erhellte seinen Oberkörper und sein Gesicht - auf das sich ein leerer Ausdruck gelegt hatte. Seine Augen wirkten glasig und er starrte die schwebende Kreatur gebannt an.
"Verdammt, Shadow", zischte ich angespannt. "Wenn das ein Witz sein soll, ist das wirklich nicht lustig...!"
Doch Shadow reagierte nicht. Er schien mich schlichtweg nicht zu bemerken.
Seine komplette Aufmerksamkeit lag auf der schwebenden Licht-Kugel.
"Was ist mit dir?", hauchte ich leise - mehr an mich selbst als an ihn gerichtet, da er mich anscheinend sowieso nicht registrierte.
Wie erwartet, gab er keine Antwort.
Als sich das Sumpflicht plötzlich in Richtung des Düsterwalds bewegte, folgte Shadow ihm wie in Trance.
Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass Professor Morgan uns erklärt hatte, Sumpflichter würden Wahnvorstellungen bei ihren Opfern auslösen.
"Verdammt nochmal! Shadow, bleib stehen!", rief ich verzweifelt, während ich ihm folgte.
Als ich meinen Fuß in der Dunkelheit an irgendetwas Hartem stieß, fluchte ich leise vor mich hin.
Ohne Shadow an meiner Seite, war ich im dunklen Wald ziemlich hilflos.
Je mehr mir das bewusst wurde, desto unsicherer wurde ich.
Ich war niemand der sonderlich schnell Angst bekam, doch, dass es nachts in der Unterwelt nicht ungefährlich war, hätte mir mittlerweile bewusst sein sollen.
Es war ziemlich riskant gewesen, mich mit Shadow in den Wald zu schleichen.
Außerdem fand ich das schwebende Licht zunehmend unheimlicher.
Ich packte Shadow an den Schultern und schüttelte ihn, doch er lief einfach weiter.
Dann versuchte ich es mit meinen Kräften, doch auch das schien ihn nicht zu stoppen. Es schien, als verlieh die Trance, in die ihn das Sumpflicht versetzt hatte, eine unmenschliche Stärke.
Verzweifelt seufzte ich.
Es konnte doch nicht so schwer sein, jemanden vom Einfluss eines Sumpflichts zu befreien...!
Ich wünschte mir, ich hätte besser im Überlebenstraining aufgepasst.
Doch ich musste zugeben, dass ich schlichtweg keine Ahnung hatte, was ich jetzt tun sollte.
"Bitte bleib stehen", flehte ich leise, als Shadow immer weiter in die entgegengesetzte Richtung der Akademie lief.
"Komm zu mir zurück. Du warst schon viel zu lange nicht du selbst! Bitte, Morpheus"
Plötzlich blieb Shadow ruckartig stehen und drehte sich dann zu mir um.
Ungläubig starrte ich ihn an und lächelte dann erleichtert, als ich merkte, dass er nicht mehr in Trance zu sein schien.
Shadow drehte sich wieder zu dem Sumpflicht, das wieder näher an ihn herangeschwebt kam, und ließ einige Schatten aus seinen Händen emporwachsen.
Wie als hätte es Angst vor den Schatten, zuckte das Licht mit einer hastigen Bewegung vor Shadow zurück und schwebte dann langsam in eine andere Richtung davon.
"Was zum Teufel war das?!", fragte ich Shadow beunruhigt. "Was hat das Ding mit dir gemacht?"
Er runzelte die Stirn.
"Ich..."
Er hielt verunsichert inne, ehe er weitersprach.
"Ich habe meine Mom gesehen."
"Deine Mom?", wiederholte ich verwundert.
"Du hast noch nie wirklich von ihr erzählt..."
Er nickte gedankenverloren, während er den Weg zurück zur Akademie einschlug.
"Ich rede nicht gerne über meine Kindheit. Nicht, dass es nicht auch schöne Momente gegeben hätte - aber ich musste sehr früh alleine klarkommen."
Er schluckte und ich merkte, dass es ihm nicht so leicht viel, mir davon zu erzählen.
"Kurz nach meinem elften Geburtstag sind Leute aus der königlichen Garde Salems bei uns einmarschiert.
Meine Eltern hatten sich einer Gruppe Aufständischer angeschlossen.
Sie wollten gegen die Unterdrückung kämpfen und für eine bessere Zukunft. Auch für mich."
Shadow atmete hörbar ein.
"Tja. Wie sich zeigte, kann man in dieser Welt nicht für Gerechtigkeit kämpfen, ohne die verdammte Korruption am eigenen Leib zu erfahren. Dieses ganze System ist einfach nur krank!"
