25. Kapitel

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Kilian war mit Eve zurück in den Flügel der Artemis gegangen, um sie zu beruhigen und Argon hatte etwas zu Essen für uns besorgen wollen, weswegen ich nun mit Harry, Professor Morgan und der Krankenschwester alleine war.
Professor Morgan saß neben Harrys Krankenbett und betrachtete ihn mit sorgenvollem Blick, während die Krankenschwester ihm etwas gegen die Schmerzen gab.
"Sieh mich nicht so an", sagte Harry und lächelte leicht. Allerdings verzog er sein Gesicht gleich darauf schmerzverzerrt.
"Ich mache mir nun mal Sorgen", erwiderte Professor Morgan in einem strengen, aber zugleich fürsorglichen Ton. "Und anscheinend ist das ja auch berechtigt. Wie konnte das passieren, Harry?"
"Keine Ahnung", entgegnete er. "Sie kam wie aus dem Nichts."
"Sie?", fragte Professor Morgan verwundert. "Wer hat dich angegriffen?"
Harry schluckte.
Dann antwortete er: "Eine Nymphe"
Professor Morgan schüttelte ungläubig den Kopf.
"Das ist unmöglich. Nymphen gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Die letzte wurde von Grace getötet. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!"
Fassungslos erhob sie sich und begann grübelnd im Zimmer auf und ab zu laufen.
Harry beobachtete sie mit einem amüsierten Gesichtsausdruck.
"Vielleicht hat er sich ja auch vertan", beschwichtigte die Krankenschwester Professor Morgan. "Bestimmt war es gar keine Nymphe. Anscheinend ging das alles ja sehr schnell. Es hätte also alles sein können, was Harry verletzt hat."
Harry schüttelte vehement den Kopf und biss dann schmerzerfüllt die Zähne zusammen, woraufhin ihm noch mehr Schmerzmittel verabreicht wurden.
"Ich habe sie gesehen", murmelte er benommen. "Ich bin mir sicher"
Dann dämmerte er weg.
Ich warf Professor Morgan einen fragenden Blick zu.
"Was hat es mit diesen Nymphen auf sich?"
Die Leiterin der Artemis seufzte resigniert.
"Sie sind bezaubernde Kreaturen, die einen spielend leicht um den Finger wickeln können. Andererseits können sie aber auch zu Furien werden, wenn sie jemand verärgert.
Manchmal trieben sie auch grundlos ihre Spielchen mit uns.
Und irgendwann ging es dann zu weit", erzählte sie.
"Die Nymphen griffen aus Lust und Laune Unterweltler an - vor allem Schüler der Akademie.
Und daher haben es sich Professor Rutherford und einige andere zur Aufgabe gemacht, die Nymphen zu bekämpfen. Irgendwann wurde es so schlimm, dass der einzige Ausweg war, sie zu töten."
Sie blickte traurig zu Boden.
"Wir hätten uns alle gewünscht, dass es nicht so weit hätte kommen müssen. Doch wir mussten einsehen, dass diese Kreaturen von Grund auf böse sind."
Ich nickte verstehend.
"Das heißt, es wäre ziemlich mies, wenn noch einige von denen existieren?", fragte ich nach.
"Kann man so sagen", antwortete sie und blickte zur Tür, die gerade von Argon geöffnet wurde, der mit frischem Kaffee und belegten Brötchen wiederkam.
Professor Morgan nahm dankbar einen der dampfenden Kaffeebecher an, während ich mir sofort ein Käsebrötchen schnappte.
Über die ganze Aufregung hatte ich vollkommen vergessen, etwas zu essen.
"Er wird doch wieder, oder?", fragte Argon leise und stellte sich neben mich.
Die Krankenschwester nickte. "Er wurde ziemlich stark verletzt, aber ich schätze, er wird durchkommen. Harry ist stark."
Sie warf Professor Morgan ein beruhigenden Lächeln zu.
"Glauben Sie mir, er schafft das."
Ich betrachtete die viele Verbände und Aufschürfungen auf Harrys Haut und fragte mich, ob die Krankenschwester wirklich so zuversichtlich war, wie sie tat.
Professor Morgan erklärte uns, dass es jetzt wenigstens nachvollziehbar war, dass keine Magie Harrys Wunden hatte heilen können. Denn Nymphen hinterließen Wunden, die resistent gegen jede Art von magischer Behandlung waren.
Wir standen noch einige Zeit um Harrys Bett herum, dann ließen wir ihn und Professor Morgan allein.

