52. Kapitel

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"Hey", raunte eine Stimme hinter mir, woraufhin ich mich umdrehte.
"Shadow!", stellte ich in möglichst neutralem Ton fest. Schließlich wusste ich nicht, ob Damiens Manipulation bereits nachgelassen hatte.
"Es tut mir leid", flüsterte er.
Ich lächelte erleichtert.
"Du bist also wieder normal?"
Er lachte leise. Das typische Shadow-Lachen, welches ich so vermisst hatte.
"Normal ist relativ", antwortete er, während er mir eine meiner Haarsträhnen hinters Ohr strich.
"Aber ich weiß, was Damien getan hat. Ich erinnere mich an alles", stellte er klar. "Und ich würde ihn dafür am liebsten verprügeln. Aber anscheinend hast du das bereits für mich getan?"
Er lachte, doch als er merkte, dass ich ernst blieb, erstarb sein Grinsen.
"Was ist los?"
Ich schüttelte nur den Kopf.
"Nicht hier", sagte ich leise. "Lass uns nach draußen gehen."
Als wir das Gelände der Akademie verlassen hatten, zog Shadow mich plötzlich zu sich heran und legte seine Lippen auf meine.
Erst war ich etwas perplex, dann erwiderte ich den Kuss.
"Du hast mir gefehlt", flüsterte ich leise. "Also, ich meine, der richtige Shadow hat mir gefehlt."
Er nickte und verzog bei dem Gedanken an Damiens Manipulation das Gesicht.
"Das war echt grauenvoll. Vor allem, als meine richtigen Erinnerungen wiedergekommen sind und ich wusste, was ich da zu dir gesagt habe... Du weißt, ich würde niemals...!"
Ich nickte verständnisvoll.
"Ich weiß. Schon okay."
Shadow nahm meine Hand und verschränkte unsere Finger ineinander, was ein Kribbeln auf meiner Haut auslöste.
Mittlerweile war es so dunkel, dass ich nichts außer den Schatten der Bäume um uns herum erkennen konnte, und wirklich froh war, Shadow bei mir zu haben.
"Bist du sicher, dass wir hier mitten in der Nacht herumlaufen sollten?", fragte ich leise, als ich ein Rascheln neben uns hörte.
"Meinst du, weil Professor Morgan es verboten hat?"
"Mir ist verdammt noch mal egal, was sie erlaubt und was nicht", zischte ich genervt.
Shadow blieb stehen.
"Okay. Jetzt musst du mir aber langsam erzählen, was passiert ist."
Ich seufzte und begann, nervös auf meiner Lippe zu kauen.
"Ich bin ausgerastet", gab ich nach einiger Zeit leise zu.
"Damien hat mich einfach verdammt aufgeregt und... dann bin ich irgendwie durchgedreht. Ich hätte ihn vielleicht erstickt, wenn Professor Morgan nicht dazwischen gegangen wäre!"
Meine Stimme wurde immer lauter, während ich mir aufgebracht durch die Haare fuhr.
"Ich hatte mich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle. Und ehrlich gesagt hatte ich das bei der Nymphe auch nicht. Ich meine, ich hab sie einfach getötet! Klar, es war kein Mensch, aber trotzdem..."
Shadow ergriff meine Handgelenke und sah mir tief in die Augen.
"Du hast nichts schlimmes getan, Aline! Beruhig dich."
Ich schüttelte den Kopf, während meine Lippe bebte.
"Vielleicht bin ich ja gefährlich"
"Sag sowas nicht!"
"Du hast doch keine Ahnung!", rief ich wütend.
Shadow ließ mich los.
"Okay. Dann erklär's mir", erwiderte er mit ruhiger Stimme.
Ich biss mir auf die Lippe.
Auch wenn ich wütend auf sie war - und ziemlich entsetzt - konnte ich das, was Professor Morgan mir anvertraut hatte, nicht einfach so weitererzählen.
Es war ihr Geheimnis und einfach nicht mein Recht.
Und außerdem war sie eben doch... meine Mutter.
"Ich glaube, ich kann dir das nicht sagen", murmelte ich. "Es ist nicht so, dass ich nicht will... Aber ich sollte es einfach nicht."
Er nickte ein wenig verwirrt.
"Okay... aber was ist mit Professor Morgan? Sie hat dich davor bewahrt, zu weit zu gehen... und deswegen bist du sauer auf sie?"
Ich schnaubte bitter.
"Tja, mich hat sie vielleicht davor bewahrt. Aber nicht sich selbst."
Als ich nicht weitersprach, runzelte Shadow die Stirn.
"Willst du es wirklich bei diesen vagen Andeutungen belassen?
Es wäre möglicherweise gut, wenn du mit jemandem über das redest, was dich so fertig macht. Und, glaub mir, ich schweige wie ein Grab"
Der Hauch eines Grinsens erschien auf seinem Gesicht. "Außer natürlich Damien manipuliert mich wieder"
Mein Versuch eines Lächelns scheiterte kläglich und Shadow begriff, dass ich gerade nicht wirklich zum Scherzen aufgelegt war.