In seine Augen war wieder dieser hasserfüllte Ausdruck getreten, den ich auch bei ihm gesehen hatte, als er die Herrscherin von Salem betrachtet hatte. Langsam begann ich zu verstehen, wieso er die Firestones so verachtete.
"Was ist passiert?", fragte ich leise nach.
"Sie haben meinen Vater erschossen und meine Mutter ins Gefängnis von Game City gesteckt. Wo sie bis an ihr Lebensende bleiben wird."
Die abgeklärte und emotionslose Art, mir der er das sagte, bereitete mir mehr Sorgen, als seine hasserfüllten Worte zuvor.
Allerdings war ich auch dankbar, dass er mir diesen Teil seiner Vergangenheit anvertraut hatte.
Ich hatte das Gefühl, Shadow das erste Mal wirklich zu sehen, obwohl ich in dem schwachen Mondlicht gerade mal seine Konturen erkennen konnte.
In ihm war etwas zerbrochen, das nie wieder ganz sein würde.
Und doch strahlte er eine furchtlose Kampfbereitschaft und einen gerade zu unerschütterlichen Idealismus aus.
Obwohl er mir gesagt hatte, er würde nicht daran glauben, dass sich Träume wirklich erfüllen könnten, trat er fest für seine Überzeugungen und Werte ein, als wäre das der einzige Grund für seine Existenz.
Einerseits war er misstrauisch und zynisch, dann wieder sanft und verständnisvoll.
Ein Junge voller Widersprüche.
Doch gerade diese Widersprüche an ihm, waren einer der Gründe, weshalb ich mich zu ihm hingezogen fühlte.Nachdem Shadow und ich uns unbemerkt zurück in die Akademie geschlichen hatten, erwartete mich eine skeptische Eve in meinem Zimmer.
"Du bist noch wach", stellte ich überrascht fest, als ich die Tür leise hinter mir schloss.
"Und du bist mal wieder einfach abgehauen, ohne mir Bescheid zu sagen!", beschwerte sie sich. "Die Unterwelt ist gefährlich, Al! Du solltest wirklich weniger Risiken eingehen. Gerade bei Nacht weiß man nie, wen oder was man antrifft"
Betreten sah ich auf meine Füße.
"Es ist doch nichts passiert, oder?", hakte meine Mitbewohnerin misstrauisch nach.
Ich schaffte es noch immer nicht sie anzusehen, woraufhin sie entrüstet von ihrem Bett aufsprang.
"Du erzählst mir jetzt sofort, was passiert ist!", verlangte sie.
Seufzend gab ich mich geschlagen.
"Ich war mit Shadow im Wald."
Ihre Züge wurden etwas weicher.
"Naja, und dort sind wir einem Sumpflicht begegnet", erwähnte ich möglichst beiläufig.
"Ihr seid was?!", rief Eve etwas zu laut und fügte dann leiser hinzu: "Ihr habt echt Glück gehabt, dass ihr so einfach davon gekommen seid!"
"Hmm", murmelte ich und erwähnte lieber nicht, dass wir eigentlich nicht so leicht davon gekommen waren.
"Aber jetzt musst du mir erst mal erzählen, was mit Shadow ist", fuhr Eve fort und ein verschmitztes Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht.
Ich konnte mein Grinsen ebenfalls nicht mehr unterdrücken.
"Die Manipulation von Damien hat endlich nachgelassen. Und ich bin einfach froh, ihn wieder zu haben."
"Und? Habt ihr euch geküsst?"
Ich nickte und ohne, dass ich es wollte, wurde mein Grinsen noch breiter.
Eve quietschte - wieder etwas laut.
"Schht!", machte ich lachend.
"Oder willst du den gesamten Flügel aufwecken?"
"Na, das ist doch eine Neuigkeit für die der ganze Flügel geweckt werden sollte", erwiderte Eve neckisch.
"Ach, sei leise", brummte ich schmunzelnd.
Ich war froh, dass sie die Sache mit Damien nicht ansprach, obwohl sie zweifelsohne etwas davon mitbekommen hatte.
Ich hatte nun wirklich keine Lust schon wieder über Professor Morgan nachzudenken und außerdem wollte ich nicht, dass noch jemand ihr Geheimnis erfuhr - zumindest vorläufig...

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Academy of Salem
FantasiAls Aline an der mysteriösen Akademie angenommen wird, verändert das ihr Leben vollkommen. Sie entdeckt eine neue Welt voller Magie und düsterer Geheimnisse. Und dann ist da noch dieser Junge, den sie eigentlich nicht mögen sollte, der ihr aber einf...