Schon am nächsten Morgen ging es Harry etwas besser. Ein paar seiner kleineren Wunden waren bereits verheilt und er schaffte es sogar auf Krücken in den Speisesaal zu humpeln, wo er von Professor Morgan beschimpft wurde, dass er hätte im Bett bleiben sollen.
Anscheinend war Harry wirklich hart im Nehmen, denn bei jeder Bewegung biss er so fest die Zähne zusammen, dass ich mir gar nicht vorstellen wollte, was für Schmerzen er gerade haben musste.
Laut der Krankenschwester hatte er auch ziemlich viel Blut verloren und sollte sich eigentlich ausruhen, doch ich hatte Harry in den letzten Wochen bereits so gut kennengelernt, dass ich wusste, dass er das niemals tun würde.
So wunderte es mich auch nicht, als er auf einmal in der Tür zu unserem Klassenzimmer lehnte - nicht ganz so lässig wie sonst, allerdings kein Vergleich mit dem Harry von gestern Abend. Professor Jones musterte ihn mit einem finsteren Blick.
"Lassen Sie sich von mir nicht stören", erwiderte Harry gelassen.
Jones schnaubte entnervt, wandte sich dann jedoch uns Schülern zu.
"Willkommen zur 'Kunde der Oberwelt'. Wir werden uns heute mit den Kriegen der Oberweltler beschäftigen und dazu ihre Denkweise und ihr kollektives Handeln untersuchen", begann er.
Ich schnaubte leise.
"Die Denkweise der Oberweltler? Denkt er, alle Menschen, die nicht aus der Unterwelt stammen, sind vollkommen bescheuert?", fragte ich Eve.
Sie grinste. "Naja, einen kenne ich da schon"
"Ey!", rief ich empört. Allerdings so laut, dass ich mir von Professor Jones einen strafenden Blick einfing.
"So ganz verstehen können, werden wir die Oberweltler aber wohl nicht", fuhr er fort und richtete seinen Blick auf mich. "Obwohl einige von ihnen meinen, sie würden uns verstehen."
Das sagte er so verächtlich, dass ich ihm am liebsten sofort meine Meinung ist Gesicht gesagt hätte.
Doch das übernahm an dieser Stelle jemand anders für mich.
"Nicht, dass Sie irgendeine Ahnung von den Oberweltlern hätten", erklang Harrys raue Stimme.
Einige Schüler drehten sich zu ihm um.
"Sie sind schließlich nie dort gewesen. Sie sind wirklich amüsant in Ihrer störrischen Ablehnung von etwas, das Sie nicht einmal kennen."
Jones funkelte ihn wütend an und zischte gereizt: "Vielleicht sollten Sie sich lieber weiterhin im Krankenflügel ausruhen"
Harry zuckte nur die Schultern.
"Ich würde lieber noch einige Minuten Ihrem Unterricht lauschen"
Für einige Sekunden starrte Professor Jones ihn bloß an. Dann wandte er sich ruckartig wieder an die Klasse.
"Besonders prägnant in der Geschichte der Oberwelt sind die beiden Weltkriege. Der zweite Weltkrieg - 1935 bis 1945 - ist ein typisches Beispiel für den Unterschied zwischen der Unter- und der Oberwelt."
"1939", unterbrach ich ihn.
"Wie bitte?", zischte Jones.
"Der Krieg begann erst 39", sagte ich noch einmal. "Die USA beteiligte sich dann ab 1941. Und ich bin nicht der Meinung, dass es einen Unterschied macht, ob man hier oder in der Oberwelt geboren wurde. Denn nur weil ein Verrückter einen Krieg anzettelt, heißt das nicht, dass die gesamte Oberwelt sich dafür schuldig fühlen muss. Einen Verrückten kann es überall geben. Auch hier."
Ich heftete meine Augen auf Professor Jones und sah aus dem Augenwinkel, wie Harry mich angrinste.
"Du solltest aufpassen, was du sagst", erwiderte Jones bedrohlich leise.
Ich schmunzelte nur verächtlich.
"Genau so fing es in der Oberwelt wohl auch an."
Tatsächlich konnte ich mir ziemlich gut vorstellen, wie Professor Jones eine Armee befehligte, um damit die Welt zu erobern und Leute wie mich zum Schweigen zu bringen.
"Na, ich seh' schon, Sie haben Ihren Unterricht gut unter Kontrolle", merkte Harry sarkastisch an. "Dann kann ich ja wieder gehen"

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