"Sorry. Ich will dich nicht zu irgendetwas drängen. Wir können auch einfach über was anderes reden. Oder schweigen", fügte er hinzu.
Ich lächelte dankbar - diesmal gelang es mir schon besser.
"Nein, schon gut. Du hast wahrscheinlich recht."
Ich atmete einmal tief durch. Dann setzte ich zu einer Erklärung an: "Professor Morgan ist anscheinend vor einigen Jahren das Gleiche passierte, wie mir mit Damien. Nur, dass es bei ihr nicht so glimpflich ausgegangen ist..."
"Was ist passiert?", hakte Shadow nach.
"Anscheinend verfügen Professor Morgan und ich beide über die Kraft, anderen Menschen oder Kreaturen die Atemluft zu entziehen."
Ich erinnerte mich schaudernd daran, wie ich der Nymphe die Luft aus ihren Lungen gesaugt hatte und ihr blasses Gesicht in sich zusammengefallen war, während ihre Lippen blau-violett anliefen.
Das Unheimlichste war jedoch gewesen, mit anzusehen, wie ihre Augen langsam einen starren, leblosen Ausdruck angenommen hatten.
"Sie hatte damals einen heftigen Streit mit einer Rivalin, die mit ihr zusammen auf die Akademie ging", fuhr ich fort.
Ich schluckte und traute mich nicht, es Shadow gegenüber wirklich auszusprechen.
Er schien zu merken, was in mir vorging, denn er fragte nur leise: "Ihr ist dasselbe passiert, wie dir mit der Nymphe, oder?"
Ich nickte, außer Stande, ihm zu antworten.
"Wer weiß es noch außer dir?", hakte Shadow nach.
"Nur mein Dad und ihr Mentor haben es gewusst", erklärte ich. "Sie hat es einfach vertuscht!"
Erst als ich diesen Vorwurf laut aussprach, merkte ich, worum es mir wirklich ging.
Dass sie eine Frau getötet hatte, war grausam - aber was mich wirklich störte, war, dass sie es für sich behalten und gelogen hatte. Sie hatte einfach weitergemacht, als wäre es nicht passiert. Sie hatte nicht den Mut gehabt, sich zu stellen!
"Hast du sie gefragt, warum sie es für sich behalten hat?", murmelte Shadow nach einiger Zeit, während er seine Finger über meinen Arm wandern ließ, was ein angenehmes Prickeln auf meiner Haut auslöste und mich ein wenig runter kommen ließ.
"Nein", erwiderte ich. "Aber was soll sie dazu schon groß sagen"
"Wenn du sie nicht fragst, wirst du es nie erfahren", entgegnete Shadow und ich hörte in seiner Stimme, dass er schmunzelte, auch wenn ich sein Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen konnte.
"Vielleicht solltest du versuchen sie zu verstehen... Ich will sie nicht in Schutz nehmen. Was sie getan hat, ist wirklich heftig. Aber immerhin hat sie dich gerade davor bewahrt, selbst die Kontrolle zu verlieren."
Ich schnaubte.
"Ja, vielleicht."
Shadows Finger wanderten an meine Wange, strichen mir eine verirrte Haarsträhne, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte, hinters Ohr und zogen mein Gesicht dann sanft zu seinem heran.
Als seine Lippen meine berührten, breitete sich eine Wärme in mir aus, die mich ruhiger werden und all meine Sorgen vergessen ließ. Doch gleichzeitig lösten seine Küsse ein Feuer in mir aus, das mich vollkommen wach und irgendwie aufgeregt machte.
Zwar hatte ich schon einige Jungs geküsst, doch nie hatten sie auch nur annähernd so etwas in mir ausgelöst wie Shadow.
"Ich habe dich vermisst", raunte er leise gegen meine Lippen, als er sich langsam von mir löste.
"Tja, dann solltest du dich bei Damien bedanken", merkte ich zynisch an.
"Oh, glaub mir, Aline! Er wird sich noch wünschen, er hätte sich nicht mit mir angelegt", erwiderte Shadow mit einem selbstgefälligen Grinsen.
Ich verdrehte belustigt die Augen.
Er lachte. "Hey! Du sollst mich doch ernst nehmen!"
"Und du sollst aufhören, mich in der Dunkelheit zu beobachten - vor allem wenn ich dich nicht sehen kann. Das ist nämlich einfach nur unheimlich!", protestierte ich gespielt entrüstet.
"Das werde ich garantiert nicht", stellte Shadow amüsiert klar.
Ich gab ihm einen sanften Schubs, woraufhin er wieder leise lachte.
"Ich muss zugeben, am Anfang habe ich dich wirklich für eine eingebildete Zicke gehalten, die keine Ahnung hat, worauf sie sich hier einlässt", murmelte er.
"Und ich habe dich für einen arroganten Besserwisser gehalten, der sich viel zu viel auf seine Fähigkeiten einbildet", konterte ich grinsend.
Dann zog ich ihn an mich, um ihn erneut zu küssen.

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